Urteil Nr. B 10 EG 2/19 R des Bundessozialgericht, 2020-06-25

Judgment Date25 Junio 2020
ECLIDE:BSG:2020:250620UB10EG219R0
Judgement NumberB 10 EG 2/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Elterngeld - Einkommensermittlung - nichtselbstständige Erwerbstätigkeit - monatlicher Zahlungszeitraum des Grundgehalts - Berücksichtigung von ebenfalls monatlich gezahlten Provisionen als laufender Arbeitslohn - Entfallen der Bindungswirkung der Lohnsteueranmeldung bei nachfolgendem Einkommensteuerbescheid - Erhöhung des Elterngelds durch monatliche Provisionen im Bemessungszeitraum - korrespondierende Minderung des Elterngelds durch monatliche Provisionen im Bezugszeitraum - Berücksichtigung einer Lohnnachzahlung im Elterngeldbezug - strenges Zuflussprinzip - sozialgerichtliches Verfahren - Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit - Zurückverweisung
Leitsätze

Fortlaufend und wiederkehrend ausgekehrte Provisionen erhöhen den Elterngeldanspruch, wenn sie im Bemessungszeitraum gezahlt werden, und mindern ihn spiegelbildlich bei Zahlung im Bezugszeitraum.

Tenor

Auf die Revision des beklagten Freistaats wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2019 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt höheres Elterngeld unter Berücksichtigung von monatlich ausgezahlten Provisionen.

Der Kläger ist Vater des am 10.3.2017 geborenen Kindes J. Während des Bezugszeitraums lebte er mit der Mutter und seinem Sohn in einem gemeinsamen Haushalt in Deutschland, betreute und erzog seinen Sohn selbst und übte keine Erwerbstätigkeit aus.

Vor (und nach) der Geburt des Sohnes arbeitete der Kläger in abhängiger Beschäftigung als Autoverkäufer. Auf der Basis des Arbeitsvertrages erhielt er im Jahr 2016 ausweislich der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen ua eine feste Vergütung iHv 1000 Euro pro Monat. Zusätzlich waren im Arbeitsvertrag Provisionen für Fahrzeugverkäufe (Festprovisionen, Zubehörprovisionen, Finanzierungsprovisionen) vorgesehen, die sich im Jahr 2016 zwischen 950 Euro und 4315,50 Euro pro Monat bewegten. Diese Provisionen wurden ausweislich der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen von dem Arbeitgeber lohnsteuerrechtlich als sonstige Bezüge behandelt. In Bezug auf den Zahlungszeitpunkt war vereinbart, dass die Vergütung "am Letzten eines Monats" fällig ist. Des Weiteren betrieb der Kläger als Einzelunternehmer einen Gewerbebetrieb. Der Einkommensteuerbescheid für 2016 erging am 28.6.2017.

Mit vorläufigem Bescheid vom 16.5.2017 bewilligte der Beklagte dem Kläger antragsgemäß Elterngeld für den ersten (10.3. bis 9.4.2017) und den zwölften Lebensmonat (10.2. bis 9.3.2018) seines Sohnes. Die monatlichen Leistungen betrugen in beiden Bezugsmonaten jeweils 587,86 Euro. Als Bemessungszeitraum zog der Beklagte das Kalenderjahr 2016 heran. Die Provisionen berücksichtigte er bei der Bemessung des Elterngelds nicht.

Der Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 13.6.2017 zurück. Die Provisionen seien vom Arbeitgeber jeweils als "sonstiger Bezug" im Lohnsteuerabzugsverfahren behandelt worden und daher nicht berücksichtigungsfähig.

Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 20.9.2018 die Klage unter Hinweis auf die Bindungswirkung der Lohnsteueranmeldung des Arbeitgebers abgewiesen. Das LSG hat mit Urteil vom 26.2.2019 den Beklagten zur Zahlung höheren Elterngelds unter Berücksichtigung der Provisionen verurteilt. Die monatlichen Provisionszahlungen seien als laufender Arbeitslohn bei der Bemessung des Elterngelds zu berücksichtigen. Die Anmeldung der Provisionen zur Lohnsteuer als sonstige Bezüge sei materiell unzutreffend gewesen. Eine Bindungswirkung der Lohnsteueranmeldung könne es für das Elterngeldrecht nicht geben.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 2c Abs 1 Satz 2 des Gesetzes zum Elterngeld und zur Elternzeit (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz - BEEG). Die Behandlung von Entgeltbestandteilen im Lohnsteuerabzugsverfahren binde die Beteiligten des Elterngeldverfahrens. Daher komme es nicht darauf an, ob die Provisionen des Klägers materiell-rechtlich als sonstige Bezüge zu betrachten seien. Im Übrigen sei die Richtigkeitsvermutung der Lohn- und Gehaltsbescheinigungen nicht widerlegt.

