Urteil Nr. B 14 AS 35/19 R des Bundessozialgericht, 2021-01-27

Judgment Date27 Enero 2021
ECLIDE:BSG:2021:270121UB14AS3519R0
Judgement NumberB 14 AS 35/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Aufteilung der Unterkunftskosten nach Kopfteilen - Abweichung vom Kopfteilprinzip - auswärtige Unterbringung und Ausbildung des Kindes in einem Rehabilitationszentrum - regelmäßige Besuche an Wochenenden und in den Ferien
Leitsätze

1. Sinn und Zweck des grundsicherungsrechtlichen kopfteiligen Anspruchs auf Unterkunftskosten ist die typisierende Zuweisung individueller Bedarfe, nicht aber, leistungsfähigen Angehörigen ein kostenfreies Mitnutzen der Wohnung zu ermöglichen.
2. Eine gemeinsame Wohnungsnutzung durch mehrere Personen im Sinne des Kopfteilprinzips setzt nicht voraus, dass diese dort ihren Lebensmittelpunkt haben, darf sich aber auch nicht in reinen Besuchszwecken erschöpfen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. August 2018 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

Im Streit stehen höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 1.1.2014 bis zum 31.1.2015.

Die 1952 geborene Klägerin, die fortlaufend im Bezug von SGB II-Leistungen stand, lebte gemeinsam mit ihrer 1987 geborenen Tochter in einer Wohnung zur Miete. Vom 16.1.2013 bis 12.1.2015 absolvierte die Tochter als Maßnahme der beruflichen Rehabilitation eine Ausbildung zur Bürokauffrau, gefördert durch die Bundesagentur für Arbeit (BA), die auch Ausbildungsgeld sowie Fahrtkosten für Heimfahrten zahlte. Die Tochter war während dieser Zeit am Ort der Ausbildung internatsmäßig untergebracht. Die Klägerin gab in ihren Anträgen auf SGB II-Leistungen im Dezember 2012 und Juni 2013 gegenüber dem beklagten Jobcenter an, dass die Tochter noch bei ihr wohne und gemeldet sei; während der beruflichen Rehabilitation komme sie zweimal im Monat über das Wochenende nach Hause und sei auch gelegentlich ein bis zwei Wochen sowie in den Ferien bei ihr. Der Beklagte bewilligte der Klägerin ua Leistungen für Unterkunft und Heizung im Streitzeitraum in Höhe der Hälfte der tatsächlichen Aufwendungen (bestandskräftige Bescheide zuletzt vom 23.11.2013 für Januar 2014, vom 9.1.2014 für Februar bis Juni 2014, vom 25.6.2014 für Juli 2014, vom 25.6.2014 für August bis Oktober 2014, vom 21.10.2014 für November 2014 und vom 4.12.2014 für Dezember 2014 bis 31.1.2015). Ab dem 13.1.2015 wohnte die Tochter wieder bei der Klägerin. Der Beklagte lehnte den im September 2015 gestellten Antrag auf Überprüfung der Bescheide bezogen auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung ab (Bescheid vom 14.9.2015; Widerspruchsbescheid vom 5.11.2015).

Das SG hat nach Beschränkung der Klage auf den Streitzeitraum den Beklagten unter Abänderung entgegenstehender Bescheide zur Zahlung weiterer Leistungen (volle Kosten für Unterkunft und Heizung) verurteilt (Urteil vom 27.4.2017). Das LSG hat das Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.8.2018). Ausgehend von den Angaben der Klägerin habe die Tochter ihren Lebensmittelpunkt auch während der beruflichen Rehabilitation in deren Haushalt gehabt und damit dort gewohnt. Daher stünden der Klägerin in Anwendung des sogenannten Kopfteilprinzips nur anteilige (hälftige) Kosten für Unterkunft und Heizung zu. Ausnahmen davon kämen nicht in Betracht, weil die Tochter Ansprüche nach § 27 SGB II geltend machen könne.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Ihre Tochter sei von SGB II-Leistungen ausgeschlossen und wohne bei einer internatsmäßigen Unterbringung nicht mehr in ihrer Wohnung. Deshalb stünden ihr, der Klägerin, die gesamten Unterkunftskosten zu. Ein Umzug sei unwirtschaftlich und im Hinblick auf ihre anstehende Altersrente nicht zumutbar.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. August 2018 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27. April 2017 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid vom 14.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2015 (§ 95 SGG), womit der Beklagte die Korrektur aller bestandskräftigen Bewilligungsbescheide ua für den streitbefangenen Zeitraum abgelehnt hat ("Bescheide vom 1.2.2013 bis 31.1.2015" bzw "die Bewilligung von Leistungen im Hinblick auf Unterkunft und Leistungen ab Februar 2013"). Der Streitgegenstand ist auf die Zeit vom 1.1.2014 bis 31.1.2015 und in der Sache auf die Überprüfung der Bescheide im Hinblick auf die Höhe der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II beschränkt (zur Zulässigkeit einer solchen Beschränkung vgl nur BSG vom 4.6.2014 - B 14 AS 42/13 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 78 RdNr 10).

2. Verfahrenshindernisse, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen, liegen nicht vor. Zutreffend verfolgt die Klägerin ihr Begehren im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 14.9.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5.11.2015, sowie auf die Erteilung...

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