Urteil Nr. B 1 KR 32/20 R des Bundessozialgericht, 2021-05-18

Judgment Date18 Mayo 2021
ECLIDE:BSG:2021:180521UB1KR3220R0
Judgement NumberB 1 KR 32/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - materielle Präklusion durch die 2014 geschlossene Prüfverfahrensvereinbarung - fehlende fristgerechte Vorlage von im ordnungsgemäßen Prüfverfahren angeforderten und konkret bezeichneten Unterlagen - keine Berücksichtigung in späterem Gerichtsverfahren
Leitsätze

Die 2014 zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossene Prüfverfahrensvereinbarung bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 7607,48 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Das klagende Krankenhaus behandelte eine Versicherte der beklagten Krankenkasse (KK) vom 9. bis 15.12.2015 stationär und rechnete hierfür 7607,48 Euro nach Fallpauschale (DRG) L06A (Kleine Eingriffe an der Harnblase mit äußerst schweren CC) ab. Die KK zahlte diesen Betrag zunächst, leitete anschließend jedoch eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ein (Schreiben vom 10.3.2016). Mit zwei Schreiben vom 14. und vom 15.3.2016 teilte der MDK dem Krankenhaus als Prüfauftrag mit: "Bestand die Notwendigkeit der vollstationären KH-Behandlung nach § 39 SGB V für die gesamte Dauer vom … bis …? Unterfrage: Die Notwendigkeit der stationären Behandlung vom 9.12.2015 bis 15.12.2015 ist nicht ersichtlich." Das erste Schreiben war mit dem Betreff "Begehung" versehen, mit dem zweiten forderte der MDK die Übersendung von zwölf im Einzelnen genannten Behandlungsunterlagen. Eine Begutachtung durch den MDK erfolgte unter Hinweis darauf nicht, dass das Krankenhaus die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. Die beklagte KK ist - anders als das klagende Krankenhaus - der Ansicht, § 7 Abs 2 Satz 4 der für Behandlungsfälle ab dem 1.1.2015 geltenden, zwischen dem GKV-Spitzenverband und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geschlossenen Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V vom 1.9.2014 gemäß § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG; Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2014) enthalte eine materielle Ausschlussfrist. Sie verrechnete daher den Rechnungsbetrag mit anderweitigen - für sich genommen - unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses. Das SG hat die Klage auf Zahlung der abgerechneten Vergütung abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 2.1.2019). Das LSG hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen: Der MDK habe von der zunächst eingeleiteten "Prüfung vor Ort" (durch "Begehung") zur Prüfung im schriftlichen Verfahren wechseln dürfen. Der zunächst dem Grunde nach entstandene Vergütungsanspruch sei insgesamt weggefallen, weil das Krankenhaus die vom MDK angeforderten Unterlagen nicht (fristgerecht) vorgelegt habe. § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 enthalte eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist und sei insoweit von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckt. Unter das Tatbestandsmerkmal "Näheres zum Prüfverfahren" als primärem Regelungsgegenstand der PrüfvV ließen sich ohne Weiteres auch die Auswirkungen von Verstößen gegen deren Regelungen auf den Vergütungsanspruch subsumieren. Die Aufzählung von möglichen Einzelregelungen der PrüfvV in § 17c Abs 2 Satz 2 KHG sei nicht abschließend, sondern lediglich beispielhaft ("insbesondere"), sodass hierdurch die Regelung einer Ausschlussfrist nicht ausgeschlossen werde. Die Gesetzesmaterialien, wonach Vereinbarungen auch zu anderen regelungsrelevanten Sachverhalten getroffen werden könnten, bestätigten dies (Hinweis auf BT-Drucks 17/13947 S 38). Dies entspreche auch der Rechtslage im Vertragsarztrecht, die ebenfalls auf der gesetzlichen Grundlage des § 82 SGB V die bundesmantelvertragliche Vereinbarung eines Forderungsverlusts zulasse (Hinweis auf BSG vom 23.3.2016 - B 6 KA 14/15 R - SozR 4-5555 § 17 Nr 1 RdNr 30 zu § 17 Abs 1 Satz 5 Ersatzkassenvertrag-Zahnärzte). Auch im Vertragsarztrecht und im Zusammenhang mit Arzneimittel- und Hilfsmittelverträgen habe das BSG materiell-rechtliche Ausschlussfristen in untergesetzlichen Regelungen für unbedenklich gehalten. Dieser Meinung habe sich auch das BSG in einem obiter dictum auch in dem vorliegenden Zusammenhang angeschlossen (Hinweis auf BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 16). Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses sei daher im vorliegenden Fall weggefallen (Urteil vom 27.8.2020).

