Urteil Nr. B 1 KR 38/21 R des Bundessozialgericht, 2022-08-18
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Judgment Date | 18 i 2022 |
ECLI | DE:BSG:2022:180822UB1KR3821R0 |
Judgement Number | B 1 KR 38/21 R |
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. März 2021 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die 1980 geborene Klägerin leidet an einem Lipödem und begehrt von der beklagten Krankenkasse (KK) Kostenerstattung für stationär durchgeführte Liposuktionen an Armen, Beinen und Hüften.
Ihren befundgestützten Antrag auf Kostenübernahme für eine Liposuktion lehnte die KK ab (Bescheid vom 22.2.2017). Die Liposuktion gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), da der Gemeinsame Bundesausschuss bislang keine entsprechende Empfehlung nach § 135 Abs 1 SGB V für eine ambulante Durchführung abgegeben habe und sich aus den eingereichten Unterlagen auch keine Notwendigkeit für eine stationäre Leistungserbringung ergebe. Den Widerspruch wies die KK nach Einholung einer sozialmedizinischen Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.6.2017). Nach Klageerhebung hat sich die Klägerin die begehrten Liposuktionen im Dezember 2017, März 2018 und Mai 2018 als stationäre Behandlungen selbst beschafft (15 230 Euro). Sie ist mit Ihrem Kostenerstattungsbegehren beim SG erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 17.1.2019). Das LSG hat ihre Berufung zurückgewiesen: Die Liposuktionen hätten nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot entsprochen. Aus § 137c Abs 3 SGB V ergebe sich auch ab dem 23.7.2015 keine Absenkung der Qualitätsanforderungen auf Methoden mit dem bloßen Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative (Hinweis auf die Urteile des erkennenden Senats vom 24.4.2018 - B 1 KR 13/16 R, vom 28.5.2019 - B 1 KR 32/18 R und vom 8.10.2019 - B 1 KR 2/19 R). Es liege auch kein Systemversagen vor. Ein Leistungsanspruch ergebe sich auch weder aus § 2 Abs 1a SGB V noch aus einem Anspruch auf Teilnahme an dem Erprobungsverfahren noch aus einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung (Urteil vom 26.3.2021).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 137c Abs 3 Satz 1, § 39 und § 13 Abs 3 SGB V.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. März 2021 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 17. Januar 2019 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 15 230 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat kann nicht abschließend darüber entscheiden, ob der Klägerin ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der von ihr selbst beschafften stationären Liposuktionsbehandlungen zusteht.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch kann nur § 13 Abs 3 Satz 1 Fall 2 SGB V sein. Voraussetzung dafür ist, dass die Klägerin im Zeitpunkt der Selbstbeschaffung Anspruch auf die Liposuktionsbehandlungen als Naturalleistungen nach § 39 Abs 1 SGB V hatte (stRspr; vgl zB BSG vom 17.12.2019 - B 1 KR 18/19 R - BSGE 129, 290 = SozR 4-2500 § 138 Nr 3, RdNr 8 mwN). Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs 1 Satz 3 SGB V). Ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin auf Versorgung mit einer Liposuktion ist hier einerseits nicht durch einen Beschluss des GBA von vornherein aus dem GKV-Leistungskatalog ausgeschlossen (dazu 1.), andererseits kann der Anspruch auch nicht unmittelbar auf Richtlinien (RLn) des GBA gestützt werden (dazu 2. und 3.). Die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V hat das LSG zutreffend verneint; insoweit verzichtet der Senat auf weitere Ausführungen. Ein danach verbleibender Naturalleistungsanspruch setzt voraus, dass die Liposuktionen dem maßgeblichen Qualitätsgebot entsprachen, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich war (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs 1 SGB V) erbracht wurden. Die Liposuktionen erfüllten im Behandlungszeitraum nicht die allgemeinen Qualitätsanforderungen des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V (dazu 4.). § 137c Abs 3 SGB V, der am 23.7.2015 in Kraft getreten und auf das Leistungsgeschehen von Ende 2017 bis Mitte 2018 zeitlich anwendbar ist, hat jedoch das allgemeine Qualitätsgebot partiell eingeschränkt (Art 1 Nr 64 Buchst b, Art 20 Abs 1 des Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Ob dessen Voraussetzungen hier vorlagen, kann der Senat auf Grundlage der vom LSG getroffenen Feststellungen nicht entscheiden (dazu 5.).
1. Die Liposuktion als Behandlungsmethode war während der stationären Behandlungen der Klägerin nicht durch einen Beschluss des GBA vom GKV-Leistungskatalog ausgenommen (§ 137c Abs 1 Satz 2 SGB V). Der GBA hat das entsprechende Methodenbewertungsverfahren nur ausgesetzt und ein Erprobungsverfahren auf der Grundlage der Erprobungs-Richtlinie (Erp-RL) Liposuktion veranlasst (Beschluss vom 20.7.2017 zum auf Antrag der Patientenvertretung SGB V> vom 20.3.2014 mit Beschluss vom 22.5.2014 eingeleiteten Methoden-Bewertungsverfahren zur Liposuktion bei Lipödem unter Änderung der RL zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus
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