Urteil Nr. B 12 KR 32/19 R des Bundessozialgericht, 2021-02-23

Judgment Date23 Febrero 2021
ECLIDE:BSG:2021:230221UB12KR3219R0
Judgement NumberB 12 KR 32/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Kranken- und Pflegeversicherung - Beitragspflicht von überobligatorischen Anteilen einer schweizerischen Pensionskassenleistung
Leitsätze

Überobligatorische Anteile einer schweizerischen Pensionskassenleistung unterliegen als mit einer deutschen Rente der gesetzlichen Rentenversicherung oder der betrieblichen Altersversorgung vergleichbare Einnahmen der Beitragspflicht in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Juni 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob (auch) die überobligatorischen Anteile der vom Kläger bezogenen Leistungen einer schweizerischen Pensionskasse bei der Bemessung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) zugrunde zu legen sind.

Der Kläger bezieht neben seiner Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) seit 1.7.2012 monatliche Renten aus der Schweizerischen Ausgleichskasse (SAK) und aus der Pensionskasse der DSM N AG (im Folgenden: DSM), einer nach dem schweizerischen Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG-CH> vom 25.6.1982, Bundesblatt der Schweiz 1982 II 385) ins Handelsregister eingetragenen Stiftung zur Vorsorge für die Arbeitnehmer der AG. Er ist im Rahmen der Krankenversicherung der Rentner versicherungspflichtiges Mitglied der zu 1. beklagten Krankenkasse (im Folgenden: Beklagte) und der zu 2. beklagten Pflegekasse. Mit Bescheid vom 1.8.2012 setzte die Beklagte Beiträge zur GKV und - im Namen der Beklagen zu 2. - zur sPV auch auf die nach Abzug der Renten der GRV und der SAK von der Beitragsbemessungsgrenze verbleibenden Leistungen der Pensionskasse für die Zeit ab 1.7.2012 fest. Dabei legte sie den für Versorgungsbezüge geltenden allgemeinen Beitragssatz zugrunde. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.4.2013).

Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte die Beiträge auf der Grundlage des für einen Rentenbezug maßgebenden hälftigen allgemeinen Beitragssatzes (zeitweise nebst eines Zusatzbeitrags) rückwirkend für die Zeit ab 1.7.2012 (Bescheid vom 29.6.2017) sowie ab 1.1.2018 (Bescheid vom 22.12.2017) neu festgesetzt.

Die vom Kläger aufrecht erhaltene Klage mit dem Begehren, die auf überobligatorischen Anteilen beruhenden Leistungen der Pensionskasse der DSM nicht zu verbeitragen, hat das SG Freiburg abgewiesen (Urteil vom 29.3.2018). Nachdem die Beiträge zur GKV und sPV für die Zeit ab 1.1.2019 neu festgesetzt worden waren (Bescheid vom 15.12.2018), hat das LSG Baden-Württemberg die Berufung zurück- und die Klage abgewiesen. Die vom Kläger bezogene Leistung der Pensionskasse der DSM sei insgesamt eine der Rente aus der GRV vergleichbare Rente aus dem Ausland gemäß § 228 Abs 1 Satz 2 SGB V. Sie sei als Altersrente bezeichnet, beruhe auf der sogenannten Zweiten Säule der schweizerischen Altersversorgung nach den Regelungen des BVG-CH und werde von einem Träger einer gesetzlich angeordneten obligatorischen Versicherung erbracht. Dabei sei nicht zwischen obligatorischen und überobligatorischen Leistungen zu unterscheiden, die jeweils eine öffentliche Aufgabe erfüllten. Wäre der überobligatorische Teil der Leistung keine Rente iS von § 228 Abs 1 Satz 2 SGB V, würde jedenfalls ein Versorgungsbezug iS von § 229 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB V vorliegen, auf den nach § 248 Satz 1 SGB V der volle Beitragssatz zu erheben sei (Urteil vom 28.6.2019).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 228 Abs 1 Satz 2 SGB V. Der überobligatorische Teil der Pensionskassenleistung stelle eine private gewillkürte Altersvorsorge dar, die nicht der Beitragspflicht unterliege. Bei seinem ehemaligen Arbeitgeber gebe es zwei Pensionskassen mit voneinander abweichenden Versorgungsordnungen (Reglements), die Einkünfte mit unterschiedlichen Beitragssätzen versicherten. Nur das Pensionskassenreglement 1 nehme ausdrücklich Bezug auf das BVG-CH und verwende den Begriff der "Rentenversicherung". Demgegenüber spreche das Pensionskassenreglement 2 von einer "Kapitalversicherung", sodass das in der Pensionskasse 2 versicherte Überobligatorium einer Kapitallebensversicherung mit Rentenwahlrecht entspreche. Rechtsgrundlage der überobligatorischen Leistungen sei nicht das BVG-CH, sondern allein der Arbeitsvertrag, nach dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils Beiträge aufzubringen hätten. Diese seien steuerrechtlich nicht begünstigt. Die Gleichsetzung von Obligatorium und Überobligatorium verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz aus Art 3 GG.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Juni 2019 und des Sozialgerichts Freiburg vom 29. März 2018 aufzuheben sowie die Bescheide der Beklagten vom 29. Juni 2017, 22. Dezember 2017 und 15. Dezember 2018 insoweit aufzuheben, als Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung auf die überobligatorischen Anteile der Leistungen der Pensionskasse der DSM N AG erhoben werden.

