Urteil Nr. B 2 U 3/16 R des Bundessozialgericht, 2018-01-23
Judgment Date | 23 January 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:230118UB2U316R0 |
Judgement Number | B 2 U 3/16 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Wer den Weg zur Arbeitsstätte verlässt, um den Straßenbelag auf Glätte zu überprüfen, steht hierbei nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
TenorDie Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger auf dem Weg zu seiner Arbeitsstätte einen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall erlitten hat.
Der Kläger verließ am Morgen des 11.3.2013 sein Wohnhaus und ging zu seinem auf dem Grundstück abgestellten Pkw, um mit dem Fahrzeug zu seiner Arbeitsstätte zu fahren. Er legte seine Arbeitstasche in den Wagen, verließ anschließend das Grundstück zu Fuß und ging wenige Meter auf die öffentliche Straße, um zu überprüfen, ob diese glatt sei. Der Deutsche Wetterdienst hatte am Tag zuvor eine Warnung herausgegeben, dass im Bereich des Wohnortes des Klägers bei weiter sinkenden Temperaturen in der kommenden Nacht mit Glätte durch überfrierende Nässe zu rechnen sei. Während des Rückweges zu seinem Pkw knickte der Kläger in der Regenrinne am Bordstein um, fiel auf seinen rechten Arm und erlitt dadurch Unterarmfrakturen.
Die Beklagte lehnte die Feststellung eines Arbeitsunfalls ab. Die Prüfung der Straße auf mögliche Glätte sei eine dem Privatbereich zuzuordnende Vorbereitungshandlung, die den Versicherungsschutz auf dem Weg zur Arbeitsstätte unterbrochen habe (Bescheid vom 4.4.2013 und Widerspruchsbescheid vom 13.6.2013). Das SG hat diese Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass es sich bei dem Ereignis um einen Arbeitsunfall gehandelt habe. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, die unfallbringende Verrichtung sei eine versicherte Vorbereitungshandlung für das Zurücklegen des Weges zur Arbeitsstätte gewesen. Die Prüfung der Fahrbahnverhältnisse sei erforderlich gewesen, um die witterungsbedingten Gefahren auf der Fahrt zur Arbeit abschätzen zu können (Urteil vom 30.4.2014). Das LSG hat auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Arbeitsunfall erlitten, weil er zum Zeitpunkt des Unfalls nicht den unmittelbaren Weg nach dem Ort seiner versicherten Tätigkeit zurückgelegt habe. Die Prüfung der Fahrbahnverhältnisse habe in keinem ausreichenden sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit gestanden. Die den Weg unterbrechende Prüfung der Fahrbahn auf Glätte sei als Vorbereitungshandlung dem nicht versicherten persönlichen Lebensbereich des Klägers zuzurechnen. Die im Winter durch überfrierende Nässe glatte Straße sei, auch angesichts der Wetterberichte, kein unvorhergesehenes Ereignis gewesen. Auch habe die Prüfung des Fahrbahnzustandes unmittelbar vor dem Grundstück kein vollständiges Bild der Fahrbahnverhältnisse auf dem gesamten Weg zur Arbeit vermitteln können (Urteil vom 15.12.2015).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII. Seine Handlungstendenz sei darauf gerichtet gewesen, die Fahrbahn auf Glätte zu prüfen, um den versicherten Weg zu seinem Arbeitsplatz sicher zurücklegen zu können. Auch sonst würde selbst leichtsinniges, unbedachtes Verhalten den bestehenden inneren Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit nicht beseitigen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Dezember 2015 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 30. April 2014 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das der Klage stattgebende Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der angefochtene Verwaltungsakt in dem Bescheid vom 4.4.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.6.2013 ist rechtmäßig, denn der Kläger hat bei seinem Sturz am 11.3.2013 keinen in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Arbeitsunfall erlitten.
Die zulässig erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 Var 1, § 55 Abs 1 Nr 1, § 56 SGG, vgl zB BSG vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62; BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 11; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 9 mwN), mit der der Kläger unter Aufhebung der ablehnenden Verwaltungsakte der Beklagten die Feststellung des Ereignisses vom 11.3.2013 als Arbeitsunfall verfolgt, ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung, weil er keinen Arbeitsunfall erlitten hat.
