Urteil Nr. B 1 KR 39/20 R des Bundessozialgericht, 2021-05-18

Judgment Date18 Mayo 2021
ECLIDE:BSG:2021:180521UB1KR3920R0
Judgement NumberB 1 KR 39/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. August 2020 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 735,40 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses (nachfolgend: Krankenhaus), behandelte den bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherten vollstationär vom 18.5. bis 14.6.2016 und berechnete hierfür zunächst 13 199,47 Euro (Schlussrechnung vom 7.7.2016 Fallpauschale DRG> B04D), die die KK zunächst vollständig beglich. Das Krankenhaus kodierte dazu ua OPS (Operationen- und Prozedurenschlüssel) 9-200.6. Die KK beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung von OPS 9-200.6 und der Erforderlichkeit des Überschreitens der oberen Grenzverweildauer. Der MDK kam zum Ergebnis, dass OPS 9-200.5 (Hochaufwendige Pflege von Erwachsenen, 101 bis 129 Aufwandspunkte) anstelle von OPS 9-200.6 zu kodieren sei; insoweit passte das Krankenhaus seine Kodierung noch während des Prüfverfahrens an. Weiterhin führte der MDK aus, dass eine um sieben Tage kürzere Behandlung medizinisch möglich gewesen sei. Es ergebe sich anstelle der DRG B04D die DRG B39C (Stellungnahme vom 8.3.2017). Daraufhin forderte die KK vom Krankenhaus die Erstattung von 2558,69 Euro. Mit neuer Schlussrechnung vom 29.3.2017 berechnete das Krankenhaus nunmehr DRG B04B (12 733,02 Euro). Hierbei kodierte es OPS 9-200.5 anstelle von OPS 9-200.6 sowie zusätzlich als Nebendiagnosen nach ICD-10-GM die bisher nicht kodierten Diagnosen I50.01 (Sekundäre Rechtsherzinsuffizienz), J91 (Pleuraerguss bei anderenorts klassifizierten Krankheiten) und I34.1 (Mitralklappenprolaps), da im Rahmen der neurologischen Behandlung des Versicherten eine weitergehende kardiologische Diagnostik erfolgt, aber versehentlich nicht kodiert worden sei. Die KK wies die korrigierte Rechnung mit der Begründung zurück, die zulässige Frist zur Änderung der Daten sei bereits abgelaufen. Eine Nachforderung sei nach § 7 Abs 5 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2014) iVm § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ausgeschlossen. In der Folgezeit rechnete die KK den gesamten gezahlten Rechnungsbetrag iH von 13 199,47 Euro gegen unstreitige Forderungen des Krankenhauses auf.

Im Klageverfahren, gerichtet auf Zahlung von 12 733,02 Euro, hat die KK ein vom Krankenhaus angenommenes Teilanerkenntnis iH von 11 997,62 Euro abgegeben. Der auf Zahlung von 735,40 Euro nebst Zinsen geänderten Klage hat das SG stattgegeben (Urteil vom 17.12.2018). Das LSG hat die durch das SG zugelassene Berufung der KK zurückgewiesen: Der entstandene Anspruch auf die (weitere) Vergütung der stationären Behandlung iH von 735,40 Euro sei weder verjährt noch verwirkt und auch nicht nach § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014 ausgeschlossen. Die Vorschrift sei keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Dies ergebe sich insbesondere aus ihrem Wortlaut und dem Regelungszusammenhang (Urteil vom 26.8.2020).

Die KK rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung von § 17c Abs 2 KHG iVm § 7 Abs 5 PrüfvV 2014. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 schließe als materiell-rechtliche Ausschlussfrist eine Rechnungskorrektur nach Abschluss der MDK-Prüfung aus. Die Auffassung des SG führe dazu, dass der Verstoß gegen § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 keine vergütungsrechtlichen Konsequenzen für das Krankenhaus habe.

