Urteil Nr. B 13 R 14/18 R des Bundessozialgericht, 2019-10-16

Judgment Date16 Octubre 2019
ECLIDE:BSG:2019:161019UB13R1418R0
Judgement NumberB 13 R 14/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Entgeltpunkte für Kindererziehung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung - Verfassungsmäßigkeit der Regelungen in § 70 Absatz 2 Satz 2 SGB VI und in § 307d SGB VI
Leitsätze

1. Die Begrenzung der Bewertung zeitgleich zurückgelegter Kindererziehungszeiten und sonstiger Beitragszeiten auf die der Beitragsbemessungsgrenze entsprechenden Höchstwerte der Anlage 2b zum SGB VI ist systemimmanent und daher verfassungsgemäß (Fortführung von BSG vom 17.12.2002 - B 4 RA 46/01 R = SozR 3-2600 § 70 Nr 6; vom 18.5.2006 - B 4 RA 36/05 R = BSGE 96, 218 = SozR 4-2600 § 70 Nr 1 sowie vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R = SozR 4-2600 § 70 Nr 2).

2. Die von dieser Regelung abweichende pauschale Begünstigung von Bestandsrentnern ist aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität gerechtfertigt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit steht ein Anspruch auf höhere Regelaltersrente ohne Begrenzung der Entgeltpunkte (EP) für Kindererziehungszeiten.

Die im März 1950 geborene Klägerin ist Mutter zweier am 1972 sowie am 1979 geborener Kinder. Ab dem 1.8.2015 bewilligte ihr die Beklagte Regelaltersrente (Bescheid vom 20.8.2015). In den Versicherungsverlauf stellte sie Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung im Umfang von 24 Monaten pro Kind (April 1972 bis März 1974 und April 1979 bis März 1981) ein. Bei der Festsetzung der Rentenhöhe legte die Beklagte insgesamt 44,0232 persönliche EP (Ost) zugrunde (anfänglicher monatlicher Zahlbetrag 1065,20 Euro). Den Kindererziehungszeiten ordnete sie jeweils grundsätzlich den Wert von 0,0833 EP (Ost) zu. Soweit zugleich Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung im Beitrittsgebiet vorlagen (August 1972, September 1973 bis März 1974, April bis Mai 1979 und Januar 1980 bis März 1981), addierte die Beklagte die EP (Ost) für die Kindererziehungszeiten zu den für die Beschäftigungszeiten ermittelten EP (Ost) hinzu, wobei sie die für diese Monate zu berücksichtigenden Gesamtbeträge der EP auf die jeweiligen Höchstbeträge der Anlage 2b zum SGB VI begrenzte.

Den Widerspruch, mit dem die Klägerin einen Verstoß der Höchstwertbegrenzung gegen Art 3 Abs 1 GG geltend machte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 30.10.2015).

Klage und Berufung der Klägerin hiergegen sind erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid des SG vom 1.6.2017; Urteil des LSG vom 24.10.2017). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI begrenzten die Summe der EP insgesamt auf den Wert, der mit Beiträgen bis zur Beitragsbemessungsgrenze höchstens erreichbar sei. Die vollständige Berücksichtigung des Werts für die Kindererziehung auch in Monaten, in denen die Beitragsbemessungsgrenze bereits erreicht sei, werde durch § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI ausgeschlossen. Dies sei sachlich gerechtfertigt, denn mit der Beitragsbemessungsgrenze werde nicht nur die Beitragsbelastung begrenzt; ihr komme auch eine Funktion als "Leistungsbemessungsgrenze" zu. Sie erhalte den Renten damit einerseits ihre existenzsichernde Funktion und gewährleiste zugleich deren Finanzierbarkeit. Dass sich die Kindererziehung bei erwerbs- und nichterwerbstätigen Versicherten sowie bei Zugangs- und Bestandsrentnern rentenrechtlich ungleich auswirken könne, sei nicht verfassungswidrig.

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Verfassungswidrigkeit von § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI. Sie macht geltend, dass die Beitragsbemessungsgrenze als sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung nicht geeignet sei. Ihr komme die Funktion einer Obergrenze für die der Beitragspflicht unterliegenden Entgelte zu. Die Kindererziehung habe aber keinen Entgeltcharakter, sondern stelle eine generative Leistung bzw eine Doppelbelastung neben der Erwerbstätigkeit dar. Die Höchstwertbegrenzung widerspräche daher dem Versicherungsprinzip im Sinne einer Äquivalenz aus tatsächlich erbrachter Vorleistung und zu beanspruchendender Gegenleistung. Die Leistungsbegrenzung sei als solche kein Prinzip der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV), sondern ergebe sich nur als rechnerische Folge aus der Begrenzung der Beitragspflicht. Die Finanzierbarkeit der GRV könne nicht als Rechtfertigungsgrund für die Ungleichbehandlung herangezogen werden, weil die Beiträge für Kindererziehungszeiten vom Bund steuerfinanziert getragen würden (§ 177 SGB VI) und deutlich höher seien als die für die Kindererziehung anfallenden Leistungen. Da eine Regelung zur Erstattung von Beiträgen, die aufgrund der Höchstwertbeschränkung nicht rentenwirksam würden, oder eine andere Kompensation bzw Ausgleichsregelung fehle, sei die Begrenzung nach § 70 Abs 2 Satz 2 iVm Anlage 2b zum SGB VI verfassungswidrig. Außerdem bestehe auch eine Ungleichbehandlung bei der Bewertung der Kindererziehung zwischen Bestands- und Zugangsrentnern. Gründe der Verwaltungspraktikabilität rechtfertigten sie nicht.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 2017 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 1. Juni 2017 aufzuheben, den Bescheid vom 20. August 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Oktober 2015 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. August 2015 eine höhere Altersrente unter Berücksichtigung von Entgeltpunkten für Beitragszeiten der Kindererziehung ohne Beschränkung auf die Höchstwerte nach Anlage 2b zum SGB VI zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zu Recht zurückgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid der Beklagten vom 20.8.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.10.2015 ist rechtmäßig.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Regelaltersrente unter Außerachtlassung der Höchstwertbegrenzung (dazu A.). Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI (mit Wirkung vom 1.7.1998 eingefügt durch das Rentenreformgesetz 1999 - RRG 1999 - vom 16.12.1997 - BGBl I 2998 - idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002 - BGBl I 754) verfassungswidrig ist (dazu B.).