Der beklagte Freistaat beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 26. Februar 2019 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 20. September 2018 zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene LSG-Urteil.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil beide Beteiligten sich damit einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs 2, § 153 Abs 1, § 165 Satz 1 SGG).

Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass die an den Kläger gezahlten Provisionen als laufender Arbeitslohn bei der Elterngeldbemessung zu berücksichtigen sind. Dennoch reichen die Feststellungen des LSG nicht aus, um abschließend zu entscheiden, ob dem Kläger für das begehrte Grundurteil im Höhenstreit mit der nötigen Wahrscheinlichkeit mehr Elterngeld als bisher bewilligt zusteht. Denn spiegelbildlich zum Bemessungszeitraum sind auch im Bezugszeitraum Einnahmen des Klägers - etwa durch berücksichtigungsfähige Provisionen - zu beachten, die in diesem Zeitraum leistungsmindernd wirken.

Zwar erfüllt der Kläger die Grundvoraussetzungen für einen Elterngeldanspruch nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG (dazu unter A). Auch sind die im Bemessungszeitraum bezogenen Provisionen des Klägers nach den materiellen lohnsteuerrechtlichen Vorgaben nicht als sonstige Bezüge, sondern als laufender Arbeitslohn zu behandeln (dazu unter B). Dem steht die Bestandskraft der Lohnsteueranmeldungen nicht entgegen, mit denen der Arbeitgeber die Provisionen fehlerhaft als sonstige Bezüge angemeldet hatte. Denn die Bindungswirkung der Lohnsteueranmeldungen ist mit dem gegenüber dem Kläger ergangenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2016 entfallen (dazu unter C). Jedoch fehlen ausreichende Feststellungen für eine Entscheidung, ob die Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung höheren Elterngelds trotz Einkommens des Klägers im Bezugszeitraum - insbesondere aufgrund von Provisionen - weiterhin erfüllt sind (dazu unter D).

A. Dem Kläger steht dem Grunde nach Elterngeld für den ersten und den zwölften Lebensmonat seines Sohnes (10.3. bis 9.4.2017 und 10.2. bis 9.3.2018) zu. Er erfüllt die Grundvoraussetzungen des Elterngeldanspruchs nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG (in der hier maßgeblichen ab dem 1.1.2015 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom 18.12.2014, BGBl I 2325). Wie in § 1 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4 BEEG vorausgesetzt, hatte der Kläger nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im Bezugszeitraum des Elterngelds seinen Wohnsitz in Deutschland, lebte in einem Haushalt mit dem von ihm selbst betreuten und erzogenen Kind und übte im Bezugszeitraum keine (volle) Erwerbstätigkeit iS von § 1 Abs 6 BEEG (idF des Gesetzes vom 18.12.2014, aaO) aus.

B. Die von Januar bis Dezember 2016 monatlich und ohne Lücken aufeinanderfolgend gezahlten Provisionen sind bei der Bemessung der Höhe des Elterngeldanspruchs zu berücksichtigen.

Die Höhe des Elterngelds bemisst sich nach § 2 BEEG (idF des Gesetzes vom 18.12.2014, aaO). Wie § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG insoweit bestimmt, wird Elterngeld iHv 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes gewährt. Es wird bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. War das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höher als 1200 Euro, sinkt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je zwei Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent (§ 2 Abs 1, Abs 2 Satz 2 BEEG idF des Gesetzes vom 18.12.2014, aaO).

1. Als Bemessungszeitraum hat der Beklagte zutreffend den Zeitraum von Januar bis Dezember 2016 herangezogen. Wurde - wie hier - vor der Geburt des Kindes sowohl Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit iS von § 2c BEEG erzielt als auch Einkommen aus selbstständiger...

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