Urteil Nr. B 1 KR 23/22 R des Bundessozialgericht, 2023-06-29
Judgment Date | 29 Junio 2023 |
ECLI | DE:BSG:2023:290623UB1KR2322R0 |
Judgement Number | B 1 KR 23/22 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. August 2022 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 389,55 Euro festgesetzt.
Die Beteiligten streiten um die Erstattung weiterer Pflegekosten einer stationären Rehabilitation (im Folgenden: Reha).
Die klagende Rentenversicherungsträgerin bewilligte dem bei ihr und bei der beklagten Krankenkasse (KK) versicherten R (geb 1953, Versicherter) auf dessen Antrag (14.4.2016) eine Anschluss-Reha (Bescheid vom 19.4.2016). Nach Bewilligung der Reha und noch vor deren Antritt beantragte der Versicherte bei der Klägerin die Bewilligung von Altersrente (Antrag vom 22.4.2016). In der Folge wurde die Reha durchgeführt. Nach Abschluss der Reha bewilligte die Klägerin dem Versicherten auf seinen Antrag Altersrente ab dem 1.9.2016 (Bescheid vom 27.7.2016). Im September 2016 meldete die Klägerin einen Erstattungsanspruch in Höhe von 3438,02 Euro für die Reha-Maßnahme bei der Beklagten an, die den Anspruch dem Grunde nach anerkannte, aber die enthaltenen Pflegekosten von 2819,64 Euro auf 2430,10 Euro kürzte, weil aufgrund der zwischen ihr und der Reha-Klinik vereinbarten Vergütung nur Kosten in dieser Höhe angefallen wären, wenn sie die Reha erbracht hätte.
Das SG hat die Klage auf Zahlung der Differenz von 389,55 Euro abgewiesen (Urteil vom 26.8.2021). Rechtsgrundlage des Anspruchs der Klägerin sei § 104 SGB X. Die verfahrensrechtlichen und materiellen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Vergütungsvereinbarungen der Beklagten nach § 111 Abs 5 SGB V seien gemäß § 104 Abs 3 SGB X auch im Verhältnis der Beteiligten zu berücksichtigen. Ob Vergütungsvereinbarungen Rechtsvorschriften iS des § 104 Abs 3 SGB X seien, könne dahinstehen. Jedenfalls für das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergebe sich die Bindung an Vergütungsvereinbarungen aus § 111 Abs 5 Satz 1 SGB V. Das LSG hat die Berufung der Klägerin mit Einverständnis der Beteiligten durch den Senatsvorsitzenden als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung unter Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG zurückgewiesen und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Ergänzend hat es ausgeführt, nach der Rspr des BSG (Urteil vom 22.5.1985 - 1 RA 45/84 - BSGE 58, 128 = SozR 1300 § 103 Nr 4) dürfe ein Erstattungsanspruch zum Schutz der Einhaltung der fiskalischen Belastungsverteilung innerhalb des vorgesehenen materiellen Zuständigkeitssystems grundsätzlich nicht in das gesetzlich vorgesehene Finanzierungsverhältnis zwischen den Leistungsträgern eingreifen, sofern nicht eine gesetzliche Ausnahme vorgesehen sei. Zwar sei keine Neuorientierung der gesetzgeberischen Tätigkeit erkennbar, angesichts einer nicht unerheblichen Vielzahl vergleichbarer Streitigkeiten betreffend die aktuelle Gesetzeslage werde die Revision jedoch zugelassen (Urteil vom 10.8.2022).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 104 Abs 3 SGB X. Sie habe den Anspruch des Versicherten in dem Umfang erfüllt, wie er auch nach den für den vorrangig verpflichteten Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften zu leisten gewesen wäre. Sie habe die Pflegekosten jedoch nur nach den vertraglich vereinbarten Vergütungssätzen der Rentenversicherungsträger abrechnen können. Die Beklagte könne dem Erstattungsanspruch nun nicht entgegenhalten, dass die von ihr mit der Reha-Einrichtung vereinbarten Vergütungssätze niedriger seien. Für das Erstattungsverfahren sei es unbeachtlich, ob und ggf in welcher Höhe die Beklagte mit einem außerhalb der Rechtsbeziehungen zum Versicherten stehenden Dritten - der Reha-Einrichtung - Vergütungssätze vereinbart habe, weil dies keine Drittwirkung entfalte. Auch § 111 Abs 1 SGB V iVm § 111 Abs 5 Satz 1 SGB V stünden der Erstattung der Pflegekosten in Höhe des von der Klägerin geltend gemachten Erstattungsbetrages nicht entgegen. Eine Vergütungsvereinbarung nach § 111 Abs 5 Satz 1 SGB V sei kein Normenvertrag; ihre Wirkung erstrecke sich nicht über die Parteien der Vergütungsvereinbarung hinaus.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 10. August 2022 und das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 26. August 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 389,55 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Der klagenden Rentenversicherungsträgerin steht kein Anspruch auf Zahlung von weiteren 389,55 Euro gegen die beklagte KK zu.
