Urteil Nr. B 10 EG 3/20 R des Bundessozialgericht, 2021-03-18

Judgment Date18 Marzo 2021
ECLIDE:BSG:2021:180321UB10EG320R0
Judgement NumberB 10 EG 3/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Elterngeld Plus - Anrechnung von Krankengeld im Bezugszeitraum - Differenzberechnung - Verfassungsmäßigkeit - Gleichheitssatz - Sozialstaatsprinzip
Leitsätze

Krankengeld wird nicht nur auf das Basiselterngeld angerechnet, sondern auch auf das Elterngeld Plus.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 6. November 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld ohne Anrechnung von Krankengeld.

Die Klägerin ist Mutter eines am 8.7.2015 geborenen Sohns. Mit diesem und dem Kindsvater lebte sie in einem gemeinsamen Haushalt in Deutschland. Sie betreute und erzog ihr Kind selbst. Vor der Geburt ihres Sohnes war die Klägerin einer Vollzeitbeschäftigung nachgegangen und hatte zudem im geringen Umfang als selbstständige Rechtsanwältin gearbeitet. Für die ersten vier Lebensmonate ihres Sohnes wählte die Klägerin Basiselterngeld. Ab dem fünften Lebensmonat beantragte sie wegen einer beabsichtigten Teilzeittätigkeit Elterngeld Plus.

Mit Bescheiden vom 17.11. und 29.12.2015 bewilligte der Beklagte der Klägerin vorläufig Basiselterngeld für die ersten vier Lebensmonate und Elterngeld Plus für den fünften bis zwölften Lebensmonat des Kindes. Für den Zeitraum des Elterngeld Plus-Bezugs ermittelte der Beklagte einen vorläufigen Zahlbetrag von monatlich 634,45 Euro.

Nach Ende ihres Mutterschutzes nahm die Klägerin ihre Erwerbstätigkeit im Umfang von unter 30 Wochenstunden wieder auf. Bedingt durch eine Erkrankung bezog die Klägerin jedoch ab dem 7.4.2016 - jedenfalls bis zum Ablauf des Elterngeldbezugszeitraums - kein Erwerbseinkommen mehr, sondern Krankengeld. Aufgrund dessen bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 12.9.2016 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2017 endgültig Elterngeld Plus für den fünften bis achten Lebensmonat in Höhe von monatlich 828,36 Euro, für den neunten Lebensmonat in Höhe von 801,64 Euro und für den zehnten bis zwölften Lebensmonat in Höhe des Sockelbetrags von monatlich 150 Euro. Grund für die geringere Bewilligung ab dem neunten Lebensmonat war die Anrechnung des Krankengelds. Gegenüber der vorläufigen Bewilligung kam es zu einer Überzahlung von 609,88 Euro, die der Beklagte zurückforderte.

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben, mit der sie den Bezug von Elterngeld Plus für den neunten bis zwölften Lebensmonat des Kindes ohne Anrechnung von Krankengeld begehrt. Das SG hat der Klage unter Verweis auf den Sinn und Zweck der Anrechnungsregelung stattgegeben (Urteil vom 21.5.2019). Das LSG hat die Klage auf die Berufung des Beklagten abgewiesen. Die von der Klägerin beanstandete Anrechnung sei auch für das Elterngeld Plus ausdrücklich vorgesehen. Für eine weitergehende Auslegung oder Rechtsfortbildung sei kein Raum. Der verfassungsrechtliche Gleichheitssatz werde hierdurch nicht verletzt. Im Ergebnis eröffne das Elterngeld Plus lediglich eine Option auf höhere Gesamtleistungen, deren tatsächliche Realisierung verbleibe jedoch in der Risikosphäre der betroffenen Eltern (Urteil vom 6.11.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 4 Abs 3 iVm § 3 Abs 1 Satz 1 Nr 5 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes (BEEG). Wenn auf das Elterngeld Plus auch Krankengeld angerechnet werde, das nachgeburtliches (Teilzeit-)Einkommen ersetze, könne das Elterngeld sein Ziel, die Teilzeitarbeit während des Elterngeldbezugs zu fördern, nicht verwirklichen. Die finanzielle Sicherung ihrer Familie habe sich nach der Geburt des Kindes auf zwei Säulen, nämlich Erwerbseinkommen in Teilzeit und Elterngeld, gestützt. Die durch die Erkrankung weggefallene Säule des Erwerbseinkommens sei durch das Krankengeld ersetzt worden. Ließe das Krankengeld darüber hinaus auch die existenzsichernde Säule des Elterngelds entfallen, gehe dies über das "normale" eigene Risiko der weiteren Arbeitsfähigkeit hinaus. Eine derartige Vermischung von Elterngeld und Krankengeld sei nicht gewollt und auch sozialpolitisch nicht vertretbar. Trotz Vollzeittätigkeit vor der Geburt verbleibe ihr für den zehnten bis zwölften Lebensmonat ihres Kindes lediglich Elterngeld in Höhe des (halben) Mindestbetrags. Dies verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und tangiere auch das Sozialstaatsprinzip. Die Möglichkeit, das gewählte Modell im Nachhinein zu ändern - auf die das LSG hingewiesen habe -, sei Bestandteil der Beratungspflicht des Beklagten, der dieser nur unzureichend nachgekommen sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 6. November 2019 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Lüneburg vom 21. Mai 2019 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene LSG-Urteil. Ergänzend trägt er vor, eine Beratung sei im Streitfall bereits deswegen nicht möglich gewesen, da die Klägerin die Tatsache, dass sie Krankengeld beziehe, trotz Hinweises im Leistungsbescheid nicht frühzeitig, sondern erst im Rahmen der endgültigen Bewilligung nach Beendigung des Bezugszeitraums mitgeteilt habe.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höheres Elterngeld Plus. Nach den nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ist die Anrechnung des im Bezugszeitraum von der Klägerin bezogenen Krankengelds zu Recht erfolgt.

