Urteil Nr. B 12 KR 22/16 R des Bundessozialgericht, 2018-01-18

Judgment Date18 January 2018
ECLIDE:BSG:2018:180118UB12KR2216R0
Judgement NumberB 12 KR 22/16 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder - Beitragspflicht von Aufgabegewinnen im Sinne des Einkommensteuerrechts - Zuordnung
Leitsätze

Aufgabegewinne im Sinne des Einkommensteuerrechts zählen zum beitragspflichtigen Arbeitseinkommen freiwillig Krankenversicherter.

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2016 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Berücksichtigung einkommensteuerlicher Aufgabegewinne bei den Beiträgen zur gesetzlichen Kranken- (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV).

Der Kläger ist bei der Beklagten zu 1. freiwillig kranken- und bei der Beklagten zu 2. pflegeversichert. Er betrieb eine Gaststätte, die er im Jahr 2012 aufgab. Bei der Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2012 (Einkommensteuerbescheid vom 26.2.2014) berücksichtigte das Finanzamt bei der Berechnung des zu versteuernden Einkommens Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer (in Höhe von 25 392 Euro) sowie aus Veräußerungsgewinnen (in Höhe von 99 649 Euro abzgl eines Freibetrages in Höhe von 45 000 Euro). Weiter bezog der Kläger Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen sowie Renten. Die Beklagten setzten ausgehend hiervon die Beiträge des Klägers zur GKV und sPV für die Zeit ab März 2013 auf 603,45 Euro bzw 83,03 Euro fest (Bescheid vom 25.3.2014, Widerspruchsbescheid vom 14.4.2015).

Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Urteile des SG Heilbronn vom 26.1.2016 und des LSG Baden-Württemberg vom 18.10.2016). Das LSG hat ausgeführt, der steuerliche Veräußerungsgewinn sei eine Einnahme iS des § 240 Abs 1 SGB ViVm § 3 Abs 1 S 1 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz), die für den Lebensunterhalt verbraucht werde oder verbraucht werden könne, und daher beitragspflichtig. Insbesondere handle es sich nicht um eine Vermögensumschichtung. Durch die Aufdeckung stiller Reserven komme es zu einem Vermögenszuwachs im Privatvermögen des Klägers. Dass das Grundstück stets den gleichen Wert gehabt habe, sei unerheblich. Entscheidend seien die unterschiedlichen Bewertungsmaßstäbe während der aktiven Zeit des Betriebs und bei Betriebsaufgabe. Aus der im Gesetz angelegten Parallelität von sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Einkommensermittlung folge, dass die Feststellungen des Einkommensteuerbescheides maßgeblich seien.

Zur Begründung seiner Revision macht der Kläger geltend, das LSG differenziere nicht hinreichend zwischen den wirtschaftlichen Folgen von Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe; letztere ziehe gerade keine Einnahmen nach sich. Ein steuerlicher Aufgabegewinn führe nicht zu einer Vermögensmehrung, da das Wirtschaftsgut - vorliegend ein Gebäude - vor und nach der Betriebsaufgabe denselben Wert gehabt habe. Es entspreche nicht den Vorgaben des § 240 Abs 1 S 2 SGB V, durch die Verbeitragung eines Aufgabegewinns bis dahin nicht realisierte stille Reserven erfassen zu wollen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 18. Oktober 2016 und des Sozialgerichts Heilbronn vom 26. Januar 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 25. März 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. April 2015 insoweit aufzuheben, als Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung von mehr als 315,28 Euro und zur sozialen Pflegeversicherung von mehr als 43,38 Euro festgesetzt worden sind.

Die Beklagten beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG). Der Senat kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des LSG nicht entscheiden, in welcher Höhe der Kläger Beiträge zur GKV und sPV zu tragen hat.

