Urteil Nr. B 12 KR 11/17 R des Bundessozialgericht, 2018-09-04

Judgment Date04 Septiembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:040918UB12KR1117R0
Judgement NumberB 12 KR 11/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Feststellung von Sozialversicherungspflicht beziehungsweise -freiheit - wechselseitiger Ausschluss zwischen Betriebsprüfungs- und Statusfeststellungsanfrageverfahren nach Kriterium der zeitlichen Vorrangigkeit - Einleitung eines Betriebsprüfungsverfahrens grundsätzlich durch Prüfankündigung - Leistungserbringerrecht der Gesetzlichen Krankenversicherung hat keine übergeordnete Wirkung auf die sozialversicherungs- und beitragsrechtliche Wirkung
Leitsätze

1. Zwischen einem Betriebsprüfungs- und einem Statusfeststellungsanfrageverfahren besteht ein wechselseitiger Ausschluss nach dem Kriterium der zeitlichen Vorrangigkeit.

2. Ein Betriebsprüfungsverfahren wird grundsätzlich durch die Prüfankündigung eingeleitet.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Februar 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 51 895,47 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Streitig ist die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen nebst Säumniszuschlägen aufgrund einer Betriebsprüfung.

Die Klägerin ist Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Psychotherapie. Die Beigeladene zu 1. ist Diplom-Psychologin, die Beigeladene zu 2. Diplom-Pädagogin. Beide Beigeladene waren bis 30.9.2004 in der Praxis der Klägerin zunächst angestellt. Am 18.10.2004 schlossen sie mit der Klägerin jeweils einen Vertrag über freie Mitarbeit ab. Die Beigeladene zu 6. (Bundesagentur für Arbeit) gewährte ihnen für die Dauer von sechs Monaten ab Aufnahme der Tätigkeit Überbrückungsgeld.

Die Beigeladene zu 1. beantragte am 23.10.2007, die Beigeladene zu 2. am 11.12.2007 die Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status bei der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund. Nachdem die Beigeladene zu 1. auf den Vorrang einer angekündigten Betriebsprüfung hingewiesen worden war, stellte die beklagte DRV Braunschweig-Hannover aufgrund der von ihr am 13.12.2007 durchgeführten Betriebsprüfung die Versicherungspflicht der Tätigkeiten der Beigeladenen zu 1. vom 19.4.2005 bis 31.3.2008 und der Beigeladenen zu 2. vom 18.4.2005 bis 30.9.2005 sowie vom 1.6.2006 bis 31.3.2008 fest. In der Zeit vom 1.10.2005 bis 31.5.2006 sei die Beigeladene zu 2. bei der Klägerin geringfügig beschäftigt gewesen. Für die Zeit des Bezugs von Überbrückungsgeld werde Selbstständigkeit unterstellt. Es ergebe sich eine Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen iHv 51 895,47 Euro einschließlich Säumniszuschlägen von 8756 Euro (Bescheid vom 25.11.2008; Widerspruchsbescheid vom 23.7.2009).

Das SG hat den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben (Urteil vom 9.5.2012). Das LSG hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.2.2016). Die Arbeit der Beigeladenen zu 1. und 2. für die Klägerin habe sich nur unwesentlich von ihrer vorherigen Tätigkeit im Angestelltenverhältnis unterschieden. Es sei allein eine Änderung der "Papierform" beabsichtigt gewesen. Die Beigeladenen zu 1. und 2. hätten Patienten der Klägerin behandelt und einen festen Stundensatz erhalten. Therapietermine seien grundsätzlich über die Praxis vereinbart worden. Die betrieblichen Notwendigkeiten hätten hierbei Absprachen erfordert. Trotz einer inhaltlichen Therapiefreiheit hätten die vertraglichen Regelungen Vorgaben zu Art und Inhalt der Leistungserbringung vorgesehen. Auch habe eine der Kontrolle durch die Klägerin dienende Dokumentationspflicht bestanden. Es komme nicht darauf an, dass die Beigeladene zu 2. schwerpunktmäßig auch in einer anderen Praxis tätig gewesen sei. Säumniszuschläge seien zu Recht erhoben worden. Die Klägerin habe eine sozialversicherungsrechtliche Klärung mindestens grob fahrlässig unterlassen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin, die Beklagte hätte den angefochtenen Bescheid schon mangels Zuständigkeit nicht erlassen dürfen; werde - wie hier - ein Antrag auf Statusklärung nach § 7a SGB IV zeitlich vorrangig gestellt, sei allein die DRV Bund funktionell zuständig. Unabhängig davon sei von einer selbstständigen Tätigkeit auszugehen und damit § 7 Abs 1 SGB IV verletzt. Ein Weisungsrecht der Klägerin auf Grundlage des Leistungserbringerrechts habe nicht bestanden. Die Beigeladenen zu 1. und 2. hätten vielmehr frei über die Auftragsannahme und -durchführung entscheiden können. Die Vereinbarung eines festen Stundensatzes sei branchenüblich. Therapiesitzungen seien nicht zwingend in der Praxis der Klägerin durchzuführen gewesen. Absprachen hinsichtlich Terminplanung und Raumbelegung seien unter gleichberechtigten Partnern getroffen worden. Die erfolgte Dokumentation sei behandlungsnotwendig gewesen. Der Klägerin könne ein Verschulden hinsichtlich ihrer Unkenntnis von der Zahlungspflicht nicht zur Last gelegt werden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 17. Februar 2016 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 9. Mai 2012 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des LSG.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist iS der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG).

