Urteil Nr. B 13 R 20/16 R des Bundessozialgericht, 2018-10-10

Judgment Date10 Octubre 2018
ECLIDE:BSG:2018:101018UB13R2016R0
Judgement NumberB 13 R 20/16 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bei Beamten für vor 1992 geborene Kinder - annähernd gleichwertige Berücksichtigung in der Beamtenversorgung - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften schließt die Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder in der gesetzlichen Rentenversicherung aus, ohne dass es auf die annähernd gleichwertige Berücksichtigung der Kindererziehung in der Beamtenversorgung im Einzelfall ankommt.

Tenor

Die Sprungrevision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20. Mai 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Die im September 1951 geborene Klägerin begehrt höhere Altersrente unter Berücksichtigung der Erziehung ihrer vor 1992 geborenen Kinder.

Sie stand von 1973 bis zum Juni 2006 als Lehrerin in einem Beamtenverhältnis zum Land Nordrhein-Westfalen. Während dieser Zeit hat sie drei Kinder geboren, 1978 einen Sohn (N. ) und 1984 Zwillinge (T. und S. ).

Seit dem 1.7.2006 bezieht sie ein Ruhegehalt nach §§ 4 ff des Beamtenversorgungsgesetzes (BeamtVG). Bei der Festsetzung wurden jeweils die Zeiträume vom Tag der Geburt ihrer Kinder bis zur Vollendung des 6. Lebensmonats entweder als ruhegehaltsfähige Dienstzeit im Beamtenverhältnis oder als Kindererziehungszeit während einer Freistellung vom Dienst nach § 6 Abs 1 S 4 und 5 BeamtVG in der bis zum 31.12.1991 geltenden Fassung berücksichtigt. Die Klägerin erhält ein pauschaliert errechnetes Mindestruhegehalt, das über der erdienten Versorgung einschließlich der berücksichtigten Kindererziehungszeiten liegt. Mit Bescheid vom 21.7.2015 hat das zuständige Landesamt für Besoldung und Versorgung Nordrhein-Westfalen (LBV) anerkannt, dass der Klägerin ein Kindererziehungsergänzungszuschlag für ihren Sohn T. für die Zeit vom 1.2.1993 bis 19.11.1994 dem Grunde nach zustehe, der aber in voller Höhe ruhe.

Der beklagte Rentenversicherungsträger stellte mit Vormerkungsbescheid vom 29.3.2010 für jedes der drei Kinder eine Kindererziehungszeit der Klägerin im Umfang von 12 Monaten sowie Berücksichtigungszeiten ab dem Tag der Geburt bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr bzw bei ihrem Sohn S. bis zu dessen Tod am 20.11.1986 fest.

Mit Bescheid vom 19.8.2014 gewährte die Beklagte der Klägerin antragsgemäß Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 1.10.2014. Zugleich hob sie den Vormerkungsbescheid hinsichtlich der Feststellung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten auf. Solche könnten nach den nunmehr geltenden Regelungen der gesetzlichen Rentenversicherung nicht anerkannt werden, weil die Klägerin Versorgungsanwartschaften nach beamtenrechtlichen Vorschriften erworben habe, die als systembezogen annähernd gleichwertig gelten würden. Den Widerspruch, den die Klägerin damit begründete, dass ihr für die Erziehung ihrer drei Kinder in der Beamtenversorgung viel weniger Monate als in der gesetzlichen Rentenversicherung anerkannt worden seien, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 6.1.2015 zurück.

Die dagegen gerichtete Klage hat das SG Duisburg mit Urteil vom 20.5.2016 abgewiesen und mit Beschluss vom 12.7.2016 die Sprungrevision zugelassen. Die Klägerin sei von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten nach § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI ausgeschlossen, weil sie ein Ruhegehalt erhalte, in dem Kindererziehungszeiten berücksichtigt worden seien. Auch wenn diese nicht dem Umfang entsprächen, den § 249 SGB VI vorsehe, handele es sich um eine gleichwertige Versorgung. Dies ergebe sich aus der ab 1.7.2014 in Halbs 2 eingeführten Gleichwertigkeitsfiktion für eine Versorgung nach beamtenrechtlichen Vorschriften. Damit erübrige sich ein quantitativer Vergleich zwischen den beiden Alterssicherungssystemen. Der Gesetzgeber habe Beamte generell von der Anrechnung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ausschließen wollen. Dieser Ausschluss gelte auch hier, obwohl die Mindestversorgung faktisch keine Kindererziehungszeiten enthalte. Dadurch werde die Klägerin lediglich begünstigt, weil die von ihr selbst erwirtschaftete Versorgung mit den Kindererziehungszeiten geringer ausfalle. Wegen der Sonderstellung von Beamten bestünden auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI.

Mit ihrer Sprungrevision wendet sich die Klägerin gegen das Urteil des SG. Sie ist der Auffassung, dass der Wortlaut des § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI verfassungskonform ausgelegt werden müsse. Die Anerkennung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung dürfe zur Vermeidung von Doppelleistungen nur ausgeschlossen werden, wenn in einem anderen System tatsächlich eine annähernd gleichwertige Berücksichtigung erfolge. Die in § 56 Abs 4 Nr 3 Halbs 2 SGB VI enthalte Fiktion der Gleichwertigkeit setze voraus, dass die Versorgungsanwartschaften "aufgrund der Erziehung" erworben worden seien. Allein die beamtenrechtliche Anwartschaft auf dem Papier könne dagegen keine Leistungen in der Rentenversicherung ausschließen. So liege es in ihrem Fall, weil sie eine Mindestversorgung erhalte, die keine Leistungen für Kindererziehung umfasse, sondern nach gänzlich anderen Kriterien berechnet werde. Davon abgesehen sei nur für einen der Zwillinge eine Anwartschaft auf beamtenrechtliche Versorgung wegen Kindererziehung erworben worden, sodass zumindest für den anderen Zwilling Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung erbracht werden müssten. Insgesamt seien in der Versorgung nur 251 Tage für ihre drei Kinder - statt 6 Jahren, wie in der gesetzlichen Rentenversicherung möglich - anerkannt worden. Dies sei nicht annähernd gleichwertig. Wenn sie dennoch pauschal von der Gewährung staatlicher Rentenleistungen wegen Kindererziehung ausgeschlossen würde, liege ein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor. Der Gesetzgeber sei von der falschen Annahme ausgegangen, dass die Beamtenversorgung ausnahmslos Leistungen für Kindererziehung erbringe. Sie werde außerdem ungerechtfertigt mit Personen gleich behandelt, die gesetzliche Rente und Mindestpension oder erdientes Ruhegehalt beziehen, aber keine Kinder erzogen haben.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 20. Mai 2016 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 19. August 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. Januar 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. Oktober 2014 höhere Altersrente unter Berücksichtigung ihrer Kindererziehung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend. Unter Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte des § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI und des Regelungswillens des Gesetzgebers sei darauf abzustellen, ob Versorgungsanwartschaften generell während und aufgrund der Kindererziehung erworben werden könnten und nicht darauf, ob dies im Einzelfall so sei. Die konkreten leistungsrechtlichen Auswirkungen im Beamtenrecht seien nicht erheblich.

Entscheidungsgründe

Die Sprungrevision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 19.8.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 6.1.2015 ist rechtmäßig. Die hiergegen zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 4 SGG) ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf höhere Altersrente aufgrund ihrer Kindererziehung. Sie ist vielmehr von der Anrechnung von Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten nach § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI in der seit 1.7.2014 geltenden Fassung ausgeschlossen (dazu 1). Diesem Ausschluss steht Verfassungsrecht nicht entgegen (dazu 2). Die Klägerin kann ihr Begehren auch nicht auf den Vormerkungsbescheid vom 29.3.2010 stützen, weil dessen Aufhebung zu Recht erfolgt ist (dazu 3).

1. Die Klägerin ist von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Umfang von insgesamt 6 Jahren sowie von Berücksichtigungszeiten ausgeschlossen. Anzuwenden sind nach § 300 Abs 1 SGB VI die Regelungen des § 56 SGB VI, § 249 SGB VI in der ab 1.7.2014 geltenden Fassung des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (im Folgenden: RVLG) vom 23.6.2014 (BGBl I 787 <nF>). Danach wird für einen Elternteil gemäß § 56 Abs 1 SGB VI eine Kindererziehungszeit in den ersten drei Lebensjahren des Kindes (S 1) angerechnet, wenn die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist (S 2 Nr 1 iVm Abs 2), die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht (S 2 Nr 2 iVm Abs 3), und der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist (S 2 Nr 3 iVm Abs 4). Bei Mehrlingsgeburten wird nach § 56 Abs 5 S 2 SGB VI die Kindererziehungszeit für das weitere Kind um die Anzahl an Kalendermonaten der gleichzeitigen Erziehung verlängert. Nach § 249 Abs 1 SGB VI nF sind Kindererziehungszeiten - abweichend von § 56 Abs 1 SGB VI - für vor dem 1.1.1992 geborene Kinder auf 24 Kalendermonate nach Ablauf des Monats der Geburt begrenzt. Berücksichtigungszeiten sind nach § 57 SGB VI die Zeiten der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.

Bei der Klägerin sind danach die Voraussetzungen für die Zuordnung von Kindererziehungszeiten der gesetzlichen Rentenversicherung im Umfang von 6 Jahren - 24 Kalendermonate pro Kind - sowie von Berücksichtigungszeiten grundsätzlich erfüllt. Der Anrechnung dieser Zeiten steht aber der Ausschluss nach § 56 Abs 4 Nr 3 SGB VI entgegen. Danach sind Elternteile von der Anrechnung ausgeschlossen, die "während der Erziehungszeit Anwartschaften auf Versorgung im Alter aufgrund der Erziehung erworben haben, wenn diese nach den für sie geltenden besonderen...

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