Rechtsgrundlage der Beitragsbemessung sind die vom GKV-Spitzenverband auf Grundlage des § 240 Abs 1 S 1 SGB V erlassenen BeitrVerfGrsSz(vom 27.10.2008, eBAnz VB 4.11.2008; hier idF der Fünften Änderung vom 23.11.2013, eBAnz VB 2.12.2013), denn es ist nicht ersichtlich, dass sich der Versichertenstatus des Klägers als freiwilliges Mitglied der zu 1. beklagten Krankenkasse nach Aufgabe seiner selbstständigen Tätigkeit im Jahr 2012 geändert hat. Nach § 3 Abs 1 BeitrVerfGrsSz sind der Beitragsbemessung das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung zugrunde zu legen. Die daneben bestehenden Spezialregelungen über die Beitragsbemessung bei hauptberuflich selbstständig Erwerbstätigen (§ 7 Abs 3 bis 7 BeitrVerfGrsSz) finden keine Anwendung, weil der Kläger im Streitjahr 2014 nicht mehr hauptberuflich selbstständig erwerbstätig war (zur Definition vglBSG Urteil vom 2.9.2009 - B 12 KR 21/08 R - BSGE 104, 153 = SozR 4-2500 § 240 Nr 12, RdNr 14 mwN).

Die im Einkommensteuerbescheid für 2012 festgestellten Einkünfte aus "Veräußerungsgewinnen" sind beitragspflichtiges Arbeitseinkommen iS des § 3 Abs 1 S 1 BeitrVerfGrsSz(dazu 1). Höherrangiges Recht steht einer Beitragspflicht nicht entgegen (dazu 2). Insbesondere ist im Grundsatz auch unerheblich, dass der Kläger seine selbstständige Tätigkeit im Streitzeitraum bereits aufgegeben hatte (dazu 3).

1. Der im Einkommensteuerbescheid für 2012 festgestellte Aufgabegewinn zählt als Arbeitseinkommen zu den beitragspflichtigen Einnahmen des Klägers.

Zwar erwähnt der Einkommensteuerbescheid ausdrücklich bloß Einkünfte "aus Veräußerungsgewinnen". Der Kläger hat aber - was zwischen den Beteiligten unstreitig ist - auch in einkommensteuerrechtlicher Hinsicht tatsächlich einen Aufgabegewinn iS des § 16 Abs 3 Einkommensteuergesetz (EStG) erzielt. Derartige Aufgabegewinne sind nach dem maßgeblichen untergesetzlichen Sozialversicherungsrecht beitragspflichtig (zu Veräußerungsgewinnen nach § 17 EStGvglBSG Urteil vom 22.3.2006 - B 12 KR 8/05 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 6 RdNr 18: Beitragspflicht jedenfalls als Einnahme oder Geldmittel, die zum Lebensunterhalt verbraucht wird oder verbraucht werden kann).

a) Arbeitseinkommen ist gemäß § 15 Abs 1 SGB IV der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbstständigen Tätigkeit (S 1); Einkommen ist als Arbeitseinkommen zu werten, wenn es als solches nach dem Einkommensteuerrecht zu bewerten ist (S 2). § 15 SGB IV erfasst damit schon nach Wortlaut und Systematik Gewinneinkünfte iS von § 2 Abs 1 S 1 Nr 1 bis 3 EStG und damit auch Einkünfte aus Gewerbebetrieb (Nr 2). Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb iS des § 2 Abs 1 Nr 2 EStG zählen gemäß § 16 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG auch Gewinne aus der Veräußerung des ganzen Gewerbebetriebs oder eines Teilbetriebs. Die Aufgabe des Gewerbebetriebs gilt nach § 16 Abs 3 S 1 EStG wiederum als Veräußerung in diesem Sinne (für eine Einordnung von Veräußerungs- und Aufgabegewinnen als Einkünfte aus Gewerbebetrieb iS des § 2 Abs 1 S 1 Nr 2 EStGvgl Fischer in jurisPK-SGB IV, 3. Aufl 2016, § 15 RdNr 36). Eine Einordnung als Arbeitseinkommen scheidet auch nicht etwa deshalb aus, weil es sich bei dem Aufgabegewinn um nachträgliche Einkünfte aus einem steuerrechtlich aufgegebenen Gewerbebetrieb handelte (vgl dazu aber BSG Urteil vom 17.2.2005 - B 13 RJ 43/03 R - BSGE 94, 174 = SozR 4-2600 § 96a Nr 5, RdNr 17 f). Ein solcher Fall liegt nicht vor, weil es vorliegend um einen an die Aufgabe als solche anknüpfenden Gewinn geht, nicht um sonstigen, aus Zeiten vor Aufgabe mit dem Unternehmen erwirtschafteten Gewinn.

b) Eine gesetzeshistorische Auslegung sowie Sinn und Zweck des jetzigen § 15 SGB IV...

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