Urteil Nr. B 14 AS 17/19 R des Bundessozialgericht, 2020-02-20

Judgment Date20 Febrero 2020
ECLIDE:BSG:2020:200220UB14AS1719R0
Judgement NumberB 14 AS 17/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Mai 2018 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat den Klägern die Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

Umstritten sind Kostenerstattungsansprüche gemäß § 63 SGB X nach Aufrechnungen des beklagten Jobcenters.

Nach einem erfolgreichen Vorverfahren der Kläger - eine Mutter und zwei ihrer minderjährigen Kinder - hatte der Beklagte entschieden, er werde deren außergerichtliche Kosten erstatten, soweit sie notwendig gewesen und nachgewiesen seien. Außerdem hatte er die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für notwendig erkannt (Bescheide vom 14.10.2015). Die Kläger machten 595 Euro Anwaltskosten für die Vertretung im Vorverfahren geltend. Der Beklagte erklärte, er erkenne diesen Betrag in voller Höhe an, rechne aber mit Forderungen gegenüber den Klägern in unterschiedlicher Höhe auf (Schreiben vom 5.11.2015). Die nach Aufrechnung im Verhältnis zu einer Klägerin noch verbliebenen 82,78 Euro glich er bei der Bevollmächtigten aus.

Das SG hat auf die Klage der Kläger und eines weiteren Kindes den Beklagten zu Freistellung von den noch geltend gemachten Anwaltskosten in Höhe von 512,22 Euro verurteilt (Urteil vom 28.8.2017). Das LSG hat die zugelassenen Berufungen zurückgewiesen (Urteil vom 31.5.2018). Die von dem Beklagten in voller Höhe anerkannten Kostenerstattungsansprüche seien nicht erloschen. Sie richteten sich auf Freistellung und seien mangels Gleichartigkeit iS von § 387 BGB nicht mit den Geldforderungen des Beklagten aufzurechnen.

Der Senat hat die Revision zugelassen. Das weitere minderjährige Kind hat seine Klage zurückgenommen. Der Beklagte rügt eine Verletzung von § 63 SGB X. Erstattungsansprüche nach dieser Vorschrift zielten auf Zahlung. Zu § 257 BGB entwickelte Grundsätze seien nicht heranzuziehen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. Mai 2018 sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. August 2017 aufzuheben und die Klagen abzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision ist nach Rücknahme der Klage des weiteren minderjährigen Kindes unbegründet. Das LSG hat die auf die Ansprüche der Kläger bezogene Berufung des Beklagten zu Recht zurückgewiesen und damit die Verurteilung des Beklagten zum Ausgleich von noch 512,22 Euro durch das SG bestätigt.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen die Pflicht des Beklagten zur Übernahme des aus der Kostennote der Bevollmächtigten der Kläger noch offenen Betrags. Dass die Gebührenabrechnung dem Grunde nach berechtigt war, ist nach den bestandskräftigen Entscheidungen vom 14.10.2015 über die Kostenlast (§ 63 Abs 1 Satz 1 SGB X) und die Notwendigkeit der Hinzuziehung der Bevollmächtigten (§ 63 Abs 2, Abs 3 Satz 2 SGB X) nicht mehr zu prüfen.

Durch seinen Kostenfestsetzungsverwaltungsakt (§ 63 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 SGB X) vom 5.11.2015 hat der Beklagte die geltend gemachten Aufwendungen in Höhe von 595 Euro vollumfänglich anerkannt; auch ihre Höhe ist damit nicht im Streit. Vor der Aufrechnungserklärung hat der Beklagte geregelt, er erkenne die vollen Anwaltskosten an. Die Kostenfestsetzung bezieht sich damit auf die gesamte Kostennote und nicht nur auf die gezahlten 82,78 Euro.

2. Verfahrensrechtliche Hindernisse stehen einer Sachentscheidung des Senats nicht entgegen. Streitigkeiten wegen der Kosten eines isolierten Vorverfahrens (§§ 78 ff SGG) sind keine Kosten des Verfahrens iS von § 144 Abs 4 SGG (stRspr; vgl BSG vom 12.12.2019 - B 14 AS 48/18 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Wegen der Höhe der offenen Kostennote war die Berufung statthaft, nachdem sie das SG in seinem Urteil zugelassen hat (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG).

