Urteil Nr. B 14 AS 21/17 R des Bundessozialgericht, 2018-04-25
Judgment Date | 25 Abril 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:250418UB14AS2117R0 |
Judgement Number | B 14 AS 21/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Zusicherung des kommunalen Trägers, nach einem Umzug eines volljährigen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren Bedarfe für Unterkunft und Heizung anzuerkennen, ist nur bei einem Umzug in eine Unterkunft erforderlich, über die durch den Leistungsberechtigten vor dem Umzug ein Vertrag abgeschlossen wird.
TenorAuf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. September 2016 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im Streit ist die Höhe des Alg II des Klägers von August 2013 bis Januar 2014 nach einem Umzug.
Der 1990 geborene, unverheiratete Kläger lebte bis Sommer 2013 im Haushalt seiner Mutter in H (Landkreis L ) und bezog bis 31.7.2013 als Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter und Geschwistern Alg II vom Jobcenter Landkreis L . Dieses wies ihn zur Verbesserung seiner Eingliederungschancen einer Maßnahme in der Nähe von Ha zu, in deren Rahmen er dort internatsmäßig untergebracht werden sollte. Am 1.8.2013 zog der Kläger zu seiner Freundin A , die er 2008 kennengelernt hatte und die seit ihrem Auszug aus dem elterlichen Haushalt bei den Eheleuten K in deren Wohnung im Haus S in G wohnte. Eine vorherige Zusicherung des Leistungsträgers nach § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II holte der Kläger nicht ein. Frau A bezog ebenso wie die Eheleute K Alg II vom beklagten Jobcenter. Nach dem Einzug des Klägers reduzierte der Beklagte die Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Eheleute K auf die Hälfte der monatlichen Aufwendungen (zwei von vier Kopfteilen); einen Kopfteil von Frau A berücksichtigte der Beklagte bei der Leistungsbewilligung für sie nicht.
Auf Antrag des Klägers vom 1.8.2013 bewilligte der Beklagte ihm Alg II für die Zeit vom 1.8.2013 bis 31.1.2014 in Höhe von monatlich 306 Euro (Bescheid vom 12.8.2013). Dabei berücksichtigte er neben dem Regelbedarf nur in dieser Höhe keine Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Den Widerspruch des Klägers, mit dem er einen höheren Regelbedarf und die anteiligen Bedarfe für Unterkunft und Heizung geltend machte, wies der Beklagte zurück (Widerspruchsbescheid vom 4.9.2013): Der Kläger sei als Unter-25-Jähriger ohne Zusicherung des kommunalen Trägers umgezogen, weshalb nach § 22 Abs 5 SGB II Bedarfe für Unterkunft und Heizung nicht anerkannt werden könnten und nach § 20 Abs 3 SGB II der monatliche Regelbedarf 306 Euro betrage. Durch Änderungsbescheid vom 23.11.2013 bewilligte der Beklagte dem Kläger für Januar 2014 einen Regelbedarf in Höhe von 313 Euro unter Hinweis auf die zum 1.1.2014 neu festgesetzten Regelbedarfe.
Die auf höhere Leistungen gerichtete Klage wies das SG ab (Urteil vom 12.12.2014). Die Berufung des Klägers wies das LSG zurück (Urteil vom 22.9.2016): Der im streitigen Zeitraum noch nicht 25 Jahre alte Kläger habe keinen Anspruch auf die begehrten höheren Leistungen, weil er ohne die wegen seines ersten Umzugs aus dem elterlichen Haushalt erforderliche vorherige Zusicherung nach § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II umgezogen sei und von einer Zusicherung vorliegend auch nicht nach § 22 Abs 5 Satz 3 SGB II abgesehen werden könne. Das Erfordernis einer Zusicherung und die leistungsrechtlichen Folgen eines Umzugs ohne Zusicherung seien nicht verfassungswidrig.
Mit seiner vom BSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der Ansprüche auf den höheren Regelbedarf nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II und auf Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II sowie eine Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Bei der verfassungsrechtlich gebotenen restriktiven Anwendung des § 22 Abs 5 SGB II sei eine Zusicherung nicht erforderlich, wenn vor dem Umzug kein Vertrag über die Unterkunft abgeschlossen worden sei, sondern die Bedarfe für Unterkunft und Heizung ausschließlich entstünden, weil der Betroffene in einen anderen Haushalt einziehe und das Jobcenter die Unterkunftsaufwendungen nach dem Kopfteilprinzip zwischen den Haushaltsangehörigen verteile. So liege es hier, weil der Kläger keine eigene Wohnung bezogen und keinen eigenen Mietvertrag unterschrieben habe, sondern sich einem bestehenden Haushalt angeschlossen habe. Seine Bedarfe für Unterkunft und Heizung ergäben sich aus der Verteilung der Unterkunftsaufwendungen nach dem Kopfteilprinzip auf die Haushaltsangehörigen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22. September 2016 und des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 12. Dezember 2014 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheids vom 12. August 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. September 2013 und des Änderungsbescheids vom 23. November 2013 zu verurteilen, ihm für die Zeit von August 2013 bis Januar 2014 höheres Arbeitslosengeld II zu zahlen.
Der Beklagte verweist auf das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Revision des Klägers ist iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Auf der Grundlage der Feststellungen des LSG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob dem Begehren des Klägers nach höheren Leistungen die leistungsrechtlichen Folgen der unterlassenen Einholung einer Zusicherung nach § 22 Abs 5 SGB II entgegenstehen.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile des LSG und des SG und der Bescheid des Beklagten vom 12.8.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4.9.2013 sowie der Änderungsbescheid vom 23.11.2013, der für Januar 2014 eine ersetzende Neuregelung enthält und nach § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist. Mit seiner zulässig auf den Erlass eines Grundurteils im Höhenstreit (§ 130 Abs 1 SGG; BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10) gerichteten kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG) begehrt der Kläger als höhere Leistungen den Regelbedarf für eine alleinstehende Person nach § 20 Abs 2 Satz 1 SGB II statt des ihm nur bewilligten geringeren Regelbedarfs nach § 20 Abs 3 iVm Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB II und die Bedarfe für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Höhe seines Kopfteils an den Aufwendungen für die (auch) von ihm bewohnte Wohnung. Streitig ist der Zeitraum von August 2013 bis Januar 2014.
2. Rechtsgrundlage des geltend gemachten höheren Leistungsanspruchs des Klägers sind § 19 Abs 1 Satz 1 und 3 iVm § 20 Abs 2 Satz 1 und § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II (in der ab 1.4.2011 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850; Geltungszeitraumprinzip, vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).
3. Der Kläger erfüllte nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II (erwerbsfähiger Leistungsberechtigter), aber keinen Ausschlusstatbestand.
Er...
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