Urteil Nr. B 12 R 9/19 R des Bundessozialgericht, 2019-09-19

Judgment Date19 Septiembre 2019
ECLIDE:BSG:2019:190919UB12R919R0
Judgement NumberB 12 R 9/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 59 533,32 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin, mittlerweile eine aus einer GmbH hervorgegangene GmbH & Co KG, wendet sich gegen eine Beitragsnachforderung der beklagten DRV Bund über 59 533,32 Euro für den Zeitraum 1.1.2010 bis 31.12.2013 wegen Versicherungspflicht ihres zu 1. beigeladenen GmbH-Geschäftsführers in der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) und nach dem Recht der Arbeitsförderung.

Die Klägerin ist ein Heizungsbau- und Sanitärinstallationsunternehmen. Sie wurde am 15.10.1992 in der Rechtsform einer GmbH gegründet. Am Stammkapital in Höhe von 50 000 DM waren der Beigeladene zu 1., ein Heizungs- und Sanitärinstallationsmeister, in Höhe von 24 500 DM und seine Ehefrau, die Beigeladene zu 2., Hausfrau und Buchhalterin bei der Klägerin, in Höhe von 25 500 DM beteiligt. Gegenstand des notariellen Gesellschaftsvertrages ist die Satzung der Klägerin vom 15.10.1992, nach der Beschlüsse mit der einfachen Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst werden, soweit zwingende gesetzliche Vorschriften oder der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehen. Änderungen des Gesellschaftsvertrages bedürfen der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter. Die Betriebsmittel standen im Eigentum des Beigeladenen zu 1., der diese an die Klägerin verpachtete (Pachtvertrag vom 1.12.1992).

Der Beigeladene zu 1. war auf Grundlage eines Geschäftsführervertrages vom 1.12.1992 alleiniger einzelvertretungsberechtigter und vom Verbot des Selbstkontrahierens befreiter Geschäftsführer der Klägerin. Am 3.1.2014 schlossen der Beigeladene zu 1. und die Beigeladene zu 2. eine schriftliche Stimmbindungsvereinbarung, nach der der Beigeladene zu 1. in seiner Geschäftsführerposition weisungsfrei sein sollte.

Nach früheren Betriebsprüfungen in den Jahren 2002 und 1998 blieb auch eine Betriebsprüfung durch die Beklagte für die Zeit vom 1.8.2006 bis 31.12.2009 ohne Feststellungen bzw Beanstandungen (Prüfmitteilung vom 17.11.2010). Nach erneuter Betriebsprüfung setzte die Beklagte nach Anhörung gegen die Klägerin für die Zeit vom 1.1.2010 bis 31.12.2013 eine Nachforderung von insgesamt 59 533,32 Euro wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung des Beigeladenen zu 1. in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung für den Beigeladenen zu 1. fest (Bescheid vom 9.7.2015, Widerspruchsbescheid vom 22.9.2016).

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteil des SG vom 12.10.2017; Urteil des LSG vom 6.2.2019). Das LSG hat ausgeführt, selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssten über eine Mindestkapitalbeteiligung von 50 vH oder eine "echte" Sperrminorität verfügen. Außerhalb des Gesellschaftsvertrages zustande gekommene, sich auf die Stimmverteilung auswirkende Abreden seien für die sozialversicherungsrechtliche Statusbeurteilung ohne Bedeutung, ebenso familiäre Verhältnisse oder wirtschaftliche Verflechtungen. Weder die Entstehung der Klägerin noch die familiäre Bindung an die Mehrheitsgesellschafterin, die alleinige Fachkenntnis des Beigeladenen zu 1. mit tatsächlich vollständiger Handlungsfreiheit ("Kopf und Seele des Unternehmens") oder die Eigentumsverhältnisse am Betriebsvermögen änderten etwas an der Einordnung als Beschäftigter. Unerheblich sei auch die nachträglich geschlossene Stimmbindungsvereinbarung, die keine Rückwirkung entfalte. Aus den für frühere Zeiträume ohne Beanstandung vorgenommenen Betriebsprüfungen resultiere generell kein Vertrauensschutz für das geprüfte Unternehmen dahin, dass unbeanstandet gebliebene Umstände auch zukünftig unbeanstandet blieben. Das Vertrauen der Klägerin, ihr Geschäftsführer sei im statusrechtlichen Sinne als Selbstständiger zu beurteilen, sei vorliegend nicht schutzwürdig, weil es an der Vertrauensgrundlage in Gestalt einer früheren gefestigten und langjährigen Rechtsprechung dieses Inhalts fehle. Die in § 7 Abs 1 SGB IV definierte Beschäftigung sei vom BSG in ständiger Rechtsprechung "funktionsdifferent" ausgelegt worden iS eines leistungsrechtlichen Beschäftigtenbegriffes einerseits und eines beitragsrechtlichen andererseits. Ob diese Differenzierung in der Fachwelt hinreichend wahrgenommen worden sei, sei für die vorliegende Prüfung eines Vertrauensschutzes ebenso unerheblich wie der Umstand, dass die "funktionsdifferente" Auslegung kritisiert werde. Ein Vertrauensschutz bestehe auch nicht mit Blick auf die Verwaltungspraxis der Beklagten sowie die in den Rundschreiben samt Anlagen veröffentlichten Besprechungsergebnisse der Spitzenorganisationen der Sozialversicherung. Schon der dortige Verweis auf die erforderliche individuelle Prüfung stelle klar, dass es in keinem Fall einen Automatismus und demgemäß kein schützenswertes Vertrauen dahingehend habe geben können. Die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens der Klägerin in eine vermeintliche Verwaltungspraxis scheitere auch daran, dass sie von den ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten, über den Status des Beigeladenen zu 1. eine verbindliche Statusentscheidung der Einzugsstelle oder im Anfrageverfahren nach § 7a SGB IV seitens der Beklagten zu erhalten, keinen Gebrauch gemacht habe.

