Urteil Nr. B 14 AS 36/17 R des Bundessozialgericht, 2018-09-12

Judgment Date12 Septiembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:120918BB14AS3617R0
Judgement NumberB 14 AS 36/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Aufwandsentschädigung aus kommunalem Mandat - Berliner Bezirksverordneter - zweckbestimmte Einnahme - erhöhter Grundfreibetrag bei ehrenamtlicher Tätigkeit - Nachweis höherer Ausgaben - Vereinbarkeit der Nachweispflicht mit freiem Mandat
Leitsätze

Die Aufwandsentschädigung an Mitglieder einer Berliner Bezirksverordnetenversammlung ist weder eine von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommene zweckbestimmte Einnahme noch ist deren Empfänger bei Geltendmachung den Grundfreibetrag übersteigender Absetzbeträge vom Nachweis der Ausgaben freigestellt.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Umstritten ist im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens die Berücksichtigung einer der Klägerin als berliner Bezirksverordneten geleisteten Aufwandsentschädigung als zur Bedarfsdeckung einzusetzendes Einkommen im Februar 2013.

Die 1965 geborene, alleinstehende Klägerin erhielt laufend Alg II vom beklagten Jobcenter und war gewähltes Mitglied der Bezirksverordnetenversammlung F . Als Bezirksverordnete erhielt sie nach landesrechtlichen Bestimmungen eine Aufwandsentschädigung, die sich aus der Grundentschädigung, Sitzungsgeldern und einer Fahrgeldentschädigung zusammensetzte. Der Beklagte berücksichtigte neben einem Erwerbseinkommen von 180 Euro auch die in der Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete enthaltene Grundentschädigung von 345 Euro als Einkommen und zog von den Einnahmen einen erhöhten pauschalen Grundfreibetrag von 200 Euro ab (zuletzt für Februar 2013 durch Bescheid vom 30.4.2013).

Den von der Klägerin im Oktober 2013 gestellten Überprüfungsantrag lehnte der Beklagte ab, weil es sich bei der Grundentschädigung nicht um eine von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommene zweckbestimmte Leistung handele und weil höhere Aufwendungen als 200 Euro nicht konkret nachgewiesen seien (Bescheid vom 14.10.2013, Widerspruchsbescheid vom 27.1.2014).

Das SG hat die ua hiergegen gerichtete Klage insofern abgewiesen (Urteil vom 4.11.2015), das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 15.2.2017).

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 11a Abs 3 SGB II, weil die Grundentschädigung eine zweckbestimmte Leistung sei, und von § 11b Abs 2 SGB II, weil der geforderte Nachweis von Aufwendungen, wenn höhere als der Freibetrag von 200 Euro vom Einkommen abgesetzt werden sollen, ihre Mandatsausübung beeinträchtige und Alg II-Empfänger gegenüber anderen Mandatsträgern ungleich behandele.

Nachdem die Beteiligten durch einen Teilvergleich im Termin vor dem Senat den streitigen Zeitraum auf Februar 2013 beschränkt haben, beantragt die Klägerin,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 15. Februar 2017 und des Sozialgerichts Berlin vom 4. November 2015 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. Oktober 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2014 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr unter Änderung des Bescheids vom 30. April 2013 für Februar 2013 Arbeitslosengeld II ohne Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Sie hat keinen Anspruch auf höheres Alg II, weil die in ihrer Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete enthaltene Grundentschädigung von 345 Euro grundsätzlich als Einkommen nach §§ 11 ff SGB II zu berücksichtigen und sie bei der Geltendmachung den Grundfreibetrag übersteigender Absetzbeträge vom Nachweis der Ausgaben nicht freigestellt ist.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen nach dem Teilvergleich der Beteiligten vor dem Senat nur noch der Überprüfungsbescheid vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2014, mit welchem der Beklagte die Änderung ua des bindend gewordenen Bescheids vom 30.4.2013 für den streitigen Februar 2013 im Hinblick auf die Berücksichtigung von Einkommen der Klägerin aus ihrem Mandat als Bezirksverordnete abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich diese zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG), gerichtet auf Änderung des ablehnenden Überprüfungsbescheids und Verpflichtung des Beklagten zur Änderung des den Februar 2013 regelnden, bindend gewordenen Bescheids vom 30.4.2013 dahingehend, ihr höheres Alg II ohne Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete zu zahlen (vgl zur Klageart letztens BSG vom 24.5.2017 - B 14 AS 32/16 R - BSGE 123, 199 = SozR 4-4200 § 11 Nr 80, RdNr 9). Nicht Gegenstand des Verfahrens ist insoweit nach dem Teilvergleich vor dem Senat höheres Alg II auch mit Blick auf die Bedarfe für Unterkunft und Heizung (vgl zu deren Abtrennbarkeit als Streitgegenstand BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10 ff).

2. Der angefochtene Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 14.10.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.1.2014 ist rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf höheres Alg II unter Änderung des die Leistungen für Februar 2013 regelnden Bescheids vom 30.4.2013 ist § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II (§ 40 SGB II in der zum Zeitpunkt der Überprüfungsentscheidung maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011, BGBl I 850) iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X und §§ 19 ff iVm §§ 7 ff SGB II (in der für Februar 2013 maßgeblichen Fassung des SGB II durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz vom 21.3.2013, BGBl I 556; zur Maßgeblichkeit des zum damaligen Zeitpunkt geltenden Rechts in Rechtsstreitigkeiten über schon abgeschlossene Bewilligungszeiträume vgl BSG vom 19.10.2016 - B 14 AS 53/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 78 RdNr 14 f).

Auch nach Unanfechtbarkeit ist nach § 40 Abs 1 Satz 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.

In zeitlicher Hinsicht steht dem Überprüfungsbegehren für Februar 2013 aufgrund des Überprüfungsantrags vom Oktober 2013 zwar nicht bereits die einjährige Verfallsfrist nach § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X entgegen. Die Klägerin hat indes keinen Anspruch auf Änderung des zu überprüfenden Bescheids vom 30.4.2013, weil dieser rechtmäßig ist.

3. Der Bescheid vom 30.4.2013 regelt ua für Februar 2013 eine Teilaufhebung des Bescheids vom 24.11.2012, denn er ändert diesen und bewilligt niedrigeres Alg II, als durch diesen bewilligt worden war. Durch den Bescheid vom 24.11.2012 war der Klägerin Alg II noch ohne Berücksichtigung der Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete bewilligt worden.

a) Rechtsgrundlage der Teilaufhebung ist § 40 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Nr 3 SGB II iVm § 45 SGB X und § 330 Abs 2 SGB III. Danach ist eine anfänglich rechtswidrige begünstigende Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II, auch nachdem sie unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.

b) Der Bescheid vom 30.4.2013 ist rechtmäßig, denn die Nichtberücksichtigung der Aufwandsentschädigung als Bezirksverordnete bei der Leistungsbewilligung durch den Bescheid vom 24.11.2012 war von Anfang an rechtswidrig. Die Klägerin hatte keinen Anspruch auf Alg II ohne...

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