1. Rechtsgrundlage des angefochtenen Bescheids der Beklagten ist § 28p Abs 1 S 1 und 5 SGB IV. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen, ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen (§ 28a SGB IV) mindestens alle vier Jahre (S 1). Die Träger der Rentenversicherung erlassen im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern (S 5 Halbs 1).

2. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen des LSG nicht darüber entscheiden, ob der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist. Zwar ist grundsätzlich allein die Beklagte für Betriebsprüfungen bei der Klägerin und den Erlass entsprechender Bescheide zuständig. An dieser Regelungskompetenz fehlt es aber, wenn und soweit eine vorrangige Zuständigkeit der DRV Bund für die Feststellung der Sozialversicherungspflicht im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens nach § 7a Abs 1 S 1 SGB IV besteht, weil im Zeitpunkt des Statusfeststellungsbegehrens das Betriebsprüfungsverfahren noch nicht eingeleitet war. Das LSG muss daher nach Zurückverweisung feststellen, wann die Beklagte das Betriebsprüfungsverfahren eingeleitet hat (dazu a und b) und - falls das Anfrageverfahren vorrangig wäre -, ob die DRV Bund dessen Durchführung bindend abgelehnt hat (dazu c).

a) Zwischen einem Anfrageverfahren nach § 7a Abs 1 S 1 SGB IV und einem Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p Abs 1 S 5 SGB IV besteht ein wechselseitiger Ausschluss nach dem Kriterium der zeitlichen Vorrangigkeit. Dem bereits eingeleiteten Anfrageverfahren kommt Sperrwirkung gegenüber einer Betriebsprüfung zu. Dasselbe gilt - zumindest vorläufig - umgekehrt. Dies folgt aus dem Wortlaut und der Regelungssystematik des § 7a Abs 1 S 1 SGB IV. Danach können die Beteiligten schriftlich eine Entscheidung der hierfür ausschließlich zuständigen DRV Bund (§ 7a Abs 1 S-Satz 3 SGB IV) beantragen, ob eine Beschäftigung vorliegt, es sei denn, "die Einzugsstelle oder ein anderer Versicherungsträger hatte im Zeitpunkt der Antragstellung 'bereits' ein Verfahren zur Feststellung einer Beschäftigung eingeleitet". Unter diese konkurrierenden Verfahren fallen das Einzugsstellenverfahren nach § 28h Abs 2 S 1 SGB IV und das Betriebsprüfungsverfahren nach § 28p Abs 1 S 5 SGB IV (BSG Urteil vom 29.6.2016 - B 12 R 5/14 R - Juris RdNr 27). Dieser Regelung bedürfte es nicht, hätten die genannten Verfahren nicht (teilweise) den gleichen Inhalt und wären sie rechtlich nicht gleichwertig. § 7a SGB IV ermächtigt nicht zur bloßen (unzulässigen) Elementenfeststellung einer abhängigen Beschäftigung, sondern verpflichtet nach ständiger Rechtsprechung zur Feststellung der Versicherungspflicht (vgl BSG Urteil vom 14.3.2018 - B 12 KR 12/17 R - SozR 4-2400 § 7 Nr 34 RdNr 15 mwN).

b) Ob das Anfrageverfahren oder die genannten Verfahren der Einzugsstellen und der Rentenversicherungsträger als Prüfstellen vorrangig sind, bestimmt sich danach, welches Verfahren zeitlich früher eingeleitet wurde. Dies entspricht auch Sinn und Zweck der Regelung, divergierende Entscheidungen unterschiedlicher Versicherungsträger zu vermeiden (BSG Urteil vom 11.3.2009 - B 12 R 11/07 R - BSGE 103, 17 = SozR...

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