Urteil Nr. B 12 KR 6/20 R des Bundessozialgericht, 2022-10-18

Judgment Date18 Octubre 2022
ECLIDE:BSG:2022:181022UB12KR620R0
Judgement NumberB 12 KR 6/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Beitragserhebung zur freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und sozialen Pflegeversicherung (sPV) auf eine Unterhaltsabfindung für die Zeit vom 26.2.2017 bis zum 31.1.2018.

Die Klägerin war bis zu ihrer Scheidung am 25.2.2017 familienversichert und ist seitdem freiwilliges Mitglied der Beklagten. Der geschiedene Ehegatte hatte ihr nach einer Trennungs- und Scheidungsvereinbarung zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche auf nachehelichen Unterhalt eine einmalige Abfindung iHv 120 000 Euro zu zahlen. Die Beklagte setzte hierauf Beiträge zur GKV und sPV iHv 774,30 Euro monatlich für die Zeit ab 26.2.2017 fest. Dabei legte sie nach § 5 Abs 3 Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler (BeitrVerfGrsSz) für zwölf Beitragsmonate eine monatliche Einnahme von jeweils 10 000 Euro bis zur Beitragsbemessungsgrenze von 4350 Euro zugrunde (Bescheid vom 29.3.2017). Den unter Hinweis auf ein Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29.1.2015 (L 1/4 KR 17/13 - juris) mit dem Ziel erhobenen Widerspruch, die Unterhaltsabfindung entsprechend den Versorgungsbezügen auf 120 Beitragsmonate zu verteilen, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 16.11.2017).

Im Klageverfahren setzte die Beklagte die Beiträge zur GKV und sPV für Januar 2018 auf 783,23 Euro fest (Bescheid vom 22.12.2017); seit Februar 2018 zahlte die Klägerin Beiträge auf der Basis der Mindestbeitragsbemessungsgrundlage. Bei einer Verteilung der Abfindung auf 120 Monate würden sich die Beiträge nach Auskunft der Beklagten ab 26.2.2017 auf monatlich 196,90 Euro und im Januar 2018 auf 203,63 Euro belaufen.

Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil des SG Dortmund vom 12.7.2018). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Unterhaltsabfindung diene der Sicherstellung des Lebensunterhalts der Klägerin nach der Scheidung und sei daher zu verbeitragen. Nach § 5 Abs 3 BeitrVerfGrsSz seien einmalige beitragspflichtige Einnahmen dem jeweiligen Beitragsmonat mit 1/12 des Betrags für zwölf Monate zuzuordnen. § 5 Abs 4 BeitrVerfGrsSz sei nicht einschlägig, weil es sich bei der Unterhaltsabfindung weder um einen Versorgungsbezug noch um Leistungen aus einer Lebensversicherung oder von Versicherungsunternehmen wegen einer Einschränkung der Erwerbsfähigkeit oder zur Alters- oder Hinterbliebenenversorgung handele. Entgegen der Auffassung des LSG Niedersachsen-Bremen (Urteil vom 29.1.2015 - L 1/4 KR 17/13 - juris) komme auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift nicht in Betracht, denn § 5 Abs 3 BeitrVerfGrsSz erfasse eindeutig den Zufluss einer Unterhaltsabfindung. Verfassungsrecht - insbesondere der Gleichheitsgrundsatz aus Art 3 Abs 1 GG - sei nicht verletzt. Es liege kein mit laufenden Unterhaltsansprüchen oder mit einmalig gezahlten Versorgungsbezügen vergleichbarer Sachverhalt vor. Ob die Verteilung auf zwölf Monate im Vergleich zu einer Verteilung auf 120 Monate für die Versicherten vor- oder nachteilhaft sei, hänge vom Einzelfall ab. Es könne aber nicht danach differenziert werden, welche Berechnung jeweils günstiger sei (Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16.10.2019).

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 240 Abs 1 und 2 SGB V iVm § 5 Abs 3 und 4 BeitrVerfGrsSz sowie des Art 3 Abs 1 GG. Bei der nachehelichen Unterhaltsabfindung handele es sich nicht um eine einmalige Einnahme iS von § 5 Abs 3 BeitrVerfGrsSz. Unterhaltsabfindungen seien in den BeitrVerfGrsSz an keiner Stelle erwähnt. Nicht jeder in einer Summe ausgezahlte Betrag sei einmaliger Natur. Einmalig seien vielmehr nicht wiederkehrende Einnahmen, bei denen sich das Geschehen im Wesentlichen in einer einzigen Leistung erschöpfe. Angesichts der Ehedauer von 26 Jahren hätte sie aber wenigstens für die Dauer von zehn Jahren Unterhalt beanspruchen können. Selbst bei Ausübung einer vollschichtigen Tätigkeit hätte ihr angesichts des hohen Einkommens ihres geschiedenen Ehemanns ein aufstockender Unterhaltsanspruch zugestanden, wie an dem Trennungsunterhalt von 4500 Euro monatlich deutlich werde. Die Unterhaltsabfindung iHv 120 000 Euro habe daher ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit nicht nur für ein Jahr, sondern für mehrere Jahre bestimmt. Nur für ein Jahr gewährte Unterhaltsabfindungen seien die absolute Ausnahme und daher mit den ebenfalls den Lebensstandard sichernden Versorgungsbezügen vergleichbar. Nach dem Gleichbehandlungsgebot aus Art 3 Abs 1 GG müsse § 5 Abs 4 BeitrVerfGrsSz systematisch ausgelegt oder analog angewandt werden. Auch im Vergleich zu Empfängern laufender Unterhaltszahlungen komme es ansonsten zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung, obwohl die Abfindung eine laufende Unterhaltszahlung ersetze und beide Zahlungsarten des Unterhalts der Deckung des Lebensbedarfs über einen längeren Zeitraum dienten.

