Urteil Nr. B 12 KR 16/17 R des Bundessozialgericht, 2018-09-04

Judgment Date04 Septiembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:040918UB12KR1617R0
Judgement NumberB 12 KR 16/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die klagende AOK oder die beklagte Deutsche Rentenversicherung (DRV) Knappschaft-Bahn-See die für den zu 2. beigeladenen Versicherten zuständige Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist.

Der Beigeladene zu 2. war pflichtversichertes Mitglied der Klägerin. Er bezog vom 1.1. bis zum 28.2.2005 von dem zu 1. beigeladenen Jobcenter Arbeitslosengeld II (Alg II). Auf seinen Antrag gewährte ihm die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Rentenversicherungsträgerin rückwirkend ab 1.4.2004 und laufend seit dem 1.3.2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Beigeladene zu 1. stellte daraufhin die Zahlung des Alg II ab März 2005 "vorläufig" ein. Die Meldung zur Krankenversicherung der Rentner (KVdR) ging bei der Beklagten am 6.1.2005 ein. Vom Ende der Vorrangversicherung des Beigeladenen zu 2. wegen des Alg II-Bezugs bei der Klägerin zum 28.2.2005 erhielt sie am 7.3.2005 Kenntnis. Mit Schreiben vom 12.5.2005 begrüßte die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Krankenkasse den Beigeladenen zu 2. "als neues Mitglied" ab 1.3.2005.

Die Klägerin führte die GKV des Beigeladenen zu 2., seiner Ehefrau und des gemeinsamen Sohnes gleichwohl über den 1.3.2005 hinaus weiter durch und stornierte im Juni 2005 ihre Meldung zur KVdR. Für die Zeit vom 6.6. bis zum 31.10.2005 wurden dem Beigeladenen zu 2. erneut Leistungen nach dem SGB II bewilligt.

Im Mai 2010 bemerkte die Klägerin (AOK) die weitere Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. sowie seiner Angehörigen und forderte die Beklagte erfolglos auf, ihr die zwischenzeitlichen Aufwendungen zu erstatten. Ab 14.5.2009 seien für die familienversicherte Ehefrau des Beigeladenen zu 2. 155,75 Euro und für den familienversicherten Sohn 128 122,02 Euro angefallen. Wegen dessen Erkrankung seien ihr jährliche Kosten von rund 250 000 Euro entstanden.

Das SG hat das Klageverfahren hinsichtlich des Erstattungsantrags der Klägerin zum Ruhen gebracht und durch Teil-Urteil vom 6.6.2013 festgestellt, dass die Beklagte seit 1.3.2005 zuständige Krankenkasse für den Beigeladenen zu 2. ist. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 1.10.2015). Nicht die Klägerin, sondern die Beklagte sei aufgrund des Bezugs der Rente unter gleichzeitigem Entfall der Leistungen des Beigeladenen zu 1. gemäß § 177 Abs 2 SGB V in seiner bis zum 31.3.2007 geltenden Fassung ab 1.3.2005 für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. zuständig geworden.

Die Beklagte rügt die Verletzung von § 5 Abs 1 Nr 2a, Abs 8 SGB V iVm § 190 Abs 12 SGB V, von § 40 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 1 und 3 SGB II aF iVm § 39 Abs 2 und 3 SGB X iVm § 330 Abs 1, 2 und 3 S 1 "und 4" SGB III und iVm § 331 Abs 2 SGB III, von § 44a SGB II aF sowie von § 203a SGB V und § 175 SGB V iVm §§ 133, 157 BGB. Das LSG habe verkannt, dass der Beigeladene zu 2. auch über den 1.3.2005 hinaus Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt habe. Auch habe es nicht berücksichtigt, dass er ausweislich des Telefonvermerks einer ihrer Mitarbeiterinnen eine Wahlerklärung zugunsten der Klägerin abgegeben habe. Zu Unrecht seien auch die weiteren Umstände, vor allem die fehlerhafte(n) Meldung(en) der beteiligten Träger, die Weiternutzung der Versichertenkarte der Klägerin durch den Beigeladenen zu 2. bei Rückgabe der Versichertenkarte der Beklagten und die weitere, jahrelange Durchführung der Krankenversicherung durch die Klägerin unbeachtet geblieben. Darüber hinaus rügt die Beklagte Verfahrensfehler.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 1. Oktober 2015 und das Teil-Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 6. Juni 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See ist unbegründet. Das LSG hat ihre Berufung gegen das Teil-Urteil (§ 202 SGG iVm § 301 ZPO; vgl BSG Urteil vom 21.9.1967 - 2 RU 65/66 - BSGE 27, 142 = SozR Nr 5 zu § 301 ZPO) des SG zu Recht zurückgewiesen. Das SG hat zutreffend festgestellt, dass der zu 2. beigeladene Versicherte ab 1.3.2005 versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten DRV Knappschaft-Bahn-See und nicht der klagenden AOK war.

