Urteil Nr. B 11 AL 11/18 R des Bundessozialgericht, 2019-05-07

Judgment Date07 Mayo 2019
ECLIDE:BSG:2019:070519UB11AL1118R0
Judgement NumberB 11 AL 11/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Förderung der ganzjährigen Beschäftigung - Anspruch auf Saison-Kurzarbeitergeld und ergänzende Leistungen - Einsatz auf Baustellen im Ausland - Beschränkung auf Inlandsbeschäftigung - Verfassungsmäßigkeit - Europarechtskonformität
Leitsätze

Saison-Kurzarbeitergeld ist nicht für einen im Ausland eingetretenen Arbeitsausfall zu erbringen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit sind Saison-Kug für Arbeitnehmer der Klägerin und weitere das Saison-Kug ergänzende Leistungen.

Die Klägerin ist ein im Inland ansässiges Unternehmen, das auf Baustellen der Auftragnehmer Arbeiten in Lohnarbeit ausführt. Im Februar 2012 ließ sie Schalungs-, Beton- und Rohbauarbeiten auf einer jeweils in Deutschland und Luxemburg sowie fünf in Österreich gelegenen Baustellen ausführen, im März 2012 auf jeweils einer Baustelle in Deutschland und Luxemburg.

Auf entsprechende Anträge der Klägerin bewilligte die Beklagte wegen des Arbeitsausfalls bei den im Inland eingesetzten Arbeitnehmern Saison-Kug sowie Mehraufwands-Wintergeld und erstattete Sozialversicherungsbeiträge für Februar 2012 in Höhe von 2732,41 Euro (Saison-Kug 1598,49 Euro, Mehraufwands-Wintergeld 32,50 Euro, Sozialversicherungsbeiträge 1101,42 Euro) und für März 2012 in Höhe von 1191,81 Euro (Saison-Kug 707,95 Euro, Sozialversicherungsbeiträge 483,86 Euro). Die weitergehenden Anträge auf entsprechende Leistungen für die auf Auslandsbaustellen beschäftigten Arbeitnehmer lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, Arbeitsausfälle auf Auslandsbaustellen könnten aufgrund des Territorialitätsprinzips keine Ansprüche auf Saison-Kug und ergänzende Leistungen begründen (Bescheid vom 10.5.2012 und Widerspruchsbescheid vom 10.7.2012 betreffend Februar 2012; Bescheid vom 23.4.2012 und Widerspruchsbescheid vom 11.7.2012 betreffend März 2012).

Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des SG vom 8.4.2014; Urteil des LSG vom 28.6.2018). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die bezweckte Förderung ganzjähriger Beschäftigung im Bereich der Bauwirtschaft ziele auf den inländischen Arbeitsmarkt. Eine Winterbauförderung von Auslandsbaustellen komme daher nicht in Betracht. Das BSG habe dies für die ergänzenden Leistungen bereits entschieden. Für das Saison-Kug könne nichts anderes gelten. Die Winterbauförderung stelle ein geschlossenes, miteinander verzahntes System dar. Verfassungsrecht werde dadurch ebenso wenig verletzt wie Europarecht. Die VO (EG) 883/2004 sei nur auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit anwendbar, wozu das Saison-Kug nicht zähle. Ein Verstoß gegen die bereits primärrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit liege nach der Rechtsprechung des EuGH bei Annahme einer Entsendung nicht vor.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin neben einer unterlassenen Vorlage des Verfahrens an den EuGH die Verletzung von §§ 175 und 175a SGB III aF. Eine Förderung der Baubranche erfolge auch durch die Einbeziehung der auf ausländischen Baustellen tätigen Arbeitnehmer im Falle der Annahme von Aufträgen aus dem Ausland. Es erschließe sich nicht, weshalb der ins Ausland entsandte Arbeitnehmer anders als der im Inland verbleibende Arbeitnehmer keinen Anspruch habe, selbst wenn beide den gleichen Witterungsverhältnissen unterworfen seien und Zahlungen an die Arbeitslosenversicherung entrichteten.

Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Koblenz vom 8. April 2014 und des Urteils des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Juni 2018 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 10. Mai 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2012 und des Bescheides vom 23. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Juli 2012 die Beklagte zu verurteilen, ihr Saison-Kurzarbeitergeld nebst ergänzender Leistungen für die Monate Februar und März 2012 unter Berücksichtigung der witterungsbedingt auf den Baustellen in Österreich und Luxemburg ausgefallenen Arbeitsstunden zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat ohne Verletzung von Bundesrecht (§ 162 SGG) ihre Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückgewiesen, denn ein Anspruch auf weiteres Saison-Kug und ergänzende Leistungen, einschließlich der Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen, besteht nicht.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den Entscheidungen der Vorinstanzen der Bescheid vom 10.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.7.2012 sowie der Bescheid vom 23.4.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2012. Mit den angefochtenen Bescheiden hat die Beklagte hinsichtlich der auf Auslandsbaustellen beschäftigten Arbeitnehmer der Klägerin die Zahlung von Saison-Kug und ergänzenden Leistungen sowie die pauschalierte Erstattung von Sozialversicherungsbeiträgen für die Monate Februar und März 2012 abgelehnt. Gegen diese Entscheidung im Leistungsverfahren (vgl zum zweistufig ausgestalteten Verwaltungsverfahren BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 RdNr 16) wendet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1, 4 SGG (vgl BSG vom 21.6.2018 - B 11 AL 4/17 R - juris RdNr 14 mwN), zulässigerweise gerichtet auf ein Grundurteil (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG). Dabei macht sie Ansprüche der Arbeitnehmer ihres Betriebs auf Saison-Kug und ergänzende Leistungen zu Recht im Wege der Prozessstandschaft geltend (vgl nur BSG vom 14.9.2010 - B 7 AL 21/09 R - SozR 4-4300 § 173 Nr 1 RdNr 10 mwN).

2. Rechtsgrundlage für die geltend gemachten Ansprüche auf Saison-Kug ist § 175 Abs 1 SGB III (in der ab dem 1.4.2006 geltenden Fassung des Gesetzes zur Förderung ganzjähriger Beschäftigung vom 24.4.2006, BGBl I 926), der dem ab dem 1.4.2012 geltenden § 101 SGB III (in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011, BGBl I 2854) entspricht. Danach haben Arbeitnehmer in der Zeit vom 1.12. bis 31.3. (Schlechtwetterzeit) Anspruch auf Saison-Kug, wenn sie in einem Betrieb beschäftigt sind, der dem Baugewerbe oder einem Wirtschaftszweig angehört, der von saisonbedingtem Arbeitsausfall betroffen ist (Nr 1), der Arbeitsausfall erheblich ist (Nr 2), die betrieblichen Voraussetzungen sowie die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind (Nr 3) und der Arbeitsausfall der Agentur für Arbeit angezeigt worden ist (Nr 4).

Zu Recht hat das LSG offengelassen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Denn dem Anspruch auf Saison-Kug steht schon entgegen, dass Saison-Kug nicht für einen im Ausland eingetretenen Arbeitsausfall zu erbringen ist. Ein solcher Arbeitsausfall auf Baustellen in Luxemburg und Österreich ist nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) jedoch hier im Streit.

Eine Beschränkung des Anspruchs auf Saison-Kug auf im Inland eingetretenen Arbeitsausfall folgt zwar nicht schon aus dem Territorialitätsprinzip. Dieses Prinzip ist in § 30 SGB I verortet (vgl den Entwurf der Gesetzesbegründung, BT-Drucks 7/868 S 27 zu § 30) und besagt im Grundsatz, dass staatliche Hoheitsgewalt nur im eigenen Hoheitsbereich ausgeübt wird und das Sozialstaatsgebot nur diejenigen begünstigt, für die der nationale Gesetzgeber verantwortlich ist (vgl BSG vom 27.8.2008 - B 11 AL 22/07 R - BSGE 101, 224 = SozR 4-4300 § 421l Nr 2, RdNr 24 mwN; zur Geltung des Territorialitätsprinzips bei Leistungen an Arbeitslose Mutschler, SGb 2000, 110 ff). Denn jedenfalls hinsichtlich des Leistungsrechts hängt die Bestimmung des Anwendungsbereichs letztlich vom Inhalt der jeweiligen Sachnorm ab (so bereits BSG vom 20.4.1977 - 7 RAr 55/75 - BSGE 43, 255, 258 = SozR 4100 § 80 Nr 1 S 4 = juris RdNr 33). Die Auslegung der hier maßgeblichen Sachnorm des § 175 SGB III aF nach ihrer Entstehungsgeschichte unter Berücksichtigung ihres Sinn und Zwecks sowie der systematischen Zusammenhänge ergibt jedoch, dass Saison-Kug nur für Arbeitsausfall im Inland zu erbringen ist.

3. a) Entstehungsgeschichtlich geht die Vorschrift zurück auf Regelungen zur Bekämpfung der Winterarbeitslosigkeit in der Bauwirtschaft, die ihren Ausgang in den späten 1950er Jahren genommen haben (§§ 143a - 143n AVAVG) und seitdem - mit Änderungen - fortbestehen (§§ 74 - 90 AFG; §§ 209 - 214a SGB III in der ab 1.1.1998 geltenden Fassung des AFRG vom 24.3.1997, BGBl I 594; zur Rechtsentwicklung im Einzelnen Bieback...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT