Urteil Nr. B 10 EG 1/18 R des Bundessozialgericht, 2019-06-27

Judgment Date27 Junio 2019
ECLIDE:BSG:2019:270619UB10EG118R0
Judgement NumberB 10 EG 1/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Elterngeld - Einkommensermittlung - nichtselbstständige Erwerbstätigkeit - Gehaltsnachzahlung - Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses im Bemessungszeitraum - Aufgabe des modifizierten Zuflussprinzips - keine Anbindung an bereichsspezifische lohnsteuerrechtliche Berechnungsregelung - Regelungsabsicht des Gesetzgebers - keine Möglichkeit des Verzichts auf Ausklammerung von Monaten des Bemessungszeitraums
Leitsätze

Bei der Ermittlung des elterngeldrechtlich relevanten Einkommens aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit ist der tatsächliche Zufluss im Bemessungszeitraum maßgeblich (Aufgabe ua von BSG vom 30.9.2010 - B 10 EG 19/09 R = BSGE 107, 18 = SozR 4-7837 § 2 Nr 6).

Tenor

Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 15. Juni 2017 aufgehoben und das Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 1. September 2015 sowie der Bescheid des Beklagten vom 20. Oktober 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25. März 2015 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Elterngeld für ihre am 25. August 2014 geborene Tochter unter Zugrundelegung eines Gesamtbemessungsentgelts von 22 150 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen drei Rechtszügen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Anspruchs auf Elterngeld der Klägerin unter Berücksichtigung einer Gehaltsnachzahlung.

Die Klägerin war vor der Geburt ihrer Tochter am 25.8.2014 in einer Bildungseinrichtung beschäftigt. In den Monaten August bis Oktober 2013 bezog sie von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld. Von ihrem Arbeitgeber erhielt sie Nachzahlungen ihres Bruttogehalts für Juni 2013 im August 2013, für Juli 2013 im September 2013 und für November 2013 im Dezember 2013 in Höhe von jeweils 1900 Euro. In den Folgemonaten von Dezember 2013 bis Juni 2014 erzielte sie ein gleichbleibendes Bruttogehalt in Höhe von 2350 Euro monatlich. Vom 11.7. bis 20.10.2014 bezog sie Mutterschaftsgeld und einen Arbeitgeberzuschuss.

Mit ihrem Antrag auf Elterngeld für die ersten elf Lebensmonate des Kindes verzichtete die Klägerin auf die Ausklammerung des Mutterschaftsgeldbezugsmonats Juli 2014, sofern sich diese für sie negativ auswirke. Der Beklagte bewilligte ihr sodann Elterngeld nach einem Bemessungsentgelt von 20 250 Euro in der Zeit von Juli 2013 bis Juni 2014, ohne die im August 2013 zugeflossene Gehaltsnachzahlung für Juni 2013 und das Insolvenzgeld zu berücksichtigen (Bescheid vom 20.10.2014; Widerspruchsbescheid vom 25.3.2015).

Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin höheres Elterngeld unter Zugrundelegung eines Gesamtbemessungsentgelts von 22 933,33 Euro zu gewähren. Der Bemessungszeitraum sei auf Wunsch der Klägerin auf August 2013 bis Juli 2014 zu verschieben. Die im August und September 2013 erfolgten Gehaltsnachzahlungen für Juni und Juli 2013 seien bei der Bemessung des Elterngelds zu berücksichtigen (Urteil vom 1.9.2015). Das LSG hat die Klage abgewiesen. Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012 (BGBl I 1878) seien bei Gehaltsnachzahlungen die steuerlichen Grundsätze der zeitlichen Zuordnung von Einnahmen zu beachten. Danach seien Nachzahlungen den Lohnzahlungszeiträumen zuzurechnen, für die sie geleistet worden seien (Hinweis auf die Lohnsteuerrichtlinie R 39b.5 Abs 4 S 1). Lägen diese außerhalb des Bemessungszeitraums, seien entsprechende Gehaltsnachzahlungen bei der Elterngeldberechnung nicht zu berücksichtigen. Damit scheide auch eine Verschiebung des Bemessungszeitraums mangels Vorteils für die Klägerin aus (Urteil vom 15.6.2017).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 2 Abs 1 S 3 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) in der ab 18.9.2012 geltenden Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012 (aaO). Das vom BSG zur bisherigen Rechtslage entwickelte modifizierte Zuflussprinzip für die Bemessung des Elterngelds nach Einkünften aus abhängiger Beschäftigung sei nicht mehr maßgebend. Nach dem Willen des Gesetzgebers komme es nur noch darauf an, welches Einkommen der Elterngeldberechtigte im Bemessungszeitraum tatsächlich gehabt habe, unabhängig davon, in welchem Zeitraum er es "erarbeitet" habe, sofern dies noch im steuerrechtlichen Veranlagungszeitraum (dem gleichen Jahr) erfolgt sei. Das LSG verstehe die zeitliche Zuordnung von Einnahmen unter Berücksichtigung der LStR verfehlt dahin, dass Nachzahlungen dem Lohnzahlungszeitraum zuzurechnen seien, für den sie geleistet worden seien. Damit konterkariere es die vom Gesetzgeber beabsichtigte Abkehr von dem modifizierten Zuflussprinzip. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG mit Urteil vom 18.8.2011 (B 10 EG 7/10 R) sei der Bemessungszeitraum auf August 2013 bis Juli 2014 zu verschieben.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 15.6.2017 aufzuheben und die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