Zutreffende Klageart ist die echte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG). Mit dieser Klageart kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hat. Leistung in diesem Sinne ist jedes Tun, Dulden oder Unterlassen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 37; zur Zahlung aus einem nicht aufgehobenen Bewilligungsverwaltungsakt BSG vom 27.3.1980 - 10 RV 23/79 - BSGE 50, 82 = SozR 1500 § 54 Nr 40), demgemäß auch die freistellende Zahlung als Unterfall der bewilligten Kostenerstattung.

Dem Klageziel steht kein weiterer Verwaltungsakt entgegen, mit dem Rechte der Kläger aus dem Kostenfestsetzungsverwaltungsakt wieder beseitigt worden sind (vgl § 39 Abs 2 SGB X) und der deswegen hätte angefochten werden müssen. Eine hierfür erforderliche Regelung (§ 31 SGB X) hat der Beklagte erkennbar nicht treffen wollen und stattdessen Aufrechnungen erklärt (vgl BSG vom 24.7.2003 - B 4 RA 60/02 R - SozR 4-1200 § 52 Nr 1 RdNr 17; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 15). Wegen der Aufrechnungen hat er nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG weder Aktivitäten entfaltet, die Verwaltungsverfahren mit dem Ziel des Abschlusses durch Verwaltungsakt hätten sein können (vgl § 8 SGB X), noch seine Entscheidungen als Verwaltungsakte bezeichnet oder anderweitig den Eindruck erweckt, er habe durch Verwaltungsakte über die Aufrechnungen entschieden (vgl zur Entscheidung in der Form des Verwaltungsakts, ohne dass die Merkmale des § 31 SGB X gegeben sind Littmann in Hauck/Noftz, K § 31 SGB X, RdNr 35, Stand Dezember 2011; BSG vom 3.4.2003 - B 13 RJ 39/02 R - BSGE 91, 68 = SozR 4-1300 § 31 Nr 1 RdNr 12). Die nach den Aufrechnungserklärungen durch den Beklagten vorgenommene Erläuterung, es ergebe sich nur noch ein zu begleichender Anspruch in Höhe von 82,78 Euro, ist kein (feststellender) Verwaltungsakt und auch keine gesonderte Teilablehnung der Auszahlung.

3. Die Kläger haben die geltend gemachten Ansprüche auf vollen Ausgleich der vom Beklagten festgesetzten 595 Euro. Den Aufrechnungen stand ein Aufrechnungsverbot entgegen.

a) Zwar hat der Beklagte, weil er die Kostenerstattungsansprüche der Kläger nicht durch Zahlung erfüllen wollte, Aufrechnungen durch öffentlich-rechtliche Willenserklärungen erklärt. Hierzu war er grundsätzlich berechtigt (vgl zur Aufrechnung als Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts BSG vom 9.6.1988 - 4 RA 9/88 - BSGE 63, 224, 230 = SozR 1300 § 48 Nr 47 S 135 mwN; BSG vom 15.12.1994 - 12 RK 69/93 - BSGE 75, 283, 284 ff = SozR 3-2400 § 28 Nr 2 S 9 ff; BSG vom 22.7.2004 - B 3 KR 21/03 R - BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2; zur Verrechnung BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4; allgemein zum Meinungsstand BSG vom 16.12.2009 - B 7 AL 43/07 R - RdNr 15; vgl auch BVerwG vom 27.10.1982 - 3 C 6/82 - BVerwGE 66, 218, 221; BFH vom 2.4.1987 - VII R 148/83 - BFHE 149, 482, 487). Welche Anforderungen indes im Einzelnen bei einer sozialrechtlichen Überformung der entsprechend anzuwendenden Vorschriften des BGB an eine wirksame Aufrechnung zu stellen wären und inwieweit einzelne spezialgesetzliche Vorschriften des SGB II als abschließend verstanden werden müssen, kann offen bleiben. Jedenfalls bestand ein Aufrechnungsverbot.

b) Die Aufrechnung von Kostenerstattungsansprüchen aus § 63 SGB X mit Erstattungsforderungen eines Jobcenters aufgrund der Überzahlung...

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