Urteil Nr. B 13 R 29/17 R des Bundessozialgericht, 2018-10-10
Judgment Date | 10 Octubre 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:101018UB13R2917R0 |
Judgement Number | B 13 R 29/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. August 2017 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die im November 1949 geborene Klägerin begehrt Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Pflichtbeitragszeiten wegen der Erziehung ihrer vor 1992 geborenen Kinder.
Nach einer Tätigkeit als Angestellte stand sie von 1972 bis Juli 2014 als Lehrerin in einem Beamtenverhältnis zum Land Baden-Württemberg. Im Zeitraum von 1976 bis 1983 hat sie vier Kinder geboren.
Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte nach einem Kontenklärungsverfahren der Klägerin mit Vormerkungsbescheid vom 10.3.2011 für jedes der vier Kinder eine Kindererziehungszeit im Umfang von zwölf Monaten beginnend nach Ablauf des Geburtsmonats sowie Berücksichtigungszeiten fest.
Mit Bescheid vom 6.3.2014 bewilligte das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg (LBV) der Klägerin ab 1.8.2014 ein Ruhegehalt in Höhe von 1924,20 Euro. In der Anlage des Bescheids wurden jeweils die Zeiträume vom Tag der Geburt ihrer Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensmonats entweder als voll ruhegehaltsfähige Dienstzeiten im Beamtenverhältnis oder als gleichgestellte Zeit nach § 106 Abs 1 des Landesbeamtenversorgungsgesetzes Baden-Württemberg - LBeamtVGBW - vom 9.11.2010 (GBl 793) berücksichtigt.
Den Antrag der Klägerin auf Regelaltersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab April 2015 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.4.2015 mangels Erfüllung der Wartezeit ab. Das Versicherungskonto der Klägerin enthalte nur 24 auf die Wartezeit anrechenbare Monate. Zugleich hob die Beklagte den Vormerkungsbescheid hinsichtlich der Feststellung von Kindererziehungszeiten bzw Berücksichtigungszeiten auf. Kindererziehungszeiten könnten nach den geltenden Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht berücksichtigt werden, weil die Klägerin während der Kindererziehung Versorgungsanwartschaften nach beamtenrechtlichen Vorschriften erworben habe, die als systembezogen annähernd gleichwertig gelten würden. Den Widerspruch, den die Klägerin damit begründete, dass sie für die Erziehung ihrer vier Kinder in der Beamtenversorgung nur ca 174 Euro und damit nicht annähernd so viel erhalte wie nach aktuellem Rentenrecht (228,88 Euro), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.1.2016 zurück. Eine weitere Anerkennung von Kindererziehungszeiten sei nach der ab 1.7.2014 geltenden Regelung des § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI nicht möglich.
Klage und Berufung dagegen sind - jeweils im schriftlichen Verfahren - erfolglos geblieben (Urteile des SG Ulm vom 20.10.2016 und des LSG vom 30.8.2017). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, dass die Beklagte den Vormerkungsbescheid vom 10.3.2011 auf der Grundlage des § 149 Abs 5 S 2 SGB VI zu Recht aufgehoben habe. Die Voraussetzungen für eine Anerkennung von Kindererziehungszeiten seien zwar erfüllt, weil die Klägerin ihre Kinder im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überwiegend selbst erzogen habe. Sie sei jedoch von der Anrechnung dieser Zeiten nach § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI in der ab dem 1.7.2014 geltenden Fassung ausgeschlossen, weil in der beamtenrechtlichen Versorgung für jedes Kind eine Erziehungszeit berücksichtigt werde. Insoweit sei ein zeitlicher Gleichlauf der Versorgung mit dem Rentenrecht nicht erforderlich. Wegen der Sonderstellung von Beamten bestünden auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI.
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der vom LSG zugelassenen Revision. Das LSG habe die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals der systembezogen annähernden Gleichwertigkeit verkannt. Das in § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 1 SGB VI verwendete Merkmal "während der Erziehungszeit" könne im Sinne von "für die Erziehungszeit" ausgelegt werden, sodass nur diejenigen Erziehungszeiten als systembezogen annähernd gleichwertig anzusehen seien, die nach beamtenrechtlichen Vorschriften tatsächlich als solche berücksichtigt würden. Danach wäre für jedes Kind nur im Umfang von höchstens sechs Monaten die Gleichwertigkeit der Erziehungszeiten gegeben, nicht aber für 12 bzw 24 Monate. Eine andere Auslegung verletze Art 3 Abs 1 GG, weil es keine Rechtfertigung für die ihr ungleich vorenthaltene Begünstigung gebe. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Kindererziehungszeiten versicherungsfremd und steuerfinanziert seien. Es handele sich um eine Leistung von gesamtgesellschaftlichem Interesse, die nicht im Unterschied zwischen dem System der beamtenrechtlichen Alimentation und dem aus abhängiger Beschäftigung resultierenden Arbeitsentgelt wurzele.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. August 2017 und des Sozialgerichts Ulm vom 20. Oktober 2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. Januar 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. April 2015 eine Altersrente unter Berücksichtigung ihrer Kindererziehung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).
Das zunächst auf Anerkennung von Kindererziehungszeiten gerichtete Klagebegehren war bei allein sachgerechter Auslegung (§ 123 SGG) von Anfang an auf die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Kindererziehung gerichtet. Die davon abweichende Auslegung des LSG als isolierte Anfechtungsklage in Bezug auf die Aufhebung des Vormerkungsbescheids ist mit dem Rechtsmittel angreifbar und von Amts wegen ohne ausdrückliche Verfahrensrüge zu beachten (vgl BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 27; BVerwG Beschluss vom 27.4.2011 - 8 B 56/10 - Juris RdNr 4; BFH Urteil vom 20.9.1996 - VI R 43/93 - Juris RdNr 8; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 140 RdNr 2c mwN). Der Senat ist insoweit nicht gehindert, in der Sache zu entscheiden. Denn es bedarf im Hinblick auf diesen Streitgegenstand keiner weiteren Tatsachenfeststellungen.
Die gegen den Bescheid vom 30.4.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 11.1.2016 zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung der ab 1.4.2015 beantragten Altersrente (§ 35 S 1, § 235 Abs 2 S 2 SGB VI), weil die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren (§ 35 S 1 Nr 2, § 50 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB VI) nicht erfüllt ist. Auf die Wartezeit anrechenbare Beitragszeiten (§ 51 Abs 1 SGB VI) liegen nur im Umfang von 24 Kalendermonaten vor. Zu den Beitragszeiten gehören zwar grundsätzlich auch Kindererziehungszeiten (§ 54 Abs 1 Nr 1 Buchst a, Abs 2, § 55 Abs 1 S 1, § 177 Abs 1 SGB VI). Die Klägerin ist aber von der Anrechnung dieser Zeiten nach § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI in der seit 1.7.2014 geltenden Fassung ausgeschlossen (dazu 1). Diesem Ausschluss steht Verfassungsrecht nicht entgegen (dazu 2). Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht auf den Vormerkungsbescheid vom 10.3.2011 stützen, weil dessen Aufhebung zu Recht erfolgt ist (dazu 3).
1. Die Klägerin ist von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Umfang von insgesamt acht Jahren ausgeschlossen. Anzuwenden sind nach § 300 Abs 1 SGB VI die Regelungen des § 56 SGB VI, § 249 SGB VI in der ab 1.7.2014 geltenden Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (im Folgenden: RVLG) vom 23.6.2014 (BGBl I 787; <nF>). Danach wird für einen Elternteil gemäß § 56 Abs 1 SGB VI eine Kindererziehungszeit in den ersten drei Lebensjahren des Kindes (S 1) angerechnet, wenn die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist (S 2 Nr 1 iVm Abs 2), die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht (S 2 Nr 2 iVm Abs 3), und der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (S 2 Nr 3 iVm Abs 4). Nach § 249 Abs 1 SGB VI nF sind Kindererziehungszeiten - abweichend von § 56 Abs 1 SGB VI - für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder auf 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt begrenzt.
Bei der Klägerin sind die Voraussetzungen für die Zuordnung von Kindererziehungszeiten im Umfang von acht Jahren - 24 Kalendermonate pro Kind - grundsätzlich erfüllt. Denn aus den tatsächlichen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) ergibt sich, dass die Klägerin ihre Kinder in den 24 Monaten nach Ablauf des Geburtsmonats jeweils überwiegend in Deutschland erzogen hat und eine abweichende übereinstimmende Erklärung der Eltern über die Zuordnung nicht vorliegt (§ 56 Abs 2 S 9 SGB VI).
Der Anrechnung steht aber der Ausschluss nach § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI entgegen. Danach sind Elternteile von der Anrechnung ausgeschlossen, die "während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen Versorgungsregelungen systembezogen annähernd gleichwertig berücksichtigt wird wie die Kindererziehung nach diesem Buch; als in diesem Sinne systembezogen annähernd gleichwertig gilt eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen".
Für den Ausschluss der Klägerin von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten kommt es vorliegend nicht auf die in § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 1 SGB VI vorausgesetzte, annähernd gleichwertige Berücksichtigung der Kindererziehung in der Versorgung wie im SGB VI an. Entscheidend ist hierfür vielmehr, dass die Versorgung der Klägerin nach beamtenrechtlichen Vorschriften iS des § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI erworben worden ist. Deswegen sind bei ihr keine Kindererziehungszeiten anzurechnen, unabhängig davon, ob die...
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