Die Beklagten beantragen,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil des LSG für rechtsfehlerfrei. Im Handelsregister sei lediglich eine Pensionskasse der DSM eingetragen, die für obligatorische und überobligatorische Leistungen zuständig sei.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen und die Berufung zurückgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Leistungen der Pensionskasse der DSM sind bis zum Erreichen der Beitragsbemessungsgrenze in der GKV und sPV auch insoweit beitragspflichtig, als sie auf überobligatorischen Anteilen beruhen.

Zu Recht ist das LSG davon ausgegangen, dass der Bescheid der Beklagten vom 29.6.2017 die vorhergehenden Bescheide ersetzt hat und die Beitragsfestsetzung in diesem ebenso wie im Beitragsbescheid vom 22.12.2017 nach § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens und die weitere Beitragsfestsetzung im Bescheid vom 15.12.2018 nach § 153 Abs 1, § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.

Nach § 223 Abs 2 Satz 1, Abs 3 SGB V (idF des Gesetzes zur Sicherung der Beitragssätze in der GKV und in der GRV vom 23.12.2002, BGBl I 4637) werden die Beiträge zur GKV nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze bemessen. Bei versicherungspflichtigen Rentnern (vgl § 5 Abs 1 Nr 11 SGB V idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG> vom 26.3.2007, BGBl I 378) werden nach § 237 SGB V (idF des Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen GRG> vom 20.12.1988, BGBl I 2477) der Beitragsbemessung in der GKV der Zahlbetrag der Rente der GRV, der Zahlbetrag der der Rente vergleichbaren Einnahmen und das Arbeitseinkommen zugrunde gelegt (Satz 1); dabei gelten § 228 SGB V (Rente als beitragspflichtige Einnahmen) und § 229 SGB V (Versorgungsbezüge als beitragspflichtige Einnahmen) entsprechend (Satz 2; seit 1.1.2017 Satz 4 idF des Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 21.12.2015, BGBl I 2408). Auch die Beiträge zur sPV werden nach den beitragspflichtigen Einnahmen der Mitglieder bis zur Beitragsbemessungsgrenze erhoben (§ 54 Abs 2 Satz 1 SGB XI). Insoweit gelten für die Beitragsbemessung bei Mitgliedern, die in der GKV pflichtversichert sind, ebenfalls §§ 228, 229 SGB V (§ 57 Abs 1 Satz 1 SGB XI, insoweit unverändert seit Einführung der Pflegeversicherung durch das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit pflegevg> vom 26.5.1994, BGBl I 1014).

Der Senat lässt offen, ob danach überobligatorische Leistungen der Pensionskasse der DSM beitragspflichtig sind, weil sie einer deutschen Rente der GRV (hierzu 1.) oder deutschen Versorgungsbezügen der betrieblichen Altersversorgung (hierzu 2.) vergleichbar sind. Jedenfalls scheidet eine beitragsfreie rein private Altersvorsorge aus (hierzu 3.). Die steuerrechtliche Beurteilung ist für das Beitragsrecht der GKV und sPV unerheblich (hierzu 4.). Der Kläger hat Beiträge zumindest nach dem von der Beklagten festgesetzten Beitragssatz zu zahlen (hierzu 5.).

1. Als Rente der GRV gelten gemäß § 228 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF des Gesetzes zur Organisationsreform in der GRV RVOrgG> vom 9.12.2004, BGBl I 3242) Renten der allgemeinen Rentenversicherung sowie Renten der knappschaftlichen Rentenversicherung einschließlich der Steigerungsbeträge aus Beiträgen der Höherversicherung. Dies gilt nach § 228 Abs 1 Satz 2 SGB V (eingefügt mit Wirkung zum 1.7.2011 durch das Gesetz zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit in Europa und zur Änderung anderer Gesetze vom 22.6.2011, BGBl I 1202) auch, wenn vergleichbare Renten aus dem Ausland bezogen werden. Zu den Kriterien für eine Vergleichbarkeit ausländischer Sozialleistungen mit deutschen Rentenleistungen kann inzwischen auf eine gefestigte Rechtsprechung verschiedener Senate des BSG zurückgegriffen werden. Danach ist im Kontext der Vergleichbarkeit von Altersrenten eine rechtsvergleichende Qualifizierung von Funktion und Struktur der bezogenen Sozialleistung geboten. Da eine völlige Identität der Leistungsmerkmale in- und ausländischer Renten kaum denkbar ist, liegt Vergleichbarkeit vor, wenn die ausländische Leistung in ihrem "Kerngehalt" den anhand der Essentialia der nationalen Norm bemessenen typischen Merkmalen der inländischen Leistung entspricht, dh nach Motivation und Funktion gleichwertig ist. Vergleichbarkeit mit einer deutschen Altersrente kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die ausländische Leistung an das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze...

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