1. An einer Sachentscheidung ist der Senat nicht dadurch gehindert, dass das LSG über die Berufung der Klägerin gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG durch den konsentierten Einzelrichter entschieden und die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat. Zwar ist in der Rspr des BSG überwiegend anerkannt, dass es grundsätzlich ermessensfehlerhaft ist, wenn das LSG durch den Einzelrichter entscheidet und selbst die Revision zum BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung der entschiedenen Rechtssache zulässt. Die Entscheidung solcher Rechtssachen soll grundsätzlich dem LSG-Senat in seiner vollen Besetzung und mit ehrenamtlichen Richtern (§ 33 Abs 1 Satz 1 SGG) vorbehalten sein (vgl ua BSG vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 22; BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7; BSG vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - juris RdNr 14 ff; BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 13 ff; BSG vom 1.6.2022 - B 3 KS 1/21 R - juris RdNr 9; BSG vom 27.9.2022 - B 7/14 AS 59/21 R - SozR 4-4200 § 42 Nr 1 RdNr 16; BSG vom 21.12.2022 - B 9 SB 3/20 R - juris RdNr 8; BSG vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R - juris RdNr 8).
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist aber ua für den Fall anerkannt, dass die Beteiligten ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung in Kenntnis der beabsichtigten Zulassung der Revision erklärt haben (vgl BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7 f; BSG vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 18 mwN; BSG vom 13.12.2022 - B 12 KR 14/20 R - juris RdNr 9). Dies war vorliegend der Fall.
Der LSG-Vorsitzende hat in der Anfrage an die Beteiligten, ob einer Entscheidung durch ihn als Einzelrichter zugestimmt werde, ausgeführt, dass die Entscheidung im Falle einer Zustimmung "zeitnah ergehen und dabei die Notwendigkeit einer Revisionszulassung geprüft werden" könne. Die Beteiligten haben hierauf jeweils mitgeteilt, mit einer Entscheidung durch den Senatsvorsitzenden als Einzelrichter ohne mündliche Verhandlung einverstanden zu sein. Sie haben ihr Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung damit bei Auslegung ihrer Erklärungen gerade auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt, zumal der Vorsitzende die Revisionszulassung als konkrete Möglichkeit mit hinreichender Deutlichkeit in Aussicht gestellt hatte (zu einem Fall, in dem darauf hingewiesen worden war, dass "aller Voraussicht nach die Revision zuzulassen sein" werde BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 8; zu dem Fall, dass "die Beteiligten ihr protokolliertes Einverständnis mit einer Einzelrichterentscheidung auch für den Fall der Zulassung der Revision erklärt haben" BSG vom 3.12.2009 - B 11 AL 38/08 R - SozR 4-4300 § 53 Nr 4 RdNr 14). Gerade angesichts des Umstands, dass eine Zulassung der Revision durch den Einzelrichter grds nicht in Betracht kommt, mussten die Beteiligten nach dem Hinweis des Vorsitzenden mit einer Revisionszulassung ernstlich rechnen. Dies gilt umso mehr, als mit einer Rentenversicherungsträgerin und einer KK hier professionelle Beteiligte am Verfahren beteiligt sind, denen die Bedeutung des Hinweises des Vorsitzenden und die prozessualen Folgen ihres Einverständnisses bekannt gewesen sein müssen.
2. Das Urteil des LSG ist auch in der Sache nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs sind dem Grunde nach erfüllt, die Klägerin hat aber keinen Anspruch auf Erstattung auch des begehrten Differenzbetrages in Höhe von weiteren 389,55 Euro. Der Anspruch der Klägerin ergibt sich aus § 104 SGB X (dazu a). Dessen Voraussetzungen sind erfüllt und der Anspruch ist nicht ausgeschlossen (dazu b). Der Umfang des Erstattungsanspruchs wird aber durch die von der beklagten KK abgeschlossene Vergütungsvereinbarung nach § 111 Abs 5 SGB V der Höhe nach begrenzt (dazu c).
a) Der Senat hat - wie das SG und ihm folgend das LSG zutreffend erkannt haben - für die bis zum Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl I 3234) gültige Rechtslage bereits entschieden, dass in Fällen, in denen der Reha-Träger auf den Reha-Antrag hin seine Zuständigkeit gegenüber dem Versicherten geprüft und bejaht hat, § 14 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 2 Satz 1 und 2 SGB IX (idF durch Art 1 Nr 2 Gesetz zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom 23.4.2004, BGBl I 606 aF>) für das Erstattungsverhältnis zwischen den Trägern eine nachrangige Zuständigkeit des erstangegangenen Trägers iS des § 104 SGB X begründet, wenn er nach den Zuständigkeitsregelungen außerhalb von § 14 SGB IX unzuständig, ein anderer Träger aber zuständig gewesen wäre (BSG vom 11.9.2018 - B 1 KR 6/18 R - BSGE 126, 269 = SozR 4-3250 § 14 Nr 29, RdNr 12 ff mwN). Diese Grundsätze gelten sinngemäß auch dann, wenn der erstangegangene Träger zunächst zuständig ist, als zuständiger Träger die Leistung bewilligt und vor Erfüllung der Leistungspflicht nach der Zuständigkeitsordnung außerhalb von § 14 SGB IX seine Zuständigkeit verliert; auch dann bleibt der erstangegangene Träger nach § 14 Abs 1 SGB IX im...
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