Das Krankenhaus hat im Revisionsverfahren die Klage hinsichtlich des Zinsanspruchs auf die Zeit ab 13.4.2017 beschränkt.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. August 2020 und des Sozialgerichts Kiel vom 17. Dezember 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten KK ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Der Senat kann nicht abschließend entscheiden, ob die mit der Aufrechnung von der KK angestrebte Erfüllung eines anderen, unstreitigen Vergütungsanspruchs teilweise ins Leere ging und dem Krankenhaus insoweit ein Vergütungsanspruch von 735,40 Euro weiterhin zusteht. Die Begründetheit der Klage (zu ihrer Zulässigkeit als echte Leistungsklage vgl zB BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12 mwN; stRspr) hängt davon ab, ob die korrigierte Schlussrechnung des Krankenhauses vom 29.3.2017 zutraf und die KK zu Unrecht davon ausging, für die vom 18.5. bis 14.6.2016 durchgeführte stationäre Behandlung des Versicherten 735,40 Euro zu viel gezahlt zu haben. Dem Krankenhaus stand dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch für die erforderliche stationäre Krankenhausbehandlung des Versicherten zu (vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 11 mwN; zum rechtlichen Rahmen der Fallpauschalenvergütung, insbesondere zur Rechtsqualität der Fallpauschalenvereinbarung und der Einbeziehung des OPS vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 ff). Der noch streitige Restanspruch von 735,40 Euro ist jedenfalls weder - wie die KK meint - infolge einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist erloschen noch steht seiner Durchsetzung eine sonstige Einwendung entgegen (dazu 1.). Ob dem Krankenhaus ein Anspruch auf 12 733,02 Euro zustand und nicht bloß die von der KK anerkannten 11 997,62 Euro, kann der Senat mangels Feststellungen des LSG nicht beurteilen. Die Feststellungen muss das LSG im wiedereröffneten Berufungsverfahren treffen (dazu 2.). Da die Berechnung der Krankenhausvergütung nach DRG B04B von der KK im Hinblick auf die kodierten Nebendiagnosen zuletzt in Zweifel gezogen wurde, konnte sie vom Senat auch nicht ohne weitere Feststellungen zugrunde gelegt werden (zur Zulässigkeit dieses Vorgehens bei unstrittiger Berechnungsweise vgl zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN).

1. Das Krankenhaus durfte den Restvergütungsanspruch jedenfalls fällig stellen und hierzu seine Abrechnung im März 2017 korrigieren. Es durfte OPS 9-200.5 nachkodieren und die hierdurch angesteuerte DRG B04B mit insgesamt 12 733,02 Euro auch nach Abschluss des von der KK eingeleiteten Prüfverfahrens dieser in Rechnung stellen. Der Anspruch auf den Restbetrag iH von 735,40 Euro ist nicht nach dem hier zeitlich anwendbaren § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 (dazu a) ausgeschlossen. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 regelt keine materielle Ausschlussfrist, sondern eine materielle Präklusion (dazu b). Deren sachlicher Anwendungsbereich ist hier jedoch nicht eröffnet (dazu c). Der Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung weiterer 735,40 Euro ist auch nicht nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 242 BGB verwirkt (dazu d).

a) § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 ist zeitlich auf die im Jahr 2016 durchgeführte Krankenhausbehandlung des Versicherten anwendbar. Die mit Wirkung zum 1.9.2014 aufgrund der Ermächtigung des § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) in Kraft getretene und später gekündigte PrüfvV 2014 erfasst Überprüfungen bei Versicherten, die ab dem 1.1.2015 aufgenommen wurden (§ 12 Abs 1 PrüfvV 2014; für Krankenhausaufnahmen ab dem 1.1.2017 gilt die zu diesem Zeitpunkt in Kraft getretene PrüfvV vom 3.2.2016; vgl BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 31/18 R - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 14). Ob die PrüfvV 2014 inhaltlich Rechtsfolgen hinsichtlich der Änderungen des Datensatzes für die Zeit ab 2016 wirksam regeln durfte, bedarf hier keiner abschließenden Beurteilung. § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 schließt auch - bei seiner nachfolgend unterstellten - sachlichen Anwendbarkeit den Anspruch des klagenden Krankenhauses hier nicht aus (dazu im Einzelnen b und c).

§ 17c Abs 2a Satz 1 KHG (idF des Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789, mit Wirkung vom 1.1.2020; Art 15 Abs 1 MDK-Reformgesetz; zu den Grundsätzen des intertemporalen Sozialrechts vgl BSG vom 23.5.2017 - B 1 KR 24/16 R - SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 32 mwN), wonach eine Korrektur der an die KK übermittelten Abrechnung durch das Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist jedenfalls nicht rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden, bei denen das Krankenhaus - wie hier - vor Inkrafttreten der Regelung wirksam die Abrechnung korrigiert hat.

b) § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Änderungen zugunsten des vom Krankenhaus zu Abrechnungszwecken an die KK übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvV geregelten Änderungsfristen unzulässig sind, soweit der Datensatz Gegenstand des Prüfverfahrens geworden ist. Änderungen des MDK-geprüften Teils des Datensatzes nach § 301 SGB V außerhalb der in § 7 Abs 5 PrüfvV 2014 geregelten Änderungsmöglichkeiten sind - auch mit Wirkung für ein ggf nachfolgendes Gerichtsverfahren - unzulässig. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses kann nicht erfolgreich auf Grundlage von neuen (geänderten oder ergänzten) Daten durchgesetzt werden, deren Übermittlung unzulässig ist.

Im Gegensatz zu einer den Anspruch ganz oder teilweise allein durch Zeitablauf ausschließenden Regelung des materiellen Rechts, die den Verlust einer materiell-rechtlichen Anspruchsposition zur Folge hat (materiell-rechtliche Ausschlussfrist), geht nach § 7 Abs 5 Satz 1 und 2 PrüfvV 2014 der Anspruch auf die weitere...

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