Urteil Nr. B 12 KR 17/17 R des Bundessozialgericht, 2018-06-07

Judgment Date07 Junio 2018
ECLIDE:BSG:2018:070618UB12KR1717R0
Judgement NumberB 12 KR 17/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Statusfeststellungsverfahren - späterer Beginn der Versicherungspflicht - ausreichende Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit - private (Mindest-)Krankheitskostenversicherung - ausreichende Absicherung zur Altersvorsorge - späterer Beginn der Versicherungspflicht erstreckt sich auch auf das Recht der Arbeitsförderung - Zulässigkeit einer unselbstständigen Anschlussrevision
Leitsätze

1. Die für einen späteren Beginn der Versicherungspflicht aufgrund Beschäftigung notwendige adäquate Absicherung gegen das finanzielle Risiko von Krankheit, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht, liegt bei einer privaten (Mindest-)Krankheitskostenversicherung nach dem Versicherungsvertragsrecht vor, auch wenn ein Anspruch auf eine mit dem Krankengeld vergleichbare Entgeltersatzleistung nicht besteht.

2. Eine die Versicherungspflicht aufschiebende Absicherung zur Altersvorsorge, die der Art nach den Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung entspricht, setzt bei der Mitgliedschaft in einer berufsständischen Versorgungseinrichtung voraus, dass eine Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht besteht oder wenigstens Beiträge in Höhe des in der freiwilligen Rentenversicherung maßgebenden Mindestbeitrags entrichtet werden.

3. Die Zustimmung zum späteren Beginn der Versicherungspflicht erstreckt sich auch auf das Recht der Arbeitsförderung.

4. Eine unselbstständige Anschlussrevision, die sich allein auf den von der Revision nicht umfassten Beginn der Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung bezieht, ist trotz unterschiedlicher Streitgegenstände zulässig.

Tenor

Auf die Anschlussrevision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2017 aufgehoben, soweit es die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung betrifft, und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in vollem Umfang zurückgewiesen. Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin in allen Rechtszügen sowie die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. im ersten Rechtszug. Im Übrigen tragen die Beigeladenen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 5000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Kranken- (GKV) und Rentenversicherung (GRV), der sozialen Pflegeversicherung (sPV) sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund einer Beschäftigung für die Klägerin wegen des Zeitpunkts der Bekanntgabe des Statusfeststellungsbescheids nicht eingetreten ist.

Die Beigeladene zu 1. ist Architektin und Mitglied der Bayerischen Architektenversorgung. Sie ist privat krankenversichert und hat Anspruch auf Krankentagegeld ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit (AU). Daneben ist sie Inhaberin einer dynamischen Kapitallebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall. Für die Zeit ab 1.4.2009 schloss sie mit der Klägerin einen Dienstleistungsvertrag über Koordinierungs- und Managementleistungen bei einem Bauprojekt. Zum 30.11.2009 hoben die Parteien diesen Vertrag einvernehmlich auf.

Am 17.4.2009 beantragten die Klägerin und die Beigeladene zu 1. bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1. Nach Anhörung stellte die Beklagte mit separaten an die Klägerin und die Beigeladene zu 1. gerichteten Bescheiden vom 3.12.2009 fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. bei der Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt werde. Die Versicherungspflicht dem Grunde nach beginne mit dem Tag der Aufnahme der Beschäftigung. Mit ihrem Widerspruch erklärte die Beigeladene zu 1., dass sie dem Beginn der Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe des Bescheids nicht zustimme. Während des Widerspruchsverfahrens änderte die Beklagte die Bescheide dahin ab, dass in der von der Beigeladenen zu 1. ausgeübten Beschäftigung bei der Klägerin Versicherungspflicht in der GKV, GRV und sPV sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung seit dem 1.4.2009 bestehe (Bescheide vom 31.5.2010). Die Widersprüche der Klägerin und der Beigeladenen zu 1. wies die Beklagte zurück; § 7a Abs 6 SGB IV finde keine Anwendung, da die Beigeladene zu 1. dem späteren Beginn der Versicherungspflicht nicht zugestimmt habe (Widerspruchsbescheide vom 20.1.2011).

Nachdem die Beigeladene zu 1. während des Klageverfahrens ihre Zustimmung zum Beginn der Versicherungspflicht erst mit Bekanntgabe des Bescheids vom 3.12.2009 erklärt hatte, hat das SG unter Änderung der angefochtenen Bescheide festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit bei der Klägerin in der Zeit vom 1.4.2009 bis 30.11.2009 nicht sozialversicherungspflichtig gewesen sei; der Beginn der Versicherungspflicht sei nach § 7a Abs 6 S 1 SGB IV hinausgeschoben gewesen (Urteil vom 8.5.2015). Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil abgeändert, soweit es die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung betrifft, und die Klage insoweit abgewiesen. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 14.6.2017). Die Voraussetzungen des § 7a Abs 6 S 1 SGB V seien erfüllt. Eine ausreichende Absicherung zur Altersvorsorge bestehe durch die Mitgliedschaft der Beigeladenen zu 1. in einem berufsständischen Versorgungswerk. Auch das Risiko von Krankheit sei adäquat versichert. Das erforderliche Schutzniveau entspreche den in § 193 Abs 3 S 1 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) enthaltenen Mindestanforderungen an eine private Krankenversicherung (PKV). Im Recht der Arbeitsförderung werde der Beginn der Versicherungspflicht hingegen nicht hinausgeschoben. Die mit § 7a Abs 6 S 1 SGB V bezweckte Privilegierung werde ins Gegenteil verkehrt, wenn Beschäftigten durch den späteren Versicherungsbeginn im Bereich der Arbeitslosenversicherung Anwartschaftszeiten vorenthalten würden.

Die Beklagte hat Revision und die Klägerin Anschlussrevision eingelegt. Mit ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 7a Abs 6 S 1 SGB IV. Eine den Leistungen der GKV entsprechende Absicherung gegen das Risiko von Krankheit müsse auch mit dem Krankengeld (Krg) vergleichbare Leistungen enthalten.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2017 abzuändern und die Klage unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in vollem Umfang abzuweisen

und die Anschlussrevision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Im Wege der Anschlussrevision beantragt sie,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 14. Juni 2017 aufzuheben, soweit es die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung betrifft, und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Mai 2015 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Sie trägt vor, die Voraussetzungen für den späteren Eintritt der Versicherungspflicht seien erfüllt. Der Wortlaut des § 7a Abs 6 S 1 SGB IV differenziere nicht zwischen den einzelnen Versicherungszweigen.

Die Beklagte hält die Anschlussrevision für unzulässig. Das Anschlussrechtsmittel müsse sich auf den gleichen prozessualen Anspruch wie das Hauptrechtsmittel beziehen. Die Revision betreffe jedoch nicht die Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung. Im Übrigen gehe sie - wie die Klägerin - davon aus, dass der Beginn der Versicherungspflicht einheitlich für alle vier Zweige der Sozialversicherung zu beurteilen sei; allerdings seien die Voraussetzungen des § 7a Abs 6 S 1 Nr 2 SGB IV nicht erfüllt.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg (hierzu A.). Die Anschlussrevision der Klägerin ist hingegen zulässig und begründet (hierzu B.). Eine Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. aufgrund Beschäftigung hat in allen Zweigen der Sozialversicherung wegen des erst nach dem Ende der Tätigkeit bekanntgegebenen Statusfeststellungsbescheids nicht bestanden.

A. Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

I. Der Senat...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT