Urteil Nr. B 1 KR 37/21 R des Bundessozialgericht, 2022-12-13

Judgment Date13 Diciembre 2022
ECLIDE:BSG:2022:131222UB1KR3721R0
Judgement NumberB 1 KR 37/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. November 2020 und des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Juli 2017 sowie der Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2014 werden aufgehoben.

Die Beklagten tragen die Kosten des Rechtsstreits gesamtschuldnerisch.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2 500 000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kündigung eines Versorgungsvertrages.

Die Klägerin ist Trägerin einer Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin. Beklagte sind die Landesverbände der Krankenkassen (KKn) des Landes Baden-Württemberg und der Verband der Ersatzkassen e.V. (vdek).

Im Jahr 2004 schloss die Klägerin mit den Beklagten bzw ihren Rechtsvorgängern mit Wirkung zum 1.1.2004 einen Versorgungsvertrag nach § 109 Abs 1 SGB V über 15 Betten auf dem Fachgebiet Psychotherapeutische Medizin. Diesen genehmigte das Sozialministerium Baden-Württemberg als zuständige Landesbehörde.

Bereits am 19.11.1999 hatte die Klägerin die Aufnahme ihres Krankenhauses mit 45 Betten in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg beantragt. Diesen hatte das Regierungspräsidium F zunächst abgelehnt. Die hiergegen erhobene Klage der Klägerin hatte zunächst keinen Erfolg (Urteil des VG Freiburg vom 3.7.2007 - 3 K 737/04 - juris; Urteil des VGH Baden-Württemberg vom 15.12.2009 - 9 S 720/09 - BeckRS 2011, 51801). Nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch das BVerwG (Urteil vom 14.4.2011 - 3 C 17.10 - BVerwGE 139, 309) verpflichtete der VGH das Land unter Aufhebung des entgegenstehenden Bescheides festzustellen, dass die Klägerin mit 35 Betten im Fachgebiet der Psychotherapeutischen Medizin (neue Fachgebietsbezeichnung: Psychosomatische Medizin und Psychotherapie) in den Krankenhausplan aufgenommen ist. Zudem verpflichtete er das Land bezüglich weiterer zehn Betten, über den Antrag der Klägerin auf Feststellung der Aufnahme ihres Krankenhauses in dem genannten Fachgebiet unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden (Urteil vom 12.2.2013 - 9 S 1968/11 - juris). Das Regierungspräsidium F stellte daraufhin die Aufnahme der Klägerin in den Krankenhausplan mit Wirkung zum 1.4.2013 als Plankrankenhaus mit 35 Betten für das Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie fest (Bescheid vom 11.4.2013). Den weitergehenden Antrag der Klägerin lehnte es zunächst ab (Bescheid vom 24.9.2015).

Mit Schreiben vom 19.7.2013, das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen war, kündigten die Beklagten den Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 zum 31.7.2014. Die zuständige Landesbehörde genehmigte die Kündigung (Bescheid des Ministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familien und Senioren des Landes Baden Württemberg vom 23.8.2013). Den gegen die Kündigung gerichteten Widerspruch der Klägerin wiesen die Beklagten zurück. Mit der Aufnahme des Krankenhauses in den Krankenhausplan sei der Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 im Sinne einer Novation durch einen fiktiven Versorgungsvertrag ersetzt worden. Die Kündigung sei nur aus Gründen der Rechtssicherheit ausgesprochen worden. Selbst unter Berücksichtigung der hiervon abweichenden Argumentation der Klägerin seien die 15 Betten im Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie für eine bedarfsgerechte Krankenhausbehandlung der Versicherten nicht erforderlich. Darüber hinaus biete die Klägerin nicht die erforderliche Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung (Widerspruchsbescheid vom 20.1.2014). Das SG hat bereits die Zulässigkeit der Klage verneint, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis fehle. Der Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 sei durch den mit der Aufnahme in den Krankenhausplan begründeten fiktiven Versorgungsvertrag vollständig ersetzt worden. Durch die gleichwohl ausgesprochene Kündigung des Versorgungsvertrages sei die Klägerin nicht beschwert (Urteil vom 5.7.2017). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Klage sei zulässig aber unbegründet. Die Kündigung des Versorgungsvertrages sei zwar zu Unrecht in Form eines Verwaltungsaktes erklärt worden und der angefochtene Bescheid deshalb rechtswidrig. Dies berühre aber die Wirksamkeit der Kündigungserklärung als solche nicht und verletze die Klägerin deshalb nicht in ihren subjektiven Rechten. Es liege der Kündigungsgrund nach § 109 Abs 3 Satz 1 Nr 2 SGB V vor. Der VGH habe (rechtskräftig) entschieden, dass der im Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 geregelte Bedarf von 15 Betten nunmehr durch den Krankenhausplan gedeckt sei. Insofern könne offenbleiben, ob dieser Versorgungsvertrag bereits durch den - durch die Planaufnahme begründeten - fiktiven Versorgungsvertrag ersetzt worden sei. Die Kündigung des Versorgungsvertrages vom 4.6.2004 sei auch deshalb rechtmäßig, weil dieser gegenüber dem Krankenhausplan grundsätzlich nachrangig sei und die KKn an die Vorgaben im Krankenhausplan gebunden seien. Dies gelte jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation, in der die vom Versorgungsvertrag nach § 109 Abs 1 Satz 1 SGB V des Krankenhauses umfassten Betten in den Krankenhausplan inkorporiert würden. Einer Überprüfung der dem Krankenhausplan zugrundeliegenden Bedarfsanalyse und Bedarfsberechnung bedürfe es in einem solchen Fall nicht und es sei auch keine Auswahl unter mehreren Krankenhäusern vorzunehmen. Auch die formellen Voraussetzungen für die Kündigung seien eingehalten (Urteil vom 25.11.2020).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 110 SGB V. Die Beklagten hätten die Kündigung nicht in der Form eines Verwaltungsaktes erklären dürfen. Hierdurch sei die Klägerin in ihren subjektiven Rechten verletzt. Es bestehe auch kein Kündigungsgrund. Der VGH habe nicht rechtskräftig entschieden, dass der von dem Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 erfasste Bedarf durch die Aufnahme in den Krankenhausplan bereits gedeckt sei. Beide Bedarfe seien zu unterscheiden und der Krankenhausplan entfalte in Bezug auf die Entscheidung über den Abschluss und die Kündigung eines Versorgungsvertrages keine Tatbestands- oder Bindungswirkung. Es bestehe weiterhin ein (zusätzlicher) Bedarf an Vertragsbetten für die Versorgung der gesetzlich Versicherten. Die Kündigung sei auch nicht fristgerecht erfolgt. Die einjährige Kündigungsfrist beginne erst mit der Genehmigung durch die zuständige Landesbehörde zu laufen.