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der zulässigerweise im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4, § 56 SGG) verfolgte Anspruch der Klägerin auf höheres Elterngeld.

Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe der mit Bescheid vom 12.9.2016 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2017 (§ 95 SGG) erfolgten endgültigen Bewilligung von Elterngeld Plus für den neunten bis zwölften Lebensmonat ihres Sohnes sowie die sich daraus ergebende Rückforderung des überzahlten Betrags. Mit ihrem bezifferten Leistungsantrag macht sie daneben zulässigerweise einen Anspruch auf höheres, über die vorläufige Bewilligung hinausgehendes Elterngeld geltend (vgl zur Zulässigkeit auch eines Grundurteils im Höhenstreit zB Senatsurteil vom 25.6.2020 - B 10 EG 2/19 R - SozR 4-7837 § 2c Nr 8 RdNr 33 mwN).

B. Der Klägerin steht jedenfalls kein höheres Elterngeld zu, als der Beklagte mit Bescheid vom 12.9.2016 idF des Widerspruchsbescheids vom 29.3.2017 endgültig bewilligt hat. Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld während der Betreuung ihres Sohnes richtet sich nach dem BEEG (grundsätzlich in der hier maßgeblichen ab 1.1.2015 geltenden Fassung durch das Gesetz zur Einführung des Elterngeld Plus mit Partnerschaftsbonus und einer flexibleren Elternzeit im Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vom 18.12.2014, BGBl I 2325). Die Klägerin war dem Grunde nach zum Bezug von Elterngeld berechtigt (dazu unter 1.). Die Berechnung des Elterngelds beinhaltet keine Fehler zu ihren Lasten (dazu unter 2.), insbesondere die Anrechnung des Krankengelds erfolgte zu Recht (dazu unter 3.). Verfassungsrechtliche Bedenken bestehen insoweit nicht (dazu unter 4.). Die Klägerin kann auch keinen weitergehenden Anspruch aus dem behaupteten Verstoß des Beklagten gegen Beratungspflichten herleiten (dazu unter 5.). Der Beklagte darf daher das überzahlte Elterngeld zurückfordern (dazu unter 6.).

1. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für Elterngeld dem Grunde nach. Nach § 1 Abs 1 Satz 1 BEEG hat Anspruch auf Elterngeld, wer 1. einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat, 2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt, 3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und 4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit iS von § 1 Abs 6 BEEG ausübt. Nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) lagen diese Voraussetzungen im Bezugszeitraum vor.

2. Die Höhe des Elterngelds bemisst sich nach § 2 BEEG, wobei für die Berechnung des Elterngeld Plus die Vorgaben des § 4 Abs 3 BEEG ergänzend zu berücksichtigen sind.

a) Nach § 2 Abs 1 Satz 1 und 2 BEEG (idF des Gesetzes zur Vereinfachung des Elterngeldvollzugs vom 10.9.2012, BGBl I 1878) wird Elterngeld in Form des sogenannten Basiselterngelds bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt, in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt. Es beträgt grundsätzlich 67 Prozent des Einkommens aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt des Kindes. War dieses Einkommen - wie im Streitfall - höher als 1200 Euro, sinkt der Prozentsatz von 67 um 0,1 Prozentpunkte für je zwei Euro, um die dieses Einkommen aus Erwerbstätigkeit den Betrag von 1200 Euro überschreitet, auf bis zu 65 Prozent (§ 2 Abs 2 Satz 2 BEEG idF des Gesetzes vom 10.9.2012, aaO). Erzielt die berechtigte Person nach der Geburt des Kindes Einkommen aus Erwerbstätigkeit, das durchschnittlich geringer ist als das Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, wird das Elterngeld in Höhe des maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrags dieser Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt (sogenannte Differenzmethode), wobei als Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt höchstens 2770 Euro anzusetzen sind (§ 2 Abs 3 Satz 1 und 2 BEEG idF des Gesetzes vom 10.9.2012, aaO). § 2 Abs 4 Satz 1 BEEG (idF des Gesetzes vom 10.9.2012, aaO) sieht für das Basiselterngeld als Mindestelterngeld einen monatlichen Betrag von 300 Euro vor.

Als Einkommen aus Erwerbstätigkeit definiert § 2 Abs 1 Satz 3 BEEG (idF des Gesetzes vom 10.9.2012, aaO) die nach Maßgabe der §§ 2c bis 2f BEEG um die Abzüge für Steuern und Sozialabgaben verminderte "Summe der positiven Einkünfte" aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit nach § 2 Abs 1 Satz 1 Nr 1 bis 4 Einkommensteuergesetz (EStG). Hinsichtlich des Bemessungszeitraums wird zwischen der Ermittlung des Einkommens aus...

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