Urteil Nr. B 1 KR 5/21 R des Bundessozialgericht, 2022-04-26

CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Judgment Date26 Abril 2022
ECLIDE:BSG:2022:260422UB1KR521R1
Judgement NumberB 1 KR 5/21 R
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - vollstationäre Behandlung - lediglich teilstationäre Behandlung erforderlich - Vergütung nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens
Leitsätze

1. In dem Stufenverhältnis der unterschiedlichen Formen der Krankenhausbehandlung kommt ein Vergütungsanspruch nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens in Betracht, wenn eine zweckmäßige, medizinisch aber in einer höheren Stufe nicht erforderliche Behandlung durchgeführt wurde, eine Behandlung in einer niedrigeren Stufe aber gleichermaßen zweckmäßig und medizinisch erforderlich gewesen wäre, und wenn das Krankenhaus berechtigt gewesen wäre, die (fiktive) wirtschaftliche Leistung selbst zu erbringen und unmittelbar gegenüber der Krankenkasse abzurechnen.

2. Führt das Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags anstelle einer zweckmäßigen, erforderlichen und ausreichenden teilstationären Behandlung eine ebenfalls zweckmäßige, aber nicht erforderliche vollstationäre Behandlung durch, kann es von der Krankenkasse eine Vergütung nach Maßgabe eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens beanspruchen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2021 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 6750,12 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Der bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte wurde in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Klägerin (im Folgenden: Krankenhaus) vom 20.2. bis 8.4.2015 wegen einer Suchterkrankung vollstationär behandelt. Die KK beglich die Rechnung des Krankenhauses iHv 11 262,45 Euro und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Prüfung des Behandlungsfalls. Dieser sah eine ambulante Behandlung als ausreichend und deshalb die stationäre Behandlung als nicht notwendig an (sog primäre Fehlbelegung). Die KK verrechnete daraufhin am 6.11.2015 den gesamten Rechnungsbetrag mit anderen unstreitigen Forderungen des Krankenhauses. Im Klageverfahren erkannten der von der KK erneut beauftragte MDK und der vom SG beauftragte gerichtliche Sachverständige die Erforderlichkeit (lediglich) einer teilstationären Krankenhausbehandlung an. Das Behandlungsziel hätte auch durch eine tagesklinische Behandlung erreicht werden können. Der Versicherte sei hierfür ausreichend stabil gewesen. Das SG hat die KK daraufhin zur Zahlung von 6750,12 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Dem Krankenhaus habe nach dem Grundsatz des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens ein Vergütungsanspruch in der Höhe zugestanden, wie sie für die erforderliche teilstationäre Vergütung angefallen wäre (SG-Urteil vom 31.7.2019). Auf die Berufung der KK hat das LSG das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die vollstationäre Behandlung des Versicherten sei nicht erforderlich gewesen, weil teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte. Ein Anspruch auf Vergütung als teilstationäre Behandlung im Sinne eines fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens bestehe nicht. Die teilstationäre Behandlung stelle kein Minus gegenüber einer vollstationären Behandlung dar, sondern folge einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept und finde in der Regel in gesonderten, räumlich getrennten Abteilungen des Krankenhauses statt. Es könne auch nicht beurteilt werden, wie sich eine fiktive teilstationäre Behandlung hinsichtlich ihres Inhalts und ihrer Dauer tatsächlich entwickelt hätte (Urteil vom 21.1.2021).

Mit seiner Revision rügt das Krankenhaus sinngemäß eine Verletzung von § 12 Abs 1, § 39 Abs 1, § 109 Abs 4 SGB V und § 103 SGG. Die teilstationäre Krankenhausbehandlung stelle im Vergleich zur vollstationären eine wesensgleiche Teilleistung dar. Die Erwägung des LSG, eine teilstationäre Behandlung folge einem grundsätzlich anderen Behandlungskonzept, könne sich auf keinerlei Anknüpfungstatsachen im bisherigen Prozessverlauf stützen. Da eine vollstationäre Behandlung eher intensiver sei, liege es fern, dass eine teilstationäre Behandlung früher hätte abgeschlossen werden können.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 21. Januar 2021 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 31. Juli 2019 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des klagenden Krankenhauses ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

Der Senat kann auf Grundlage der Feststellungen des LSG nicht entscheiden, ob dem Krankenhaus der ihm vom SG zuerkannte Vergütungsanspruch weiter zusteht oder ob und gegebenenfalls in welcher Höhe die KK mit einem aus der Behandlung des Versicherten resultierenden und noch verbliebenen, über die bereits vom SG berücksichtigten 4521,33 Euro hinausgehenden Erstattungsanspruch wirksam aufgerechnet hat.

Das LSG hat den Erstattungsanspruch bejaht. Dabei ist es in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die durchgeführte vollstationäre Behandlung medizinisch nicht erforderlich war, weil eine teilstationäre Behandlung ausgereicht hätte (dazu 1.). Im Weiteren ist das LSG davon ausgegangen, dass sich ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses auch nicht für die medizinisch erforderliche, aber tatsächlich nicht durchgeführte teilstationäre Krankenhausbehandlung ergebe, weil diese keine wesensgleiche Teilleistung gegenüber einer vollstationären Behandlung darstelle. Dies hält einer revisionsgerichtlichen Prüfung nicht stand. In Betracht kommt ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses für die erforderlich gewesene teilstationäre Krankenhausbehandlung nach den Grundsätzen des fiktiven wirtschaftlichen Alternativverhaltens (dazu 2.). Die hierzu erforderlichen Feststellungen hat das LSG - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - unterlassen und muss sie nachholen (dazu 3.).

1. Rechtsgrundlage des von der Klägerin wegen der vollstationären Behandlung des Versicherten geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs 4 Satz 3 SGB V iVm § 7 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) (vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 f; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 20/19 R - BSGE 130, 73 = SozR 4-2500 § 12 Nr 18, RdNr 11 mwN). Die Zahlungsverpflichtung der KK entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung - wie hier - in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird und wenn sie iS von § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (vgl zB BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15; BSG vom 19.11.2019 - B 1 KR 33/18 R - SozR 4-2500 § 109 Nr 77 RdNr 10 mwN).

Ein Vergütungsanspruch des Krankenhauses für die durchgeführte vollstationäre Krankenhausbehandlung scheitert danach vorliegend daran, dass diese medizinisch nicht erforderlich war.

Nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V haben Versicherte Anspruch auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus (§ 108 SGB V), wenn die Aufnahme nach Prüfung durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Damit ist die vollstationäre Krankenhausbehandlung nachrangig gegenüber allen anderen Arten der Krankenbehandlung. Der Nachrang der vollstationären Behandlung trägt deren Bedeutung als medizinisch intensivster...

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