Streitgegenstand ist ausschließlich, ob der Klägerin deswegen höhere Rente zusteht, weil sie für bestimmte bereits mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung belegte Zeiten die additive Wirkung der Pflichtbeiträge für Kindererziehungszeiten wegen Überschreitens der Höchstwertgrenze nicht ausschöpfen kann. Sie wendet sich nicht allgemein gegen die Festsetzung der Rentenhöhe. Insoweit ist der Streitgegenstand zulässig eingegrenzt (vgl BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R - SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 13; BSG Urteil vom 10.10.2018 - B 13 R 34/17 R - SozR 4-2600 § 249 Nr 2 RdNr 9). Im Hinblick auf die Rentenhöhe, wie sie sich aus dem Bescheid der Beklagten vom 30.3.2019 unter Beachtung der Rechtslage ab dem 1.1.2019 (§ 307d Abs 1a SGB VI idF des RV-Leistungsverbesserungs- und Stabilisierungsgesetzes vom 28.11.2018 - BGBl I 2016 ff) ergibt, haben sich die Beteiligten verglichen. Die Beklagte unterwirft sich insoweit dem Ausgang dieses Rechtsstreits.

A. Die angefochtene Rentenhöchstwertfestsetzung steht im Einklang mit den Vorschriften des SGB VI.

Kindererziehungszeiten werden als Beitragszeiten (§§ 55 Abs 1 Satz 1 und 2, 177 Abs 1 SGB VI) mit EP bewertet. Nach § 70 Abs 2 Satz 1 SGB VI iVm § 254d Abs 1 Nr 3 SGB VI erhalten sie im Beitrittsgebiet für jeden Kalendermonat 0,0833 EP (Ost), also gerundet 1 EP pro Kalenderjahr (0,0833 EP x 12 = 0,9996 EP). Dies entspricht dem Wert, der mit einem versicherten Arbeitsentgelt in Höhe des Durchschnittsentgelts eines Kalenderjahres erzielt wird (§ 63 Abs 2 Satz 2 SGB VI).

EP für Kindererziehungszeiten sind nach § 70 Abs 2 Satz 2 SGB VI auch EP, die für Kindererziehungszeiten mit sonstigen Beitragszeiten ermittelt werden, indem die EP für sonstige Beitragszeiten um 0,0833 erhöht werden, höchstens jedoch um die EP bis zum Erreichen der jeweiligen Höchstwerte nach Anlage 2b. Die mit dem RRG 1999 eingeführte Anlage 2b zum SGB VI enthält jährliche Höchstwerte an EP, die sich ergeben, wenn das maximal in Höhe der jeweiligen jährlichen Beitragsbemessungsgrenze (vgl Anl 2 zum SGB VI) versicherte Bruttojahresentgelt ins Verhältnis zum Durchschnittsentgelt für dasselbe Kalenderjahr (vgl Anl 1 zum SGB VI) gesetzt wird (vgl § 70 Abs 1 Satz 1 SGB VI). Beitragsbemessungsgrenze und Höchstwert markieren damit - jeweils unter verschiedenem Blickwinkel - dieselbe Grenze. Für den Kalendermonat ist ein Zwölftel des Höchstwerts nach der Anlage 2b zum SGB VI zugrunde zu legen (vgl BSG Urteil vom 17.12.2002 - B 4 RA 46/01 R - SozR 3-2600 § 70 Nr 6 RdNr 23).

Die Beklagte hat die EP (Ost) zutreffend ermittelt, indem sie zunächst von den Beitragszeiten aufgrund versicherter Beschäftigung ausgegangen ist und diesen die Beitragszeiten wegen Kindererziehung bis zu den Höchstwerten der Anlage 2b zum SGB VI hinzugerechnet, dh übersteigende EP unberücksichtigt gelassen hat. Unerheblich ist dabei, dass die Beklagte die Berechnung zum Teil nicht nur pro Kalendermonat (vgl § 70 Abs 2 Satz 1 SGB VI), sondern teilweise auch für bestimmte längere zusammenhängende Zeitabschnitte vorgenommen hat, denn insoweit sind die jährlichen Höchstwerte an EP der Anlage 2b durch die anteilige monatliche Berechnung maßgebend geblieben (vgl BSG Urteil vom 12.12.2006 - B 13 RJ 22/05 R - SozR 4-2600 § 70 Nr 2 RdNr 17).

Im Ergebnis blieben die Kindererziehungszeiten in vier Monaten (September bis Dezember 1973) in vollem Umfang unberücksichtigt, weil die Beitragsbemessungsgrenze bereits durch EP (Ost) aus beitragspflichtigen Verdiensten im Beitrittsgebiet ausgeschöpft war. Für 21 Monate (August 1972, Januar bis März 1974, April bis Mai 1979, Januar 1980 bis März 1981) schlugen...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT