Urteil Nr. B 10 EG 3/18 R des Bundessozialgericht, 2019-06-27
Judgment Date | 27 Junio 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:270619UB10EG318R0 |
Judgement Number | B 10 EG 3/18 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Auf die Revision des beklagten Freistaats werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. November 2017 und des Sozialgerichts München vom 21. Oktober 2015 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten sind in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld wegen einer Gehaltsnachzahlung.
Die Klägerin ist österreichische Staatsangehörige. Vor der Geburt ihres Kindes am 15.7.2014 war sie beim Beklagten in einem befristeten Arbeitsverhältnis als Gymnasiallehrerin beschäftigt. Bei Antritt ihrer Arbeitsstelle im September 2013 wurde sie zunächst in die Gehaltsstufe E 12/1 eingestuft, Ende 2013 dann rückwirkend in die höhere Gehaltsstufe E 12/3. Die Nachzahlung der Gehaltsdifferenz erhielt die Klägerin erst im Februar 2014. Lohnsteuerrechtlich wurde die Nachzahlung für Januar 2014 als laufender Arbeitslohn behandelt, diejenige für die Monate September bis Dezember 2013 in Höhe von 1171,53 Euro dagegen als Einmalzahlung (sonstiger Bezug).
Der beklagte Freistaat bewilligte der Klägerin Elterngeld für den 3. bis 12. Lebensmonat in Höhe von 612,37 Euro monatlich (Bescheid vom 29.9.2014). Als Bemessungszeitraum legte er auf ausdrücklichen Wunsch der Klägerin die Monate Juli 2013 bis Juni 2014 zugrunde, obwohl sie im Juni 2014 bereits Mutterschaftsgeld bezogen hatte.
Den auf Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung für 2013 gerichteten Widerspruch der Klägerin wies der Beklagte unter Hinweis auf deren lohnsteuerrechtliche Behandlung als sonstiger Bezug zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.12.2014).
Das SG hat den Beklagten verurteilt, der Klägerin höheres Elterngeld unter Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung zu gewähren. Die lohnsteuerrechtliche Differenzierung zwischen den für die Jahre 2013 und 2014 nachgezahlten Bezügen sei nach Sinn und Zweck des Elterngelds nicht gerechtfertigt (Urteil vom 21.10.2015).
Das LSG hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 23.11.2017). Lohnsteuerrechtlich habe der Arbeitgeber der Klägerin die im Februar 2014 erfolgte Nachzahlung für Zeiträume im Kalenderjahr 2013 zutreffend als sonstigen Bezug behandelt. Im Elterngeldrecht gelte jedoch auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012 (BGBl I 1878) das modifizierte Zuflussprinzip. Danach sei der Zufluss in dem Monat anzunehmen, in dem das verspätete ausgezahlte Arbeitsentgelt eigentlich geschuldet worden sei. Die strikte Anwendung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften auf Nachzahlungen im Rahmen des § 2c Abs 1 S 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) führe zu nicht hinnehmbaren Zufallsergebnissen und verstoße gegen Art 3 Abs 1 GG.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 2c Abs 1 S 2 BEEG (in der vom 18.9.2012 bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012 <BGBl I 1878> und in der ab 1.1.2015 geltenden Fassung des Gesetzes zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im BEEG vom 18.12.2014 <BGBl I 2325> bzw idF der Bekanntmachung der Neufassung des BEEG vom 27.1.2015 <BGBl I 33>). Die lohnsteuerrechtliche Handhabung der Gehaltsnachzahlung durch den Dienstherrn als sonstiger Bezug habe dem materiellen Lohnsteuerrecht entsprochen. Elterngeldrechtlich komme es allein auf die lohnsteuerrechtliche Behandlung der Einnahmen an, weshalb die Gehaltsnachzahlung für die Bemessung des Elterngelds unberücksichtigt zu bleiben habe. Unabhängig von der bindenden Wirkung einer bestandskräftigen Lohnsteueranmeldung des Arbeitgebers sei bedingt durch die strikte Anbindung des Elterngeldrechts an das Steuerrecht materiell-rechtlich alles, was lohnsteuerrechtlich sonstiger Bezug sei, auch elterngeldrechtlich sonstiger Bezug. Fänden aber sonstige Bezüge elterngeldrechtlich keine Berücksichtigung, sei die Frage ihrer zeitlichen Zuordnung obsolet. Für das modifizierte Zuflussprinzip bleibe kein Raum mehr. Der Umstand, dass die elterngeldrechtliche Nichtberücksichtigung der Gehaltsnachzahlung möglicherweise auf einem (ggf sogar schuldhaften) Fehlverhalten des Arbeitgebers des Elterngeldberechtigten beruhe, gebiete keine differenzierende Betrachtung.
Der beklagte Freistaat beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.11.2017 und des Sozialgerichts München vom 21.10.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die nicht vertretene Klägerin hat sich zur Sache nicht geäußert und keinen Antrag gestellt.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld. Der Bescheid des Beklagten vom 29.9.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.2014 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Vorinstanzen haben den Beklagten zu Unrecht verurteilt, der Klägerin höheres Elterngeld unter Berücksichtigung der im Februar 2014 zugeflossenen Gehaltsnachzahlung für die Monate September bis Dezember 2013 zu zahlen. Die von ihm angefochtenen Urteile der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Klägerin steht zwar für den dritten bis zwölften Lebensmonat ihres Kindes das beantragte Elterngeld zu (dazu unter 1.). Bei der Bemessung des Elterngelds ist jedoch die Gehaltsnachzahlung von Februar 2014 nicht heranzuziehen (dazu unter 2.).
1. Der Klägerin steht Elterngeld für den 3. bis 12. Lebensmonat ihres Kindes (15.9.2014 bis 14.7.2015) zu. Die Grundvoraussetzungen des Elterngelds richten sich wegen der Geburt ihres Kindes vor dem 1.1.2015 gemäß § 27 Abs 1 S 1 BEEG (idF der Bekanntmachung vom 27.1.2015, BGBl I 33) noch nach der bis zum 31.12.2014 geltenden Fassung des § 1 Abs 1 BEEG (idF vom 5.12.2006, BGBl I 2748). Wie von § 1 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 4 BEEG vorausgesetzt, hatte die Klägerin nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) im Bezugszeitraum des Elterngelds ihren Wohnsitz in Deutschland, lebte in einem Haushalt mit dem von ihr selbst betreuten und erzogenen Kind und übte keine Erwerbstätigkeit aus.
Wie das LSG für den Senat ebenfalls bindend festgestellt hat, war die Klägerin als österreichische Staatsbürgerin zum Zeitpunkt der Anspruchsentstehung jedenfalls gemäß § 2 Abs 2 Nr 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) unionsrechtlich freizügigkeitsberechtigt, weil sie sich als Arbeitnehmerin in Deutschland aufhielt; die Einschränkungen des § 1 Abs 7 BEEG für nicht freizügigkeitsberechtigte Ausländer galten daher für sie nicht.
2. Die Gehaltsnachzahlung von Februar 2014 ist zur Bemessung des Elterngelds nicht heranzuziehen. Elterngeld wird in Höhe von 67 Prozent des vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich im Bemessungszeitraum bezogenen monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit hat. In den Fällen, in denen das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt wie hier geringer als 1000 Euro war, steigt der Prozentsatz von 67 Prozent um 0,1 Prozentpunkte für je 2 Euro, um die dieses Einkommen den Betrag von 1000 Euro unterschreitet, auf bis zu 100 Prozent (§ 2 Abs 1 S 1 und 2, Abs 2 S 1 BEEG idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012, BGBl I 1878).
Die Gehaltsnachzahlung von Februar 2014 gehört zwar zu den Einnahmen der Klägerin aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum (dazu unter a). Sie erhöht aber nicht den Anspruch der Klägerin auf Elterngeld, weil sie nach § 2c Abs 1 S 2 BEEG nicht beim Bemessungsentgelt zu berücksichtigen ist. Denn die Gehaltsnachzahlung ist lohnsteuerrechtlich als sonstiger Bezug zu behandeln und ist im Lohnsteuerabzugsverfahren auch zutreffend so behandelt worden (dazu unter b). Verfassungsrechtliche Bedenken hiergegen bestehen nicht (dazu unter c).
a. Die im Februar 2014 auf das Konto der Klägerin eingegangene Gehaltsnachzahlung für die Monate September bis Dezember 2013 gehört ebenso wie das regelmäßig von September 2013 bis Mai 2014 gezahlte monatliche Gehalt zu den Einnahmen der Klägerin aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit im Bemessungszeitraum.
Wie das LSG zu Recht angenommen hat, reichte der Bemessungszeitraum entgegen der Handhabung des Beklagten von Juni 2013 bis Mai 2014. Die Klägerin hatte vor der Geburt ihres Kindes nur Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit iS von § 2c BEEG erzielt; daher erstreckte sich der Bemessungszeitraum gemäß § 2b Abs 1 S 1 BEEG (idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs, aaO) an sich auf die 12 Kalendermonate vor dem Geburtsmonat des Kindes. Allerdings bleiben nach § 2b Abs 1 S 2 Nr 2 Alt 2 BEEG Kalendermonate mit Bezug von Mutterschaftsgeld nach dem SGB V unberücksichtigt. Diese Regelung ist zwingend. Von ihrer Anwendung kann nicht einmal dann abgesehen werden, wenn die Verlängerung des Bemessungszeitraums in die Vergangenheit zu einem geringeren Elterngeldanspruch führt (Senatsurteil vom 16.3.2017 - B 10 EG 9/15 R - SozR 4-7837 § 2b Nr 4 RdNr 35 mwN). Der Beklagte hätte deshalb den Juni 2014 aus dem Bemessungszeitraum ausklammern und an seiner Stelle den Juni 2013 einbeziehen müssen.
Auf der Grundlage der für den zutreffenden Bemessungszeitraum von Juni 2013 bis Mai 2014 ermittelten Einkünfte richtet sich das für die Elterngeldberechnung maßgebliche Einkommen nach den Bestimmungen der §§ 2c bis 2f BEEG. Einkommen aus nichtselbstständiger Erwerbstätigkeit berechnet sich aus der Summe der positiven Einkünfte, die im Inland zu versteuern sind und die die berechtigte Person durchschnittlich monatlich im Bemessungszeitraum nach § 2b BEEG hat (§ 2 Abs 1 S 3 Nr 1 BEEG idF des Gesetzes vom 10.9.2012, aaO). Der monatlich durchschnittlich zu berücksichtigende Überschuss der Einnahmen in Geld oder Geldeswert über einem Zwölftel des Arbeitnehmer-Pauschbetrags, vermindert...
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