Urteil Nr. B 14 AS 34/17 R des Bundessozialgericht, 2018-11-28

Judgment Date28 November 2018
ECLIDE:BSG:2018:281118UB14AS3417R0
Judgement NumberB 14 AS 34/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Grundsicherung für Arbeitsuchende - abschließende Entscheidung nach vorläufiger Leistungsbewilligung - Bezeichnung als "Änderungsbescheid" - Bekanntgabe - Erstattung erbrachter Leistungen - Beschränkung der Minderjährigenhaftung - Verschulden des Vertreters - Bagatellgrenze)
Leitsätze

Die Beschränkung der Minderjährigenhaftung setzt weder ein Verschulden des Vertreters des Minderjährigen voraus noch gibt es für ihr Eingreifen eine Bagatellgrenze.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. August 2017 aufgehoben. Das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 31. Mai 2016 wird geändert und der Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2015 wird aufgehoben, soweit eine über 19,84 Euro hinausgehende Erstattung verlangt wird.

Der Beklagte hat der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits für alle drei Instanzen zu erstatten.

Tatbestand

Umstritten ist eine Erstattungsforderung des beklagten Jobcenters gegen die Klägerin im Hinblick auf eine Beschränkung der Minderjährigenhaftung.

Die am 2.5.1997 geborene Klägerin war Schülerin und lebte in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater und ihrem Bruder. Der Beklagte bewilligte ihnen vorläufig aufstockendes Alg II für den Zeitraum vom 1.3. bis 30.6.2015 (Bescheid vom 10.2.2015). Nachdem der Vater seine Verdienstbescheinigungen vorgelegt hatte, ausweislich derer er tatsächlich ein geringfügig höheres Einkommen als das vorläufig zugrunde gelegte erzielt hatte, setzte der Beklagte mit "Änderungsbescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts" vom 24.8.2015 für die drei Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft jeweils niedrigere Leistungen als zuvor bewilligt abschließend fest. Mit einem weiteren Bescheid ebenfalls vom 24.8.2015, der an die Klägerin persönlich gerichtet war, verlangte der Beklagte unter Hinweis auf die nunmehrige abschließende Festsetzung des Alg II von der Klägerin die Erstattung von insgesamt 53,24 Euro für die Monate März bis Juni 2015. Der Widerspruch hiergegen wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 29.10.2015).

Mit ihrer Klage hat sich die Klägerin nur gegen die Erstattungsforderung für die Zeit vom 1.3. bis 1.5.2015 in Höhe von 33,40 Euro gewandt und eine Vermögensauskunft vorgelegt, wonach sie über kein Bar- oder Sparvermögen und als Sachvermögen über ein ca zwei Jahre altes Mobiltelefon, eine mehrere Jahre alte Digitaluhr, Schulbücher im Wert von ca 40 Euro, zehn Bücher der Unterhaltungsliteratur und acht CD's verfüge. Das SG hat den Erstattungsbescheid aufgehoben, soweit danach mehr als 25 Euro zu erstatten seien. Die Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB für die Zeit vor Vollendung des 18. Lebensjahres sei im Grundsatz gegeben, von den von der Klägerin aufgezählten Vermögensgegenständen seien das Mobiltelefon sowie die Unterhaltungsliteratur und die CD's zu berücksichtigen; der Wert dieser Gegenstände werde auf 25 Euro geschätzt. Im Übrigen ist die Klage abgewiesen worden (Urteil vom 31.5.2016). Nur die Klägerin hat die vom SG zugelassene Berufung eingelegt, die das LSG zurückgewiesen hat (Urteil vom 16.8.2017). Entgegen der Auffassung des SG greife die Beschränkung der Minderjährigenhaftung nach § 1629a BGB hier nicht, weil die Erstattungsforderung nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten des Vaters beruhe, sondern auf einer abschließenden Entscheidung nach einer vorläufigen Bewilligung wegen der Höhe des zu berücksichtigenden Einkommens. Deshalb komme es nicht darauf an, dass das SG zu Unrecht für die Berechnung einer Erstattungssumme Vermögensgegenstände berücksichtigt habe, die unpfändbar seien.

Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 328 Abs 3 Satz 2 Halbsatz 1 SGB III und des § 1629a BGB. Es fehle zum einen bereits an einer Rechtsgrundlage für den Erstattungsbescheid, da durch den als Änderungsbescheid gekennzeichneten Bescheid vom 24.8.2015 keine endgültige Bewilligungsentscheidung getroffen worden sei. Der Änderungsbescheid sei zudem an ihren Vater adressiert gewesen, zu diesem Zeitpunkt sei sie aber bereits volljährig gewesen. Eine Zurechnung über §§ 1626 ff, 1629 BGB scheide ebenso aus wie die Heranziehung des § 38 SGB II. Hinsichtlich des § 1629a BGB habe das LSG verkannt, dass dessen Voraussetzungen auch bei der Beantragung existenzsichernder Leistungen gegeben seien und ein Fehlverhalten des gesetzlichen Vertreters für das Eingreifen des § 1629a BGB keine Voraussetzung sei.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 16. August 2017 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 31. Mai 2016 zu ändern und den Bescheid des Beklagten vom 24. August 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Oktober 2015 aufzuheben, soweit eine über 19,84 Euro hinausgehende Erstattung verlangt wird.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zu Unrecht hat das LSG entschieden, dass die Grundsätze der Beschränkung der Minderjährigenhaftung hier nicht anwendbar seien und die Klägerin dem Beklagten für den streitigen Zeitraum vom 1.3. bis 1.5.2015 im Ergebnis 25 Euro zu erstatten habe.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind neben den vorinstanzlichen Urteilen der Bescheid des Beklagten vom 24.8.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.10.2015, mit dem eine Erstattungsforderung von insgesamt 53,24 Euro für März bis Juni 2015 festgesetzt wurde. Da die Klägerin aber allein die Aufhebung des Erstattungsbescheids für den Zeitraum vom 1.3. bis 1.5.2015 begehrt, standen ursprünglich nur 33,40 Euro im Streit. Diesbezüglich hat das SG mit seinem Urteil die Haftung der Klägerin auf das von ihm als pfändbar angesehene Vermögen von 25 Euro beschränkt, sodass die Klage bereits im Umfang von 8,40 Euro erfolgreich war. Da allein die Klägerin Berufung eingelegt hat, war nur noch über diese 25 Euro zu entscheiden. In der Sache geht es darum, ob bezüglich der Erstattungsforderung die Beschränkung der Minderjährigenhaftung gemäß § 1629a BGB zu Gunsten...

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