Urteil Nr. B 13 R 6/19 R des Bundessozialgericht, 2019-12-11
Judgment Date | 11 Diciembre 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:111219UB13R619R0 |
Judgement Number | B 13 R 6/19 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Im Streit steht die Höhe der Altersrente für langjährig Versicherte. Der Kläger wendet sich gegen die Minderung des Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme dieser Rente.
Der 1954 geborene Kläger schloss im Jahr 2006 mit seinem Arbeitgeber einen Vertrag über Altersteilzeit im Blockmodell, deren Freistellungsphase am 31.5.2016 endete. Bei der Beklagten beantragte er Altersrente für langjährig Versicherte für die Zeit ab 1.6.2016, dem Monat nach Vollendung seines 62. Lebensjahrs. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sowohl die Wartezeit von 35 Jahren für die beantragte Rentenart, als auch die Wartezeit von 45 Jahren für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erfüllt. Antragsgemäß gewährte die Beklagte Altersrente für langjährig Versicherte ab 1.6.2016. Für die Berechnung des Monatsbetrags der Rente berücksichtigte sie einen verminderten Zugangsfaktor (1,0 - 36 x 0,003) von 0,892 wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 36 Kalendermonate (Bescheid vom 24.3.2016). Den Widerspruch, mit dem der Kläger eine abschlagsfreie Zahlung seiner Rente verlangte, wies die Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 12.7.2016).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 20.7.2017). Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf eine abschlagsfreie Rente. Die maßgebliche Altersgrenze von 63 Jahren für eine Rente für besonders langjährig Versicherte habe er bei Rentenbeginn noch nicht erreicht gehabt. Ihm sei die Rentenart bewilligt worden, die er beantragt habe. Ein späterer Wechsel in eine andere Rentenart sei ausgeschlossen. Bei Einführung der Rente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b SGB VI) habe der Gesetzgeber die Grenzen des ihm eingeräumten weiten Gestaltungsspielraums nicht überschritten. Allein aus der gesetzgeberischen Ziel- und Zweckbestimmung könne eine bisher nicht berechtigte Personengruppe kein Gebot der Gleichbehandlung herleiten. Den "Rentenabschlag" habe die Beklagte zutreffend ermittelt (Beschluss vom 8.1.2018).
Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI. Die darin angeordnete Verringerung des Zugangsfaktors sei ein Eingriff in durch Art 14 Abs 1 GG geschützte Eigentumsrechte, jedenfalls soweit diese für mehr als 16 Monate vorzeitiger Inanspruchnahme erfolge. Zwar sei dieser Eingriff durch das Ziel der Kostenneutralität eines vorzeitigen Rentenbezugs gerechtfertigt, jedoch gebiete es das Übermaßverbot, die Vorzeitigkeit anhand der frühestmöglichen, abschlagsfreien Altersrente zu bestimmen. Dem stehe weder der Wortlaut der Norm noch die systematische Unterscheidung der Rentenarten im SGB VI entgegen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 8. Januar 2018 und das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 20. Juli 2017 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Juli 2016 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger ab dem 1. Juni 2016 eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,952 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine höhere Altersrente für langjährig Versicherte unter Anwendung eines günstigeren Zugangsfaktors. Die Zahl der Kalendermonate, für die eine Rente iS des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI vorzeitig in Anspruch genommen wird, bestimmt sich nach der Differenz zwischen dem Alter des Versicherten bei Rentenbeginn und dem Alter, ab dem regelmäßig Anspruch auf die konkret in Anspruch genommene Rentenart besteht. Insoweit ergibt sich aus § 236 Abs 1 Satz 1 Nr 1, Abs 3 Nr 2 Buchst a, Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB VI eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für langjährig Versicherte durch den Kläger um 36 Kalendermonate (dazu 1.). Dieses Ergebnis steht im Einklang mit Verfassungsrecht (dazu 2.).
1. Die Beklagte hat den Monatsbetrag der vom Kläger bezogenen Altersrente für langjährig Versicherte zutreffend wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme dieser Rente um 36 Kalendermonate unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,892 festgesetzt. Dies folgt vorliegend aus § 236 SGB VI iVm § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI.
a) Der Anspruch des Klägers auf die von ihm beantragte und ihm ab 1.6.2016 gewährte Altersrente für langjährig Versicherte folgt aus § 236 SGB VI in der bei Rentenbeginn geltenden Fassung (§ 300 Abs 1 SGB VI) des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes (vom 20.4.2007, BGBl I 554). Dieser bestimmt als übergangsrechtliche Sonderregelung zu § 36 SGB VI, dass Versicherte, die wie der Kläger vor dem 1.1.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf diese Altersrente haben, wenn sie das 65. Lebensjahr vollendet und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Eine vorzeitige Inanspruchnahme ist grundsätzlich nach Vollendung des 63. Lebensjahrs möglich (§ 236 Abs 1 SGB VI). Von der Anhebung der Altersgrenze von 65 Jahren nach Abs 2 werden ua Versicherte nicht erfasst, die vor dem 1.1.1955 geboren sind und vor dem 1.1.2007 Altersteilzeitarbeit iS der §§ 2 und 3 Abs 1 Nr 1 AltTZG vereinbart haben (§ 236 Abs 2 Satz 3 Nr 1 SGB VI). Zugleich ist für diese Versicherten die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente bereits ab dem Alter von 62 Jahren möglich, sofern sie in den Jahren 1950 bis 1963 geboren sind (§ 236 Abs 3 SGB VI).
Beim Kläger lagen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte nach den vom LSG mit Bindungswirkung für den Senat (§ 163 SGG) festgestellten Tatsachen zum 1.6.2016, dem Monat nach Vollendung seines 62. Lebensjahrs, vor. Insbesondere war die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt. Die Ausnahmeregelungen des § 236 Abs 2 Satz 3 Nr 1 und Abs 3 SGB VI waren zugunsten des Klägers jeweils anwendbar, da er 1954 geboren ist und bereits am 20.11.2006 mit seinem Arbeitgeber Altersteilzeit vereinbart hatte.
b) Den Monatsbetrag der dem Kläger gewährten Altersrente für langjährig Versicherte hat die Beklagte zutreffend unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,892 ermittelt.
Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich, indem die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit dem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden (§ 64 Nr 1 SGB VI). Der vom Kläger allein angegriffene Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte (§ 66 Abs 1 SGB VI); durch ihn werden nach § 63 Abs 5 SGB VI Vor- und Nachteile einer unterschiedlichen Rentenbezugsdauer ausgeglichen.
Der Zugangsfaktor richtet sich aufgrund von § 77 SGB VI in der hier maßgeblichen Fassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.4.2007 (BGBl I 554) ua nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind (Abs 1). Für Entgeltpunkte, die - wie hier - noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, ist der Zugangsfaktor bei Renten wegen Alters, die mit Ablauf des Kalendermonats des Erreichens der Regelaltersgrenze oder eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters beginnen, 1,0 (Abs 2 Satz 1 Nr 1). Bei Renten wegen Alters, die vorzeitig in Anspruch genommen werden, ist er für jeden Kalendermonat um 0,003 niedriger als 1,0 (Abs 2 Nr 2 Buchst a; zur Ermittlung des Zugangsfaktors vgl auch BSG Urteil vom 26.7.2007 - B 13 R 44/06 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 1 RdNr 17).
Der Kläger hat die Altersrente für langjährig Versicherte 36 Kalendermonate vor der für ihn in Bezug auf diese Rentenart geltenden regelmäßigen Altersgrenze von 65 Jahren und damit iS des § 77 SGB VI um ebenso viele Monate vorzeitig in Anspruch genommen.
Entgegen der Auffassung des Klägers kann der Begriff "vorzeitig" in § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI nicht durch Rückgriff auf die Wendung "eines für den Versicherten maßgebenden niedrigeren Rentenalters" in § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 SGB VI bestimmt werden. Ob und um welche Zahl von Kalendermonaten eine Rente wegen Alters iS des § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a SGB VI "vorzeitig" in Anspruch genommen wird, bestimmt sich allein nach der Differenz zwischen dem in den Regelungen über die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart festgesetzten Alter, ab dem regelmäßig frühestens Anspruch auf diese Rente besteht, und dem Alter des Versicherten bei Beginn der dort so bezeichneten "vorzeitige(n) Inanspruchnahme" mit einem niedrigeren Lebensalter. Die Altersgrenzen anderer, für einen Versicherten erst nach dem tatsächlichen Rentenbeginn in Betracht kommender Rentenarten sind ohne Belang. Dies folgt aus einer Auslegung des § 77 SGB VI vor allem nach dessen systematischer Einbettung sowie aus der Regelungsgeschichte und dem Zweck der hierbei zu betrachtenden Normen.
aa) Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Wortlaut des § 77 SGB VI nicht unmittelbar erkennen lässt, ob und um wie viele Kalendermonate eine Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen worden ist. Zwar macht § 77 Abs 1 SGB VI deutlich, dass ausschlaggebend für den Zugangsfaktor das Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder - worauf es vorliegend nicht ankommt - bei dessen Tod ist. Darüber hinaus kann aber allenfalls der Gesamtschau von § 77 Abs 2 Satz 1 Nr 1 sowie Nr 2 Buchst a und b SGB VI...
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