sieheDie zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und das Urteil des SG abzuändern (§ 170 Abs 2 S 1 SGG) unter Zurückweisung der Revision im Übrigen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

Die Klägerin hat Anspruch auf höheres Elterngeld nach einem Gesamtbemessungsentgelt in Höhe von 22 150 Euro, weil die ihr im August 2013 zugeflossene Gehaltsnachzahlung für Juni 2013 in Höhe von 1900 Euro elterngelderhöhend zu berücksichtigen ist. Ein Anspruch auf Verschiebung des Bemessungszeitraums wegen des Bezugs von Mutterschaftsgeld steht ihr jedoch nicht zu.

A. Den Streitgegenstand bildet der Anspruch der Klägerin auf höheres Elterngeld. Insoweit begehrt die Klägerin die Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung im August 2013 für Juni 2013 sowie eine Verschiebung des Bemessungszeitraums auf den Zeitraum von August 2013 bis Juli 2014. Dies hat der Beklagte ihr mit Bescheid vom 20.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.3.2015 (§ 95 SGG) versagt. Allein hiergegen wendet sich die Klägerin zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 SGG; vgl hierzu Senatsurteil vom 21.6.2016 - B 10 EG 8/15 R - BSGE 121, 222 = SozR 4-7837 § 2b Nr 1, RdNr 14 mwN).

B. Die zulässige Klage ist überwiegend begründet und die Klägerin durch die angefochtenen Bescheide beschwert (§ 54 Abs 2 SGG). Die Klägerin kann dem Grunde nach Elterngeld beanspruchen (dazu unter 1.). Sie hat auch Anspruch auf höheres Elterngeld (dazu unter 2.). Der Beklagte hat zwar bei der Bemessung des Elterngelds der Klägerin im Ergebnis zu Recht als Bemessungszeitraum die Zeit von Juli 2013 bis Juni 2014 zugrunde gelegt (dazu unter 2.a.). Bei der Berechnung der Höhe des Elterngeldanspruchs der Klägerin ist jedoch auch die Gehaltsnachzahlung im August 2013 für Juni 2013 zu berücksichtigen (dazu unter 2.b.), sodass ein Gesamtbemessungsentgelt in Höhe von 22 150 Euro zugrunde zu legen ist (dazu unter 2.c.).

1. Die Klägerin kann dem Grunde nach Elterngeld für die Betreuung und Erziehung ihrer Tochter beanspruchen. Die Grundvoraussetzungen des Elterngelds richten sich aufgrund der Geburt der Tochter der Klägerin vor dem 1.1.2015 gemäß § 27 Abs 1 S 1 BEEG (idF der Bekanntmachung vom 27.1.2015, BGBl I 33) noch nach der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung des § 1 Abs 1 BEEG (idF vom 5.12.2006, BGBl I 2748). Wie von § 1 Abs 1 Nr 1 bis 4 BEEG vorausgesetzt, hatte die Klägerin nach den für den Senat nach § 163 SGG bindenden Feststellungen des LSG im Bezugszeitraum des Elterngelds vom 25.8.2014 bis 24.7.2015 ihren Wohnsitz in Deutschland, lebte in einem Haushalt mit ihrem drittgeborenen Kind, dass sie selbst betreute und erzog und übte keine volle Erwerbstätigkeit aus iS von § 1 Abs 6 BEEG (idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012, BGBl I 1878).

2. Die Klägerin hat Anspruch auf höheres Elterngeld. Nach § 2 Abs 1 S 1 und 2 BEEG (idF vom 10.9.2012, aaO) bestimmt sich die Höhe des Elterngelds nach dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes, wird in Höhe von 67 % dieses Einkommens gewährt und bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für alle Monat gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. Entsprechend diesen Vorgaben ist die hier streitige Gehaltsnachzahlung im August 2013 als Teil des der Klägerin gezahlten laufenden Arbeitslohns bei der Bemessung des Elterngelds heranzuziehen. Sie gehört zu den im Bemessungszeitraum (dazu unter a.) erhaltenen Einnahmen aus Erwerbstätigkeit und erhöht den Anspruch...

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