Das Krankenhaus rügt mit seiner Revision, § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 enthalte keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist. Ein solcher Ausschluss des Vergütungsanspruchs sei auch nicht von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckt, die lediglich zu Vereinbarungen über das Verfahren der Abrechnungsprüfung ermächtige.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 2. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 7607,48 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20. Juni 2016 zu zahlen,
hilfsweise,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 27. August 2020 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des klagenden Krankenhauses ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der geltend gemachte Vergütungsanspruch weiter zusteht, oder ob die KK mit einem aus der Behandlung der Versicherten resultierenden Erstattungsanspruch wirksam aufgerechnet hat.

Das LSG hat den Erstattungsanspruch bejaht. Es ist davon ausgegangen, dass § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist mit der Folge regelt, dass der Vergütungsanspruch des Krankenhauses gegen die beklagte KK - selbst wenn er dem Grunde nach zunächst entstanden sein sollte - weggefallen ist, weil das Krankenhaus die vom MDK im Verfahren der Abrechnungsprüfung angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt hat. Es hat - nach seinem Rechtsstandpunkt folgerichtig - daher keine Feststellungen dazu getroffen, ob die stationäre Behandlung der Versicherten medizinisch notwendig war und welche der Kodierung zugrunde zu legenden Leistungen erbracht wurden.

Dies hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung nicht stand. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses ist nicht schon deswegen ausgeschlossen, weil das Krankenhaus es nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) versäumt hat, die durch den MDK mit Schreiben vom 15.3.2016 angeforderten und konkret bezeichneten Unterlagen binnen der 4-Wochen-Frist vollständig vorzulegen. § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 enthält eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass konkret bezeichnete Unterlagen, die der MDK im Rahmen eines ordnungsgemäßen Prüfverfahrens angefordert, das Krankenhaus aber nicht innerhalb der Frist von vier Wochen vorgelegt hat, auch in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr zur Begründung des Vergütungsanspruchs berücksichtigt werden dürfen. Die präkludierten Unterlagen sind als Beweismittel endgültig ausgeschlossen.

Dies folgt aus einer Auslegung der Regelung anhand der allgemeinen Auslegungsmethoden der Rechtswissenschaft und ist von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG getragen (dazu 1.). Die Regelung ist mit dem Grundgesetz vereinbar (dazu 2.).

1. § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 lautet:
"Bei einer Prüfung im schriftlichen Verfahren kann der MDK die Übersendung einer Kopie der Unterlagen verlangen, die er zur Beurteilung von Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung sowie zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung benötigt. Das Krankenhaus hat die Unterlagen innerhalb von 4 Wochen nach Zugang der Unterlagenanforderung an den MDK zu übermitteln. Erfolgt dies nicht, hat das Krankenhaus einen Anspruch nur auf den unstrittigen Rechnungsbetrag."

Unterlagen iS des § 7 Abs 2 PrüfvV sind Beweismittel zur Begründung des Vergütungsanspruchs des Krankenhauses. Sie dienen dem Nachweis der Tatsachen, die den behaupteten Vergütungsanspruch des Krankenhauses in der abgerechneten Höhe begründen.

a) Die aufgrund § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) erlassene und am 1.9.2014 in Kraft getretene PrüfvV 2014 ist zeitlich auf die im Jahr 2015 durchgeführte Krankenhausbehandlung der Versicherten und inhaltlich auf die hier erfolgte Wirtschaftlichkeitsprüfung anwendbar (vgl § 12 Abs 1 Satz 1 PrüfvV 2014; zu der ab dem 1.1.2017 geltenden PrüfvV vom 3.2.2016 vgl BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 31/18 R - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 14).

b) § 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV 2014 gilt nur für das schriftliche Verfahren. Auf die Prüfung vor Ort findet die Vorschrift keine Anwendung. Hier hat der MDK nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zwar zunächst eine Prüfung vor Ort eingeleitet (Schreiben vom 14.3.2016). Er hat aber innerhalb der 6-Wochen-Frist nach § 275 Abs 1c Satz 2 SGB V auf das schriftliche Verfahren gewechselt (Schreiben vom...

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