1. Die beklagte DRV Knappschaft-Bahn-See war ab 1.3.2005 in ihrer funktionellen Eigenschaft als Krankenkasse für die Durchführung der Krankenversicherung des Beigeladenen zu 2. zuständig. Der Beigeladene zu 2. war ab 1.3.2005 ihr versicherungspflichtiges Mitglied, weil er zu diesem Zeitpunkt anstelle des zuvor bezogenen Alg II eine Rente erhielt (dazu a), eine Vorrangversicherung wegen des fehlenden Bezugs von Leistungen nach dem SGB II nicht bestand (dazu b) und eine wirksame Erklärung des Beigeladenen zu 2. über die Wahl der Klägerin als Krankenkasse nicht vorliegt (dazu c). An der kraft Gesetzes eingetretenen versicherungsrechtlichen Situation ändern die weiteren tatsächlichen Umstände, insbesondere im Zusammenhang mit den Meldungen der Beigeladenen zu 1. und der Nutzung der Versichertenkarte, nichts (dazu d).

a) Der Beigeladene zu 2. war während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V in der ab 1.1.2005 gültigen Fassung (Viertes Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954) bis 28.2.2005 versicherungspflichtig. Mit der Einstellung dieser Leistungen und der Gewährung von Rente durch die beklagte DRV Knappschaft-Bahn-See in ihrer Eigenschaft als Trägerin der Rentenversicherung ab dem 1.3.2005 trat eine Änderung des Versicherungspflichttatbestands ein. Ab diesem Zeitpunkt war der Beigeladene zu 2. als Rentenbezieher nach § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V in der ab 1997 gültigen Fassung (Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch - Unfallversicherung-Einordnungsgesetz - UVEG vom 7.8.1996, BGBl I 1254) versicherungspflichtig.

b) Ein Ausschluss des Versicherungspflichttatbestands als Rentner gemäß § 5 Abs 8 S 1 SGB V in der seit Inkrafttreten des SGB V insoweit unveränderten Fassung ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift ist gemäß Abs 1 Nr 11 bis 12 nicht versicherungspflichtig, wer nach Abs 1 Nr 1 bis 7 oder 8 versicherungspflichtig ist. Allerdings war der Beigeladene zu 2. wegen des Nichtbezugs von Leistungen nach dem SGB II ab dem 1.3.2005 nicht mehr nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V versicherungspflichtig. Entscheidend ist insoweit lediglich der fehlende Leistungsbezug und nicht die Frage, inwieweit auf Leistungen nach dem SGB II möglicherweise (weiterhin) ein Anspruch bestanden hätte. Dies folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift. Danach ist die Versicherungspflicht für Personen in der Zeit angeordnet, für die sie Alg II nach dem SGB II "beziehen", soweit sie nicht familienversichert sind, es sei denn, dass diese Leistung nur darlehensweise gewährt wird oder nur Leistungen nach § 23 Abs 3 S 1 des SGB II bezogen werden (Halbs 1); dies gilt auch, wenn die Entscheidung, die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist (Halbs 2). Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs 1 Nr 2a SGB V knüpft damit in grundlegender...

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