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Oktober 2019 und des Sozialgerichts Dortmund vom 12. Juli 2018 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. November 2017 und des Bescheids vom 22. Dezember 2017 insoweit aufzuheben, als Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung von mehr als 196,90 Euro monatlich für die Zeit vom 26. Februar bis zum 31. Dezember 2017 und von mehr als 203,63 Euro für Januar 2018 festgesetzt worden sind.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

Die Beklagte schließt sich den Ausführungen des LSG an und ist der Auffassung, mangels Regelungslücke bestehe kein Raum für eine analoge Anwendung von § 5 Abs 4 BeitrVerfGrsSz. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung entstehe dadurch nicht.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 29.3.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2017 und des Bescheids vom 22.12.2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Unterhaltsleistungen sind ungeachtet ihrer Zahlungsweise für freiwillige Mitglieder der GKV grundsätzlich beitragspflichtig (hierzu 1.). Bei der Bemessung der Beiträge zur GKV sind einmalig gezahlte Unterhaltsabfindungen nach § 5 Abs 3 BeitrVerfGrsSz (idF der Sechsten Änderung vom 10.12.2014 - eBAnz vom 15.12.2014) dem jeweiligen Beitragsmonat mit einem Zwölftel des Betrags für zwölf Monate zuzuordnen (hierzu 2.). Diese Verteilung des Zahlbetrags begegnet weder einfach-rechtlichen (hierzu 3.) noch verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu 4.) und begründet im Fall der Klägerin auch keinen unverhältnismäßigen Härtefall (hierzu 5.). Entsprechendes gilt für die Beitragsbemessung in der sPV (dazu 6.).

1. Nach § 240 Abs 1 Satz 1 SGB V (idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der GKV vom 26.3.2007, BGBl I 378 GKV-WSG>) wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der GKV einheitlich durch den Spitzenverband Bund der Krankenkassen (SpVBdKK) geregelt. Dabei ist sicherzustellen, dass die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds (§ 240 Abs 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB V idF des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der GKV vom 21.7.2014, BGBl I 1133 GKV-FQWG>) sowie mindestens die Einnahmen berücksichtigt, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtig Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind (§ 240 Abs 2 Satz 1 SGB V idF des GKV-WSG). Angesichts dieser dem SpVBdKK verliehenen Rechtsetzungslegitimation ist lediglich zu prüfen, ob der SpVBdKK die Grenzen der ihm eingeräumten Regelungsbefugnis eingehalten hat und seine untergesetzliche Normsetzung nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere Verfassungsrecht verstößt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der SpVBdKK durch Erlass der sowohl die Krankenkassen als auch die Versicherten bindenden BeitrVerfGrsSz (Die Beiträge 2009, 183; für die hier streitige Zeit vom 26.2.2017 bis zum 31.12.2017 idF der Sechsten Änderung vom 10.12.2014 - eBAnz vom 15.12.2014 - sowie für Januar 2018 idF der Siebten Änderung vom 15.11.2017 - eBAnz vom 29.11.2017) dem gesetzlichen Regelungsauftrag grundsätzlich im Einklang mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht nachgekommen (grundlegend hierzu BSG Urteil vom 19.12.2012 - B 12 KR 20/11 R - BSGE 113, 1 = SozR 4-2500 § 240 Nr 17, 1. Leitsatz sowie RdNr 13 ff; vgl auch BSG Urteil vom 10.10.2017 - B 12 KR 16/16 R - SozR 4-2500 § 240 Nr 32 RdNr 15 mwN).

Gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 und 2 BeitrVerfGrsSz werden die Beiträge nach den beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds bemessen, wobei die Beitragsbemessung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds zu berücksichtigen hat. Als beitragspflichtige Einnahmen sind nach § 3 Abs 1 Satz 1 BeitrVerfGrsSz das Arbeitsentgelt, das Arbeitseinkommen, der Zahlbetrag der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, der Zahlbetrag der Versorgungsbezüge sowie alle Einnahmen und Geldmittel, die für den Lebensunterhalt verbraucht werden oder verbraucht werden können, ohne Rücksicht auf ihre...

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