Urteil Nr. B 12 KR 22/18 R des Bundessozialgericht, 2020-05-12

Judgment Date12 Mayo 2020
ECLIDE:BSG:2020:120520UB12KR2218R0
Judgement NumberB 12 KR 22/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Kranken- und Pflegeversicherung - Beitragspflicht von Kapitalleistungen aus einer Direktversicherung an Hinterbliebene - Todesfallleistung - betriebliche Hinterbliebenenversorgung - Einbeziehung des Hinterbliebenen als Bezugsberechtigter in Versicherungsvertrag
Leitsätze

Die Beitragspflicht von Hinterbliebenen in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung auf Einnahmen aus einer vom Arbeitgeber begründeten betrieblichen Hinterbliebenenversorgung in Form der Direktversicherung setzt deren Einbeziehung als Bezugsberechtigte in den Versicherungsvertrag zwischen Versicherer, Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. November 2018 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung von Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) auf eine Kapitalleistung aus einer Direktversicherung.

Die 1974 geborene Klägerin ist bei der beklagten Kranken- und der beigeladenen Pflegekasse als Beschäftigte pflichtversichert. Nach dem Tod ihres Ehemanns erhielt sie im Juli 2014 von der H. Lebensversicherung aG (im Folgenden: H.) eine Kapitalleistung ("Todesfallleistung") in Höhe von 46 769,93 Euro. Der Auszahlung lag ein Lebensversicherungsvertrag zugrunde, den die Arbeitgeberin des Verstorbenen zum 1.12.1998 als Direktversicherung abgeschlossen hatte. Versicherungsnehmerin war die Arbeitgeberin, versicherte Person war der Ehemann der Klägerin. Die Beklagte wertete die Zahlung als Versorgungsbezug und erhob auch im Namen der Beigeladenen ab 1.8.2014 für einen Zeitraum von höchstens zehn Jahren monatliche Beiträge zur GKV und sPV in Höhe von insgesamt 68,40 Euro (Bescheid vom 10.9.2014, Widerspruchsbescheid vom 16.7.2015).

Das SG Osnabrück hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17.3.2017). Das LSG Niedersachsen-Bremen hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 26.11.2018). Es sei unerheblich, ob die Kapitalleistung als Versorgungsbezug an den verstorbenen Arbeitnehmer oder dessen Hinterbliebene ausgezahlt werde. Maßgebend sei allein, dass sie aus einer sog Direktversicherung stamme. Verfassungsrechtliche Bedenken unter Berücksichtigung des Rückwirkungsverbots beständen nicht. Eine eventuelle Ungleichbehandlung dadurch, dass § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V seit 1.1.2018 sog Riesterrenten von der Beitragspflicht ausnehme, sei gerechtfertigt. Zweck der Riesterförderung im Bereich der betrieblichen Altersversorgung sei es, im Rahmen eines gesetzgeberischen Gesamtkonzepts Geringverdienern die Möglichkeit einer zusätzlichen Altersvorsorge zu eröffnen und damit Altersarmut zu vermeiden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 und § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V sowie von Art 14 Abs 1 und Art 3 Abs 1 GG. Der für die betriebliche Altersversorgung notwendige persönliche Bezug zu einem früheren Berufsleben bestehe für sie gerade nicht. Sie sei betrieblich nicht ausdrücklich in den Versicherungsvertrag seitens der Arbeitgeberin aufgenommen worden. Ein beitragspflichtiger Versorgungsbezug könne nicht aus der schlichten Auszahlung aufgrund ihrer Erbenstellung konstruiert werden. Nur ihr Ehemann sei bezugsberechtigt, sie selbst nur Zahlungsempfängerin gewesen. Die Leistung aus der Lebensversicherung sei deshalb in den Nachlass gefallen und nicht beitragspflichtig. Die Verbeitragung ererbten Vermögens verstoße gegen Art 14 Abs 1 GG. Die Erhebung von Beiträgen auf Direktversicherungen sei jedenfalls seit 1.1.2018 auch unverhältnismäßig und verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, weil betriebliche Riesterrenten nicht mehr zu Beiträgen herangezogen würden.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 26. November 2018 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 17. März 2017 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. September 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juli 2015 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung an das LSG begründet. Ob zu Recht Beiträge auf die Kapitalzahlung der H. festgesetzt worden sind, kann der Senat nicht abschließend entscheiden.