Zur Begründung ihrer Revision trägt die Klägerin vor, wegen der Rolle des Beigeladenen zu 1. sei nicht nur die "Kopf und Seele"-Rechtsprechung einschlägig, sondern auch die Ausnahmekonstellationen einer familienhaften Rücksichtnahme, einer Tätigkeit im eigenen Unternehmen und einer dominanten Stellung durch die wirtschaftliche Abhängigkeit der Klägerin von im Eigentum des Beigeladenen zu 1. stehenden Betriebsmitteln. Dieser habe seiner Ehefrau die Mehrheit der Anteile alleine aus steuerlichen Gründen eingeräumt. Zudem könne die Klägerin Vertrauensschutz in eine ständige, mindestens aber gefestigte Rechtsprechung beanspruchen, die bis zu den Entscheidungen des BSG vom 29.8.2012 bestanden habe und von der die Klägerin auch profitiert hätte. Hierbei sei auch die Instanzrechtsprechung zu berücksichtigen, der die Sozialversicherungsträger bis 2014 gefolgt seien. Die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, eine Klärung durch die Einzugs- oder Clearingstelle einzuholen.

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Februar 2019 und des Sozialgerichts Speyer vom 12. Oktober 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 9. Juli 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. September 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Das LSG hat die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 9.7.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.9.2016 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs 1 Satz 2 SGG). Die Beklagte hat zu Recht eine Beitragsnachforderung gegen die Klägerin festgesetzt.

Der Beigeladene zu 1. war im Streitzeitraum (1.1.2010 bis 31.12.2013) als Geschäftsführer bei der Klägerin beschäftigt und damit versicherungspflichtig in der GRV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (dazu 1.). Die Klägerin kann sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen in eine anderslautende Rechtsprechung des BSG oder eine entgegenstehende Verwaltungspraxis der Beklagten berufen (dazu 2. und 3.) oder Rechte aus den vorangegangenen beanstandungslosen Betriebsprüfungen herleiten (dazu 4.).

1. Im streitigen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt waren, der Versicherungspflicht in der GRV und nach dem Recht der Arbeitsförderung (vgl § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI, § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III). Der Beigeladene zu 1. war in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin beschäftigt.

a) Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs 1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Die hierfür vom Senat entwickelten Abgrenzungsmaßstäbe (vgl zuletzt BSG Urteil vom 4.6.2019 - B 12 R 11/18 R - , zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) gelten grundsätzlich auch für Geschäftsführer einer GmbH. Ob ein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, richtet sich bei Geschäftsführern einer GmbH aber in erster Linie danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen kann, die sein Anstellungsverhältnis betreffen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 18 ff und BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 R 5/16 R - juris RdNr 13 ff).

b) Bei einem Fremdgeschäftsführer scheidet eine selbstständige Tätigkeit generell aus (BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 13/17 R - BSGE 125, 183 = SozR 4-2400 § 7 Nr 35, RdNr 20; BSG Urteil vom 18.12.2001 - B 12 KR 10/01 R - SozR 3-2400 § 7 Nr 20 S 79). Ist ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, sind der Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft ein wesentliches Merkmal bei der Abgrenzung von abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer ist nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbstständig tätig, sondern muss über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht ist bei einem Gesellschafter gegeben, der...

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