Urteil Nr. B 14 AS 7/18 R des Bundessozialgericht, 2018-09-12

Judgment Date12 Septiembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:120918UB14AS718R0
Judgement NumberB 14 AS 7/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 11. Januar 2018 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verpflichtet wird, über den Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 1. Oktober 2016 bis 31. März 2017 erneut abschließend zu entscheiden.

Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

Umstritten sind eine abschließende Entscheidung nach § 41a SGB II und die Erstattung von Leistungen.

Der 1971 geborene, alleinstehende Kläger bezog als Selbständiger Alg II, das ihm vom beklagten Jobcenter für den streitbefangenen Zeitraum von Oktober 2016 bis März 2017 vorläufig bewilligt worden war. Der Beklagte forderte ihn mit Schreiben vom 3.4.2017 zur Vorlage von Unterlagen sowie der Anlage EKS bis zum 31.5.2017 auf und belehrte ihn über Folgen bei Nichtvorlage. Mit Bescheid vom 19.6.2017 stellte der Beklagte fest, dass kein Leistungsanspruch bestanden habe, weil der Kläger sich nicht geäußert habe, und forderte die Erstattung von 3581,69 Euro. Der Kläger legte umgehend Widerspruch ein behauptete die Unterlagen schon am 4.5.2017 beim Beklagten persönlich eingereicht zu haben und legte sie nochmals vor. Nach einer internen, erfolglosen Umfrage wies der Beklagte den Widerspruch zurück, weil die Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht worden seien (Widerspruchsbescheid vom 18.9.2017).

Das SG hat die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an den Beklagten zurückverwiesen (Urteil vom 11.1.2018): Entgegen der Ansicht des Beklagten seien die im Widerspruchsverfahren vorgelegten Unterlagen zu berücksichtigen, weil § 41a Abs 3 SGB II keine Präklusionsvorschrift enthalte.

Mit der vom SG zugelassenen und mit Zustimmung des Klägers eingelegten Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 41a Abs 3 SGB II. Dieser enthalte ein eigenes Rechtsfolgensystem mit einer dauerhaften materiell-rechtlichen Präklusion, wie sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, der Intention des Gesetzgebers und den Fachlichen Hinweisen der BA ergebe.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 11. Januar 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Die vom Kläger beanspruchten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind nicht deshalb abschließend abzulehnen, weil er die geforderten Nachweise über die Einnahmen und Ausgaben aus selbständiger Arbeit erst im Widerspruchsverfahren vorgelegt hat.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben dem Urteil des SG der Bescheid vom 19.6.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.9.2017, durch den der Beklagte die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Oktober 2016 bis März 2017 gestützt auf § 41a Abs 3 Satz 3 und 4 SGB II idF des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht (9. SGB II-ÄndG) vom 26.7.2016 (BGBl I 1824) mit der Festsetzung des Leistungsanspruchs auf null Euro ("Nullfeststellung") der Sache nach abschließend abgelehnt und den Kläger zur Erstattung vorläufig erbrachter Leistungen in Höhe von 3581,69 Euro verpflichtet hat.

Mit der Klage hiergegen beansprucht der Kläger eine Korrektur der Entscheidung des Beklagten über die abschließend festzustellenden und die zu erstattenden vorläufigen Leistungen. Demgemäß richtet sich das Klageziel neben der Änderung der Bescheide darauf, den Beklagten zu verpflichten auszusprechen, dass ihm abschließend höhere Leistungen zustehen als mit dem Bescheid vom 19.6.2017 festgesetzt. Für eine isolierte Anfechtung des abschließenden Leistungsbescheids mit dem Ziel, die vorläufig bewilligten Leistungen weiter behalten zu dürfen, fehlt dagegen das Rechtsschutzbedürfnis, weil der Beklagte die eingeleitete abschließende Feststellung des Leistungsanspruchs für den streitbefangenen Zeitraum durch Verwaltungsakt abzuschließen hat (arg § 41a Abs 5 Satz 1 SGB II) und daher die Aufhebung der Nullfeststellungen allein den Rechtsstreit nicht dauerhaft beenden könnte (vgl zum fehlenden Rechtsschutzinteresse an der isolierten Anfechtung eines Leistungsbescheids etwa BSG vom 3.10.1973 - 1 RA 61/72 - BSGE 36, 181, 183 = SozR Nr 4 zu § 1613 RVO S 5; BSG vom 18.9.2012 - B 2 U 15/11 R - SozR 4-5671 § 3 Nr 6 RdNr 16; Bieresborn in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 54 RdNr 127 mwN; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 54 RdNr 4a mwN; vgl dagegen zur isolierten Anfechtbarkeit einer endgültigen Elterngeldfestsetzung BSG vom 8.3.2018 - B 10 EG 8/16 R - vorgesehen für SozR 4-7837 § 2c Nr 3 RdNr 18).

Zutreffende Klageart hierfür ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), soweit das Klagebegehren auf weitere Zahlungen über die vorläufig erbrachten Leistungen hinaus zielt, und ansonsten die (kombinierte) Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 Alt 1 und 2, § 56 SGG; vgl dazu BSG vom 8.2.2017 - B 14 AS 22/16 R - NJW 2017, 2493 RdNr 10 f). Dabei beschränkt sich der Streitstoff hier aufgrund der Zurückverweisungsentscheidung des SG nach § 131 Abs 5 SGG auf die Frage, ob dem Kläger - ähnlich der Situation beim Grundurteil im Höhenstreit (§ 130 Abs 1 SGG; vgl nur BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10) - im streitbefangenen Zeitraum voraussichtlich existenzsichernde Leistungen abschließend zuzuerkennen sein werden und ihre Bemessung weitere Sachverhaltsermittlungen erfordert.

2. Die Sprungrevision ist zulässig. Nach § 161 Abs 1 Satz 1 SGG steht den Beteiligten die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, wenn der Gegner schriftlich zustimmt und sie vom SG im Urteil oder auf Antrag durch Beschluss zugelassen wird; nach § 161 Abs 1 Satz 3 SGG ist die Zustimmung des Gegners der Revisionsschrift beizufügen, wenn die Revision im Urteil zugelassen ist. Das SG hat die Sprungrevision im Urteil vom 11.1.2018 zugelassen, der Kläger hat ihr zugestimmt.

3. Die Zurückverweisungsentscheidung nach § 131 Abs 5 SGG begründet keinen Verfahrensmangel.

a) Nach § 131 Abs 5 Satz 1 und 5 SGG kann das Gericht, hält es eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten seit Eingang der Behördenakten aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Das gilt nach § 131 Abs 5 Satz 2 Halbsatz 1 SGG auch bei Klagen auf Verurteilung zum Erlass eines Verwaltungsakts und bei Klagen nach § 54 Abs 4 SGG.

b) Die nach der Rechtsprechung des BSG zunächst auf die Fälle der reinen Anfechtungsklage beschränkt gewesene (BSG vom 17.4.2007 - B 5 RJ 30/05 R - BSGE 98, 198 = SozR 4-1500 § 131 Nr 2, RdNr 8 ff) und durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008 (BGBl I 444) ausdrücklich auf Anfechtungs- und Leistungsklagen sowie Verpflichtungsklagen erstreckte Regelung des § 131 Abs 5 SGG begründet eine Ausnahme von der Verpflichtung der Gerichte, die bei ihnen anhängigen Sachen grundsätzlich selbst spruchreif zu machen (hierzu vgl nur Hauck in Hennig, SGG, § 131 SGG, RdNr 114 mwN, Stand August 2011). In Anlehnung an die Vorschriften des § 113 Abs 3 Satz 1 VwGO und § 100 Abs 3 Satz 1 FGO soll sie den Gerichten im Interesse einer zügigen Erledigung des Rechtsstreits eigentlich der Behörde obliegende zeit- und kostenintensive Sachverhaltsaufklärungen ersparen und einer sachwidrigen Aufwandsverlagerung entgegenwirken, wenn die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT