Urteil Nr. B 2 U 3/17 R des Bundessozialgericht, 2018-09-06
Judgment Date | 06 Septiembre 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:060918UB2U317R0 |
Judgement Number | B 2 U 3/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13. Juli 2016 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztengeld (Vlg) anstatt des ihm bereits bewilligten Übergangsgelds (Übg).
Der Kläger erlitt 2004 einen Unfall bei seiner damaligen Tätigkeit als Fleischer. Nach mehreren operativen Eingriffen leidet er an Bewegungs- und Belastungseinschränkungen des rechten Arms. Er erhielt von der Beigeladenen bis einschließlich 24.5.2006 Vlg. Danach bewilligte die Beigeladene ihm ab 25.5.2006 Verletztenrente (Vlr) nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) in Höhe von 20 vH. Mit Bescheid vom 3.5.2007 wurde ihm die Verletztenrente sodann auf unbestimmte Zeit gewährt, und zwar für die Zeit ab 1.3.2007 nach einer MdE von 30 vH und später nach einer MdE von 40 vH. Die Beigeladene förderte zunächst eine Weiterbildung des Klägers zum Fachassistenten für Fleischhygiene. Für diese Maßnahme erhielt er in der Zeit vom 1.11.2006 bis 14.8.2007 auch Übg. Die geförderte Tätigkeit als Fachassistent für Fleischhygiene konnte der Kläger aufgrund seiner Schulterverletzung aber nicht ausüben. Deshalb stellte er einen Antrag auf Gewährung einer weiteren berufsqualifizierenden Rehabilitationsmaßnahme zum Lebensmittelkontrolleur. Die Beigeladene lehnte diese Weiterbildung des Klägers zum Lebensmittelkontrolleur zunächst ab. Erst nach Durchführung eines erfolgreichen Klageverfahrens wurde dem Kläger durch Bescheid vom 25.11.2011 Übg zur Teilnahme an einem Meisterkurs ab 29.8.2011 bewilligt. Der Unfallbetrieb war zum 1.1.2006 an die Beklagte überwiesen worden, sodass diese nunmehr für diese Bewilligung zuständig war.
Der Kläger beantragte mit Schreiben vom 8.3.2011 bei der Beklagten die Zahlung von Vlg rückwirkend und durchgehend ab Mai 2006. Dies lehnte die Beklagte ab, weil die Einstellung des Vlg im Mai 2006 zu Recht erfolgt sei. Sie bewilligte dem Kläger dagegen für den Zeitraum vom 15.8.2007 bis 28.8.2011 Übg (Bescheid vom 2.12.2011). Der Widerspruch, mit dem der Kläger die Zahlung des höheren Vlg für die Zeit vom 1.5.2006 bis 28.8.2011 an Stelle des bereits bewilligten Übg begehrte, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 5.3.2012).
Das SG hat durch Urteil vom 21.10.2015 die Beklagte unter Änderung der Bescheide verpflichtet, dem Kläger Vlg für die Zeit vom 15.8.2007 bis 28.8.2011 unter Anrechnung des gezahlten Übg zu gewähren. Der Anspruch auf Zahlung des Vlg habe nach § 46 Abs 3 SGB VII nicht geendet. Auch aus § 51 Abs 1 SGB IX aF folge, dass das Vlg weiter zu zahlen sei. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen, weil der Anspruch auf Vlg vom 25.5. bis 31.10.2006 entsprechend § 44 Abs 4 SGB X wegen des erst am 8.3.2011 gestellten Antrags frühestens ab 1.1.2007 zu gewähren sei.
Die Beklagte hat Berufung und der Kläger Anschlussberufung eingelegt. Im Einverständnis mit den Beteiligten hat anstelle des Senats der Berichterstatter (BE) des LSG als Einzelrichter gemäß § 155 Abs 3 und 4 SGG durch Urteil entschieden. Durch Urteil vom 13.7.2016 ist das Urteil des SG geändert und die Beklagte unter Änderung ihrer Bescheide verurteilt worden, dem Kläger auch für den Zeitraum vom 25.5. bis 31.10.2006 Vlg zu zahlen. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das LSG ua ausgeführt, der BE am LSG habe allein entscheiden können, weil die vorliegende Streitsache weder besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweise noch von grundsätzlicher Bedeutung sei. Die Berufung der Beklagten sei unbegründet, weil keiner der Tatbestände für die Beendigung des Vlg nach § 46 Abs 3 SGB VII erfüllt sei. Zwar sei der Anspruch des Klägers auf Vlg für die Zeit ab 1.11.2006 bis 14.8.2007 zunächst beendet gewesen. Er sei jedoch für die anschließenden Zeiten nicht endgültig erloschen. Anderes würde sich aus dem Gesetzeswortlaut nur ergeben, wenn es in § 46 Abs 3 S 1 SGB VII hieße, dass der Anspruch auf Vlg mit der erstmaligen Bewilligung von Übg ende bzw mit der Entstehung eines Anspruchs auf Übg erlösche. Zum anderen komme ein Beendigungstatbestand gemäß § 46 Abs 3 S 2 SGB VII schon deshalb nicht in Betracht, weil ein feststellender Verwaltungsakt der Beklagten mit einer entsprechenden Prognoseentscheidung fehle. Auch sei der Anspruch auf Vlg nicht allein durch die rückwirkende Gewährung von Übg beendet worden, weil maßgebend sei, ob ein Anspruch auf Übg entstanden sei, was nur der Fall wäre, wenn der Versicherte aufgrund des Leistungsfalls Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben tatsächlich erhalte. Die Berufung des Klägers habe hingegen Erfolg, weil § 44 Abs 4 SGB X in dem vorliegenden Fall nicht entsprechend angewandt werden dürfe.
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hat der Senat durch Beschluss vom 20.12.2016 die Revision zugelassen. Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung der § 155 Abs 3 und 4 SGG sowie der § 46 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB VII und des § 51 SGB IX aF. Der BE habe nicht anstelle des Senats des LSG als Einzelrichter entscheiden dürfen, weil sich hier entscheidungserhebliche Rechtsfragen stellen würden, die höchstrichterlich nicht geklärt seien. Eine Entscheidung durch den BE komme bei Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung regelmäßig nicht in Betracht. Die zu klärende Frage, wann ein Anspruch auf Vlg gemäß § 46 Abs 3 S 1 Nr 2 SGB VII ende, sei weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der bisherigen Rechtsprechung eindeutig zu beantworten. Ein Wiederaufleben des Anspruchs auf Vlg sei schon nicht mit § 51 SGB IX aF zu vereinbaren, weil dort die Weiterzahlung der Leistung abschließend geregelt sei. Das Wiederaufleben des Vlg-Anspruchs führe darüber hinaus zu erheblichen Wertungswidersprüchen bei einem gleichzeitigen Bezug von Vlr. Nach § 72 Abs 1 Nr 1 SGB VII werde Vlr von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folge, an dem der Anspruch auf Vlg ende. Bei Bezug von Übg könne gleichzeitig ein Anspruch auf Vlr bestehen. Würde man mit dem LSG den Anspruch auf Vlg wieder aufleben lassen, so würde der Kläger zeitgleich und systemwidrig für einen erheblichen Zeitraum in der Vergangenheit Vlr und Vlg erhalten. Dass dies nicht so gewollt sein könne, folge auch aus § 74 Abs 2 SGB VII.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Urteile des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 13.7.2016 und des SG Berlin vom 21.10.2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich nicht in der Sache geäußert.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) einverstanden erklärt.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision der Beklagten ist gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet. An einer den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung in der Sache ist der Senat gehindert, denn das Verfahren vor dem LSG leidet an einem Mangel, der zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zwingt. Das Berufungsgericht war bei seiner Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt. Denn über die Berufung hat der BE zwar im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 155 Abs 3 iVm Abs 4 SGG, aber dennoch ermessensfehlerhaft anstelle des gesamten Berufungssenats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) entschieden, obwohl die Rechtssache objektiv...
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