Rechtsgrundlage für die Erhebung von Beiträgen zur GKV ist hier § 226 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB V. Danach wird bei versicherungspflichtig Beschäftigten - wie der Klägerin - der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen (Versorgungsbezüge) der Beitragsbemessung zugrunde gelegt. Als derartige Versorgungsbezüge gelten auch Renten der betrieblichen Altersversorgung, soweit sie wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung erzielt werden (§ 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V). Tritt an die Stelle der Versorgungsbezüge eine nicht regelmäßig wiederkehrende Leistung oder ist eine solche Leistung vor Eintritt des Versicherungsfalls vereinbart oder zugesagt worden, gilt nach § 229 Abs 1 Satz 3 SGB V in der ab 1.1.2004 anzuwendenden Fassung des Art 1 Nr 143 des Gesetzes zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz GMG>) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190, vgl Art 37 Abs 1 GMG) ein Einhundertzwanzigstel der Leistung als monatlicher Zahlbetrag der Versorgungsbezüge, längstens jedoch für einhundertzwanzig Monate. Nach Maßgabe dieser Regelungen unterliegt eine Direktversicherung als Versorgungsbezug zwar grundsätzlich der Beitragspflicht zur GKV (dazu 1.). Dem stehen verfassungsrechtliche Bedenken nicht entgegen (dazu 2.). Nur an Witwen oder Witwer als Bezugsberechtigte (dazu 3.) ausgezahlte Leistungen aus einer Direktversicherung werden aber zur Hinterbliebenenversorgung erzielt (dazu 4.). Entsprechendes gilt für die Beitragsfestsetzung zur sPV (dazu 5.).

1. Leistungen aus einer betrieblichen Direktversicherung im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (BetrAVG) sind grundsätzlich Versorgungsbezüge nach § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V und damit der Beitragspflicht unterworfen (BSG Urteile vom 26.2.2019 - B 12 KR 13/18 R - SozR 4-2500 § 229 Nr 25 RdNr 11, - B 12 KR 17/18 R - BSGE 127, 254 = SozR 4-2500 § 229 Nr 24 RdNr 19, - B 12 KR 12/18 R - BSGE 127, 249 = SozR 4-2500 § 229 Nr 26, RdNr 12; BSG Urteil vom 1.4.2019 - B 12 KR 19/18 R - juris RdNr 9). Die hier zu beurteilende Lebensversicherung ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) eine solche Direktversicherung. Sie wurde von der Arbeitgeberin des verstorbenen Ehemanns der Klägerin für diesen als Versicherungsnehmer abgeschlossen. Dass der berufliche Bezug durch eine Änderung in der Person des Versicherungsnehmers gelöst worden sei, hat die Klägerin nicht vorgetragen und ist nicht ersichtlich.

2. Die Beitragspflicht von Versorgungsbezügen begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, solange der institutionelle Rahmen des Betriebsrentenrechts nicht verlassen wird (vgl ua BVerfG Beschluss vom 9.7.2018 - 1 BvL 2/18 - juris RdNr 19; BVerfG Beschluss vom 27.6.2018 - 1 BvR 100/15 ua - juris RdNr 17 ff; BVerfG Beschluss vom 6.9.2010 - 1 BvR 739/08 - SozR 4-2500 § 229 Nr 10 RdNr 9 ff; BSG Urteil vom 23.7.2014 - B 12 KR 28/12 R - BSGE 116, 241 = SozR 4-2500 § 229 Nr 18, RdNr 10 ff mwN; BSG Urteil vom 13.9.2006 - B 12 KR...

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