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. November 2020 und des Sozialgerichts Freiburg vom 5. Juli 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 19. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Januar 2014 aufzuheben.

Die Beklagten beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Sie sind der Ansicht, der Versorgungsvertrag vom 4.6.2004 sei - wie das SG zutreffend entschieden habe - durch den mit der Aufnahme in den Krankenhausplan begründeten fiktiven Versorgungsvertrag ersetzt worden, sodass es der Kündigung nicht bedurft habe. Im Übrigen handele es sich bei der Kündigung eines Versorgungsvertrages nach § 110 Abs 1 SGB V entgegen der Auffassung des LSG um einen Verwaltungsakt, zu dessen Erlass sie befugt gewesen seien. Unabhängig davon sei die Kündigung auch wirksam erfolgt, wie das LSG zutreffend entschieden habe.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Zu Unrecht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die von der Klägerin erhobene Anfechtungsklage ist zulässig (dazu I.) und begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 19.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (dazu II.). Er ist deshalb aufzuheben (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

I. Die Anfechtungsklage ist zulässig.

1. Sie ist gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 SGG statthaft, weil das mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehene Kündigungsschreiben der Beklagten vom 19.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2014 zumindest seiner äußeren Form nach einen Verwaltungsakt iS des § 31 SGB X darstellt (vgl BSG vom 5.9.2006 - B 4 R 71/06 R - BSGE 97, 63 = SozR 4-2500 § 255 Nr 1, RdNr 16; BVerwG vom 26.6.1987 - 8 C 21/86 - BVerwGE 78, 3 ff).

2. Die für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage erforderliche Klagebefugnis gemäß § 54 Abs 1 Satz 2 SGG ergibt sich bereits daraus, dass die Klägerin geltend macht, die Beklagten seien nicht befugt gewesen, die Kündigung des Versorgungsvertrages in der Form eines Verwaltungsaktes zu erklären (vgl BSG vom 20.12.2001 - B 4 RA 50/01 R - juris RdNr 16). Zudem handelt es sich für die Klägerin auch um einen belastenden Verwaltungsakt, da mit ihm die Kündigung des Versorgungsvertrages erklärt wird. Dem steht nicht entgegen, dass die Kündigung möglicherweise schon deshalb ins Leere ging, weil der Versorgungsvertrag vom 4.6.2004, auf den sie sich bezog, durch den mit der Aufnahme in den Krankenhausplan (Feststellungsbescheid vom 11.4.2013) begründeten fiktiven Versorgungsvertrag nach § 109 Abs 1 Satz 2 SGB V ersetzt wurde (siehe dazu lediglich ergänzend RdNr 37 ff). Dies ist eine Frage der Begründetheit der Anfechtungsklage.

3. Der Klägerin kann auch das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht abgesprochen werden. Dieses fehlt nur dann, wenn offensichtlich ist, dass das begehrte Urteil dem Kläger keinerlei rechtliche oder tatsächliche Vorteile bringen kann (vgl BSG vom 22.3.2012 - B 8 SO 24/10 R - NZS 2012, 798, 799 = juris RdNr 10; BSG vom 2.4.2014 - B 6 KA 19/13 R - SozR 4-2500 § 295 Nr 3 RdNr 15; BVerwG vom 29.4.2004 - 3 C 25.03 - BVerwGE 121, 1, 3 = juris RdNr 19). Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Frage, ob der echte Versorgungsvertrag durch den fiktiven ersetzt wurde, ist derjenigen einer Verwaltungsaktbefugnis der Beklagten nachgelagert und zwischen den Beteiligten gerade streitig.

II. Die Anfechtungsklage ist auch begründet. Der Bescheid vom 19.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.1.2014 ist bereits deshalb rechtswidrig und daher aufzuheben...

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