Nach § 8 Abs 1 S 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten in Folge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs 1 S 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis - dem Unfallereignis - geführt hat (Unfallkausalität) und dass das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (stRspr; vgl zuletzt BSG vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62; vgl auch BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60; BSG vom 15.11.2016 - B 2 U 12/15 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 37; BSG vom 5.7.2016 - B 2 U 16/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 58; BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 55 RdNr 9; BSG vom 26.6.2014 - B 2 U 4/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 52 Nr 11; BSG vom 14.11.2013 - B 2 U 15/12 R - SozR 4-2700 § 2 Nr 27 RdNr 11; BSG vom 4.7.2013 - B 2 U 3/13 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 50 und - B 2 U 12/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 49; BSG vom 18.6.2013 - B 2 U 10/12 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 47 RdNr 12).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Der als Beschäftigter gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherte Kläger erlitt zwar bei seinem Sturz am 11.3.2013 eine zeitlich begrenzte, von außen kommende Einwirkung auf seinen Körper und damit einen Unfall iS von § 8 Abs 1 S 2 SGB VII. Er fiel im Bereich der Straße auf seinen rechten Arm, wodurch ein Teil der Außenwelt auf seinen Körper einwirkte (vgl hierzu BSG vom 29.11.2011 - B 2 U 10/11 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 42 RdNr 14). Dies führte zu seine körperliche Unversehrtheit verletzenden Brüchen des rechten Unterarms und damit zu Gesundheitserstschäden. Seine Verrichtung zur Zeit des Unfallereignisses, das Zurücklegen des Weges von der Straße zu seinem Pkw, stand jedoch in keinem sachlichen Zusammenhang zu seiner versicherten Tätigkeit. Zum Unfallzeitpunkt legte der Kläger keinen durch die Wegeunfallversicherung des § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII geschützten Weg zurück. Zwar stand der Kläger während des Zurücklegens des Weges von seiner Wohnung zur Arbeitsstätte grundsätzlich unter Versicherungsschutz nach § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII (dazu unter 1.). Er hatte jedoch diesen versicherten Weg für die Prüfung des Straßenbelags auf Glätte mehr als nur geringfügig aus eigenwirtschaftlichen Gründen unterbrochen (dazu unter 2.). Diese Unterbrechung hatte zum Zeitpunkt des Unfallereignisses bereits begonnen und war - beim Rückweg von der Fahrbahn in Richtung auf den Pkw - auch noch nicht beendet (dazu unter 3.).
1. Zu den in der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 8 Abs 2 Nr 1 SGB VII versicherten Tätigkeiten zählt das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach und von dem Ort der Tätigkeit. Dabei ist nicht der Weg als solcher, sondern dessen Zurücklegen versichert, also der Vorgang des Sichfortbewegens auf einer Strecke, die durch einen Ausgangs- und einen Zielpunkt begrenzt ist (BSG vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62; BSG vom 13.11.2012 - B 2 U 19/11 R - BSGE 112, 177 = SozR 4-2700 § 8 Nr 46a RdNr 47; BSG vom 25.1.1977 - 2 RU 57/75 - SozR 2200 § 550 Nr 24b RdNr 15). Versichert ist in der gesetzlichen Unfallversicherung mithin als Vorbereitungshandlung der eigentlichen Tätigkeit das Zurücklegen des mit der versicherten Tätigkeit zusammenhängenden unmittelbaren Weges nach dem Ort der Tätigkeit. Der Versicherungsschutz besteht deshalb, wenn der Weg erkennbar zu dem Zweck zurückgelegt wird, den Ort der Tätigkeit - oder nach deren Beendigung im typischen Fall die eigene Wohnung - zu erreichen. Maßgebliches Kriterium für den sachlichen Zusammenhang ist, ob die anhand objektiver Umstände zu beurteilende Handlungstendenz des Versicherten beim Zurücklegen des Weges darauf gerichtet ist, eine dem Beschäftigungsunternehmen dienende Verrichtung auszuüben, dh ob sein Handeln auf das Zurücklegen des direkten Weges zu oder von der Arbeitsstätte bezogen ist (vgl BSG vom 31.8.2017 - B 2 U 11/16 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 62; BSG vom 20.12.2016 - B 2 U 16/15 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 60 RdNr 15; BSG vom 2.12.2008 - B 2 U 17/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 28 RdNr 14; BSG vom 30.10.2007 - B 2 U 29/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 25 RdNr 9; BSG vom 4.9.2007 - B 2 U 24/06 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 24 RdNr 12; BSG vom 11.9.2001 - B 2 U 34/00 R - SozR 3-2700 § 8 Nr 9...
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