Urteil Nr. B 14 AS 37/17 R des Bundessozialgericht, 2018-06-14
Judgment Date | 14 June 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:140618UB14AS3717R0 |
Judgement Number | B 14 AS 37/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
1. Kinderwohngeld ist grundsicherungsrechtlich Einkommen des Kindes und nicht des Elternteils, dem es gezahlt worden ist.
2. Die unterhaltsrechtlich vorgesehene Verwendung von Kindergeld zur Deckung des Barbedarfs eines Kindes steht der Berücksichtigung des von ihm zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht benötigten Kindergelds als Einkommen des Elternteils grundsicherungsrechtlich nicht entgegen.
TenorDie Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. August 2017 wird zurückgewiesen.
Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Umstritten sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II unter Berücksichtigung eines Wohngeldbezugs für den Sohn der Klägerin für März 2012.
Die Klägerin bewohnte mit ihrem im Dezember 1996 geborenen Sohn eine Wohnung zu Gesamtkosten von 393,99 Euro. Im März 2012 bezog sie neben Einkommen aus geringfügiger Beschäftigung in Höhe von 165 Euro Kindergeld in Höhe von 184 Euro und für ihren Sohn Wohngeld in Höhe von 91 Euro. Ihr Sohn erhielt Unterhalt in Höhe von 377 Euro. Das beklagte Jobcenter rechnete das Wohngeld dem Sohn als Einkommen zu und ging davon aus, dass sein Bedarf hierdurch sowie durch den Unterhalt und anteiliges Kindergeld vollständig gedeckt sei. Der Klägerin bewilligte es Alg II - zunächst vorläufig - unter Berücksichtigung ua der hälftigen tatsächlichen Wohnaufwendungen sowie - neben der geschätzten Einnahme aus der Beschäftigung - des Kindergeldanteils, der beim Sohn nicht zur Deckung des Lebensunterhalts angesetzt wurde (zuletzt Bescheid vom 24.1.2012; Widerspruchsbescheid vom 23.2.2012).
Das SG hat die Klage auf Leistungen ohne Berücksichtigung des Wohngelds abgewiesen (Urteil vom 21.1.2015). Das LSG hat die vom SG zugelassene Berufung zuletzt sinngemäß mit dem Ziel einer Änderung der nach Klageerhebung getroffenen abschließenden Entscheidung (zuletzt Bescheid vom 30.8.2012) zurückgewiesen (Urteil vom 31.8.2017): Zutreffend sei der Beklagte davon ausgegangen, dass der Sohn das Wohngeld bedarfsdeckend habe einsetzen müssen. Als Mieterin sei die Klägerin zwar Inhaberin des Wohngeldanspruchs. Jedoch sei die Zahlung nach Sinn und Zweck ihrem Sohn zuzurechnen, weil sie die Beseitigung seiner Hilfebedürftigkeit bezweckt habe.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 9 Abs 2 Satz 3 und § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II. Die Wohngeldberücksichtigung habe keine Rechtsgrundlage. Bei ihrem Sohn fehle eine ausdrückliche Zuordnungsregelung und bei ihr stehe § 40 WoGG entgegen.
Nach einem Teilvergleich hinsichtlich des übrigen Bewilligungszeitraums beantragt die Klägerin,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 31. August 2017 aufzuheben und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 21. Januar 2015 zu ändern sowie den Bescheid des Beklagten vom 30. August 2012 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für März 2012 höheres Arbeitslosengeld II zu zahlen.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG entschieden, dass das Wohngeld ihrem Sohn als Einkommen zuzurechnen ist und der deswegen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht benötigte Kindergeldanteil von der Klägerin zur Deckung ihres eigenen Bedarfs einzusetzen ist.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Urteilen allein der Bescheid vom 30.8.2012, durch den der Beklagte ungeachtet der Bezeichnung als Änderungsbescheid die letzte abschließende Entscheidung über den Alg II-Anspruch der Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum getroffen hat, wodurch die letzte vorläufige Entscheidung für diesen Zeitraum durch Bescheid vom 24.1.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.2.2012 nach Klageerhebung ersetzt und erledigt worden ist (§ 96 Abs 1 SGG, § 39 Abs 2 SGB X; hierzu vgl letztens BSG vom 14.2.2018 - B 14 AS 17/17 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 9 mwN). Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Abfolge von Bewilligungsentscheidungen für den streitbefangenen Zeitraum und deren Begründungen, denen hinreichend zu entnehmen ist, dass der Beklagte nach Vorlage der Gehaltsabrechnungen "nunmehr" abschließend über den Leistungsanspruch der Klägerin entschieden hat (zu den Anforderungen insoweit vglBSG vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - SozR 4-4200 § 40 Nr 9 RdNr 27 ff; zur Befugnis der Auslegung auch durch das Revisionsgericht vgl etwa BSG vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 - BSGE 67, 104, 110 = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 12 mwN).
2. Der Sachentscheidung entgegenstehende prozessuale Hindernisse bestehen nicht. Zutreffende Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG), zulässig gerichtet auf die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG), da mit Wahrscheinlichkeit von höheren Leistungen ausgegangen werden kann, wenn dem Klagebegehren gefolgt wird (vgl nur BSG vom 16.4.2013 - B 14 AS 81/12 R - SozR 4-4225 § 1 Nr 2 RdNr 10 mwN).
3. Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs der Klägerin, die nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG die Grundvoraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, aber keinen Ausschlusstatbestand erfüllte, ist § 19 iVm §§ 7, 9, 11 ff, 20 ffSGB IIidF, die das SGB II zuletzt vor dem streitbefangenen Zeitraum durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) erhalten hat. Denn in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungsabschnitte ist das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden (Geltungszeitraumprinzip, vglBSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 15 mwN).
Dass der Klägerin auf dieser Rechtsgrundlage höhere Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts zustanden, ist nach den Feststellungen des LSG nicht zu erkennen. Zutreffend ist der Beklagte insbesondere davon ausgegangen, dass das für ihren Sohn gezahlte Wohngeld bei ihm als Einkommen bedarfsdeckend zu berücksichtigen ist (dazu 4. bis 8.) und sie den daher höheren Kindergeldüberhang vollständig zur Deckung ihres eigenen Bedarfs einzusetzen hat (dazu 9. und 10.).
4. Der zu deckende Bedarf des Sohns der Klägerin beläuft sich im streitbefangenen Zeitraum auf 488,02 Euro, zusammengesetzt aus folgenden Einzelbedarfen: Der Regelbedarf für ihn beträgt 287 Euro (§ 20 Abs 2 Satz 2 Nr 1 SGB IIiVm § 2 Abs 1 RBSFV 2012, BGBl I 2090), hinzu kommen ein Mehrbedarf bei dezentraler Warmwassererzeugung in Höhe von 4,02 Euro (§ 21 Abs 7 Satz 2 Nr 2 SGB II, hier der Höhe nach nicht in Zweifel gezogen, vgl dazu grundlegend BSG vom 7.12.2017 - B 14 AS 6/17 R - vorgesehen für SozR 4) und der auf ihn entfallende Kopfteil der tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 197 Euro (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II). Als bedarfsdeckendes Einkommen steht dem zusätzlich zu dem Unterhalt in Höhe von 377 Euro das seinem Einkommen zuzuordnende Wohngeld in Höhe von 91 Euro (dazu 5. bis 7.) sowie ein zu berücksichtigender Kindergeldanteil in Höhe von 20,02 Euro (dazu 8.) gegenüber, weshalb er der Bedarfsgemeinschaft der Klägerin nicht angehörte (§ 7 Abs 3 Nr 4 SGB II).
5. Wohngeldrechtlich soll ein im Alg II-Bezug stehender Elternteil für ein mit ihm zusammenlebendes Kind Wohngeld als sogenanntes Kinderwohngeld beziehen können, wenn dessen Bedarf hierdurch und sein weiteres Einkommen ohne lebensunterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II gedeckt werden kann.
a) Nach dem seit Inkrafttreten des SGB II geltenden Regelungskonzept ist vom Wohngeld ausgeschlossen, wer uaAlg II oder Sozialgeld bezieht und deshalb auch seinen Unterkunftsbedarf daraus bestreiten soll. Im Unterschied zur Rechtslage zuletzt im Verhältnis zwischen Sozialhilfe nach BSHG und WoGG(vgl § 31 Abs 1 WoGG in der seit dem 1.1.2001 geltenden Fassung von Art 4 des Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes und anderer Gesetze vom 22.12.1999, BGBl I 2671) waren das SGB II und das WoGG bei Einführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende im Interesse der Verwaltungsvereinfachung auf eine strikte Trennung angelegt (vglBT-Drucks 15/1516 S 48 f); die angemessenen Unterkunftskosten sollten entweder mit existenzsichernden Leistungen wie nach dem SGB II aufgebracht oder durch Leistungen nach dem WoGG gesichert werden. Demgemäß sind seit Inkrafttreten des SGB II Empfänger ua von Alg II vom Wohngeld ausgeschlossen, wenn bei der Berechnung der Leistungen Kosten der Unterkunft berücksichtigt worden sind (ursprünglich § 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 WoGGidF des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 24.12.2003, BGBl I 2954; seit dem 1.1.2009 § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 WoGGidF des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24.9.2008, BGBl I 1856). Dies soll der klaren Trennung der für die Unterkunftskosten zuständigen sozialen Sicherungssysteme dienen (vglBT-Drucks 15/1516 S 75; zu den Motiven vgl auch Gerlach, ZFSH/SGB 2007, 719, 725 f).
b) Dieser Ausschluss erfasst grundsätzlich auch alle weiteren Personen, die mit dem Wohngeldberechtigten (dazu 6.) in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs 3 SGB II zusammenleben und bei der Bedarfsermittlung berücksichtigt werden (§ 7 Abs 2 Satz 1 Nr 1 WoGG in der insoweit seit dem 1.1.2009 unverändert geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuregelung des Wohngeldrechts und zur Änderung des Sozialgesetzbuches vom 24.9.2008, BGBl I 1856); auch das soll der Trennung der Sicherungssysteme nach SGB II und WoGG dienen (vglBT-Drucks 15/1516 S 75 f zu § 1 Abs 2 WoGGidF des...
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