Urteil Nr. B 12 KR 8/17 R des Bundessozialgericht, 2018-08-15

Judgment Date15 Agosto 2018
ECLIDE:BSG:2018:150818UB12KR817R0
Judgement NumberB 12 KR 8/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Pflegeversicherung - Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder - Berücksichtigung von Einkommen des Ehegatten oder Lebenspartners - beitragsmindernde Berücksichtigung der Unterhaltspflicht des Ehegatten oder Lebenspartners sowohl gegenüber gemeinsamen als auch gegenüber nur eigenen nicht familienversicherten Kindern verfassungsrechtlich geboten
Leitsätze

Wird bei der Bemessung der Krankenversicherungsbeiträge nicht nur auf die eigenen Einnahmen des freiwillig Versicherten, sondern zusätzlich auf Einnahmen seines Ehegatten oder Lebenspartners zurückgegriffen, ist es im Rahmen des verfassungsrechtlich verankerten Familienlastenausgleichs geboten, dessen Unterhaltspflicht sowohl gegenüber gemeinsamen als auch gegenüber nur eigenen nicht familienversicherten Kindern beitragsmindernd zu berücksichtigen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Februar 2017 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der von der Klägerin vom 1.7. bis 31.12.2009 als freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu zahlenden Beiträge zur GKV und zur sozialen Pflegeversicherung (sPV).

Die Klägerin ist verheiratet und lebt mit ihrem Ehemann zusammen. Im gemeinsamen Haushalt leben nach den Feststellungen des LSG drei Kinder des Ehemanns (* Mai 1990, * Oktober 1991, * November 1994) und zwei Kinder der Klägerin (*1993, *1995). Keines der Kinder ist ein gemeinsames Kind der Klägerin und ihres Ehemanns. Die seit 2007 in der GKV als freiwilliges Mitglied bei der Beklagten und in der sPV bei der beigeladenen Pflegekasse versicherte Klägerin verfügte im Jahr 2009 über kein eigenes Einkommen. Ihr privat kranken- und pflegeversicherter Ehemann bezog 2009 als Ruhestandsbeamter eine Pension. Die beiden Kinder der Klägerin sind - über sie vermittelt - in der GKV und in der sPV familienversichert. Die drei Kinder des Ehemanns der Klägerin sind privat kranken- und pflegeversichert.

Die Beklagte setzte - auch im Namen der Beigeladenen - unter Bezugnahme auf die zum 1.1.2009 in Kraft getretenen Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) ab Januar 2009 für die Klägerin Beiträge zur GKV und zur sPV neu fest. Dabei legte sie - anders als zuvor - als Einkommen der Klägerin die Hälfte der Pension ihres Ehemanns ohne Abzüge für die im Haushalt lebenden Kinder zugrunde (Bescheid vom 16.7.2009; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2009).

Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, ab 1.1.2009 Beiträge nur in Höhe des Mindestbeitrags für freiwillig Versicherte in der GKV zu verlangen sowie die insoweit zu Unrecht gezahlten Beiträge zu erstatten. Die BeitrVerfGrsSz seien unwirksam, jedenfalls sei die Beitragserhebung rechtswidrig, weil die Beklagte für die im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder keine Abzüge vom heranzuziehenden Einkommen vorgenommen habe. Darin liege eine ungerechtfertigte Benachteiligung von Patchwork-Familien (Urteil vom 18.5.2011). Das LSG hat das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die normative Beschränkung von Absetzbeträgen auf lediglich gemeinsame Kinder der Eheleute verstoße nicht gegen die Verfassung (Urteil vom 9.2.2017).

Die Klägerin rügt einen Verstoß von § 240 Abs 5 SGB V und § 2 Abs 4 S 2 BeitrVerfGrsSz gegen Art 6 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG. Nach der Rechtsprechung des BSG seien nicht in der GKV beitragsfrei mitversicherte Kinder bei der Beitragsbemessung nach dem halben Ehegatten-Einkommen zu berücksichtigen (Hinweis auf BSG Urteil vom 28.5.2015 - B 12 KR 15/13 R - BSGE 119, 107 = SozR 4-2500 § 240 Nr 25, RdNr 32 und BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 12 KR 21/14 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 30 RdNr 27). Da Kinder einer Patchwork-Familie nicht regelmäßig Unterhaltsansprüche gegen "externe" Elternteile hätten, würden sie gegenüber gemeinsamen Kindern diskriminiert. Im Übrigen sei es ungerecht, dass der Unterhalt für die Kinder des Ehemanns den familienrechtlichen Ehegattenunterhalt mindere, bei der Beitragserhebung in der GKV und sPV hingegen keine Rolle spiele.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte den Klageanspruch hinsichtlich der Beitragsmonate Januar bis Juni 2009 anerkannt und die Klägerin das Teil-Anerkenntnis angenommen. Darüber hinaus haben die Beteiligten den Rechtsstreit auf die Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2009 beschränkt.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 9. Februar 2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 18. Mai 2011 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie verteidigen das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinn der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

Zu Unrecht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das klagezusprechende Urteil des SG in vollem Umfang aufgehoben. Die Klage ist unzulässig und war daher abzuweisen, soweit die Klägerin mit ihr die Erstattung von Beiträgen begehrt (dazu 1.). Ob die Beklagte mit Bescheid vom 16.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2009 die Beiträge zur GKV (dazu 2.) sowie sPV (dazu 3.) für die Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2009 in zutreffender Höhe festgesetzt und nachgefordert hat, kann nicht abschließend beurteilt werden. Kraft ausdrücklicher normativer Regelung kommt ein pauschaler Abzug von den Einnahmen eines Ehegatten oder Lebenspartners für gemeinsame unterhaltsberechtigte Kinder in Betracht (dazu 2. a). Vor dem Hintergrund des Schutzes von Ehe und Familie nach Art 6 Abs 1 GG iVm dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 Abs 1 GG sind aber auch für nicht gemeinsame und zugleich nicht familienversicherte, aber unterhaltsberechtigte Kinder des Ehegatten oder Lebenspartners des freiwilligen Mitglieds der GKV Absetzbeträge zu berücksichtigen (dazu 2. b). Anders als im Fall gemeinsamer unterhaltsberechtigter Kinder ist aber ein möglicherweise tatsächlich geleisteter Unterhalt Dritter anzurechnen (dazu 2. c). Die insoweit notwendigen Feststellungen muss das LSG nachholen (dazu 2. d).

1. Die Klage ist unzulässig, soweit die Klägerin erstmals vor dem SG die Erstattung zu viel entrichteter Beiträge beantragt hat. Insoweit fehlt es an einer gerichtlich überprüfbaren Verwaltungsentscheidung. Eine Beitragserstattung hatte die Klägerin gegenüber der Beklagten oder Beigeladenen vorgerichtlich nicht geltend gemacht.

2. Die Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung für die Zeit vom 1.7. bis zum 31.12.2009 kann der Senat nicht abschließend beurteilen. Die Feststellungen des LSG erlauben keine Entscheidung, ob die Beklagte und die Beigeladene zutreffend die Hälfte der Einnahmen des Ehemanns der Klägerin unter Außerachtlassung von Absetzbeträgen für seine Kinder der Beitragsbemessung zugrunde gelegt haben.

a) Ab 1.1.2009 ist nach § 240 Abs 1 S 1 SGB V (idF des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes...

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