Urteil Nr. B 3 KR 23/17 R des Bundessozialgericht, 2018-10-25

Judgment Date25 Octubre 2018
ECLIDE:BSG:2018:251018UB3KR2317R0
Judgement NumberB 3 KR 23/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Ruhen des Krankengeldes - Mitteilungspflicht des Versicherten über die Arbeitsunfähigkeit
Leitsätze

1. Händigt der Vertragsarzt einem beschäftigten Versicherten die zur Vorlage bei der Krankenkasse bestimmte Ausfertigung der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigung aus, kann der Versicherte im Jahr 2016 nicht darauf vertrauen, ihm werde damit die Obliegenheit abgenommen, der Krankenkasse zur Vermeidung des Ruhens des Krankengeldanspruchs zeitgerecht die Arbeitsunfähigkeit mitzuteilen (Abgrenzung zu BSG vom 28.10.1981 - 3 RK 59/80 = BSGE 52, 254 = SozR 2200 § 216 Nr 5).

2. Aus dem gesetzlichen und untergesetzlichen Recht zur vom Arbeitgeber geschuldeten Fortzahlung des Arbeitsentgelts an Arbeitnehmer im Krankheitsfall ist nichts daraus herzuleiten, unter welchen Voraussetzungen der Krankengeldanspruch eines Arbeitnehmers gegen seine Krankenkasse ruht.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der beklagten Krankenkasse (KK) die Zahlung von Krankengeld (Krg) vom 29.9. bis 17.10.2016.

Der im Jahr 1967 geborene, als Mechaniker beschäftigte und bei der beklagten Betriebskrankenkasse versicherte Kläger erkrankte ab 7.6.2016 arbeitsunfähig und bezog vom 7.6. bis 18.7.2016 Entgeltfortzahlung seines Arbeitgebers sowie ab 19.7.2016 von der Beklagten Krg. Bereits mit Schreiben vom 5.7.2016 hatte die Beklagte ihm unter Beifügung eines Merkblatts mitgeteilt, dass der Nachweis über die Arbeitsunfähigkeit (AU) zur Vermeidung finanzieller Nachteile innerhalb von sieben Tagen bei ihr vorliegen müsse. Ferner informierte die Beklagte ihn mit Schreiben vom 25.7.2016 darüber, dass er Krg erhalte, sobald er ihr die Bescheinigung der AU ab der siebten Woche zukommen lasse. Am 14.9.2016 attestierte der Orthopäde Dr. H. dem Kläger das Fortbestehen der AU vom 14.9.2016 bis 28.9.2016. Die AU-Bescheinigung ging bei der Beklagten am 19.9.2016 ein. Am 28.9.2016 stellte der Arzt eine Folgebescheinigung mit derselben Diagnose für die Zeit vom 28.9.2016 bis 9.11.2016 aus, die der Beklagten am 18.10.2016 zuging.

Mit Bescheid vom 19.10.2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Krg für die Zeit vom 29.9.2016 bis 17.10.2016 ab, da der Anspruch des Klägers in dieser Zeit ruhe: Die AU-Bescheinigung vom 28.9.2016 sei nicht innerhalb einer Woche, sondern erst verspätet am 18.10.2016 bei ihr eingegangen; für eine rechtzeitige Meldung habe die Bescheinigung bis spätestens 6.10.2016 vorliegen müssen. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, er habe bei dem Arzt am 29.9.2016 drei Bescheinigungsausfertigungen erhalten, von denen er eine noch am selben Tag dem Arbeitgeber übergeben habe, während die für die KK bestimmte Ausfertigung von seiner Ehefrau kuvertiert und am selben Tag zur Post gegeben worden sei; die Ehefrau habe einen von der Beklagten zur Verfügung gestellten Umschlag benutzt, auf dem die Empfängeradresse vorgedruckt gewesen sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13.12.2016).

Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, dem Kläger vom 29.9.2016 bis 17.10.2016 Krg iHv 78,25 Euro täglich zu gewähren, weil ein Ruhen des Krg-Anspruchs nicht eingetreten sei: Finde - wie hier - § 5 Abs 1 S 5 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) Anwendung, werde dem Versicherten die Pflicht zur Meldung der AU durch den Vertragsarzt abgenommen; dessen Versäumnisse und das Verspätungsrisiko seien der Beklagten zuzurechnen. Dies gelte - übereinstimmend mit Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen und des LSG Bremen - trotz des Umstandes, dass die seinerzeit maßgebende Vordruckvereinbarung zum Bundesmantelvertrag (BMV-Ä) unter Geltung des SGB V nicht mehr vorsehe, dass die AU-Bescheinigung für den Arbeitgeber einen Vermerk des Arztes über die unverzügliche Versendung der AU-Bescheinigung an die KK aufweisen müsse (Urteil vom 12.4.2017).

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen: Dem Krg-Anspruch des in der streitigen Zeit zweifelsfrei arbeitsunfähig gewesenen Klägers habe die Ruhenswirkung von § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V entgegengestanden. Die Vorschrift sei auch anzuwenden, wenn der Versicherte wegen derselben Krankheit erneut arbeitsunfähig werde, die erneute AU aber nicht rechtzeitig der KK melde. Die Meldung sei eine Obliegenheit des Versicherten, der grundsätzlich auch die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Meldung trage. Die Gewährung von Krg bei verspäteter Meldung sei selbst dann ausgeschlossen, wenn die übrigen Leistungsvoraussetzungen gegeben seien und den Versicherten kein Verschulden am unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Zugang der Meldung treffe. Vorliegend sei die Wochenfrist versäumt worden, auch liege im Falle des Klägers kein in der Rechtsprechung des BSG zum Krg anerkannter Ausnahmefall vor. Die Meldeobliegenheit nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V werde entgegen der Ansicht des SG und anderer Gerichte nicht durch § 5 Abs 1 S 5 EntgFG suspendiert. Die Regelungen über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber und diejenigen über die Krg-Zahlung durch die KK in der sich anschließenden Zeit seien voneinander zu unterscheiden und stünden in einem Ausschließlichkeitsverhältnis. Selbst wenn aber während der Zeit der Entgeltfortzahlung eine Verpflichtung des Arztes zur Vorlage der AU-Bescheinigung nach § 5 Abs 1 S 5 EntgFG bestünde, wäre ein vertragsärztliches Fehlverhalten nicht ohne Weiteres der KK zuzurechnen. Überdies habe die Beklagte den Kläger zweimal auf die Notwendigkeit der zeitgerechten Vorlage des Nachweises der AU hingewiesen (Urteil vom 22.11.2017).

Mit seiner Revision rügt der Kläger das LSG-Urteil als fehlerhaft und stellt es zur vollen Überprüfung, insbesondere hinsichtlich der Ausführungen des LSG zur Obliegenheitsverletzung durch den Versicherten und zu den tatsächlich von ihm (dem Kläger) vorgenommenen Handlungen. Nicht der Versicherte, sondern ausschließlich der jeweilige Vertragsarzt sei zur Vornahme der Meldungen an die KK verpflichtet. Die Pflicht zur Meldung der AU könne nicht auf die Versicherten übertragen werden. Unterbleibe die Meldung durch den Vertragsarzt, müsse der Versicherte so gestellt werden, als sei die Meldung korrekt und ordnungsgemäß erfolgt. Die Erwägungen des LSG zu den Möglichkeiten der KK, die Krankheit zu prüfen, griffen nicht, weil hier nur eine Verlängerung der Krankmeldung vorgelegen und die sofortige Vorlage der Folgebescheinigung zu keinen zusätzlichen Erkenntnissen der Beklagten geführt hätte. Zudem habe er (der Kläger) alles unternommen und sowohl seinen Arbeitgeber als auch die Beklagte informiert, indem seine Ehefrau die für die KK bestimmte Ausfertigung der Krankmeldung in einen von der Beklagten zur Verfügung gestellten Umschlag gesteckt und diesen in einen Briefkasten eingeworfen habe. Ihm habe nicht zugemutet werden können, die Beklagte zusätzlich noch telefonisch oder per E-Mail zu informieren. Er trage nicht das Risiko einer fehlerhaften Postbeförderung, sondern habe sich darauf verlassen dürfen, dass die ordnungsgemäß aufgegebene Postsendung der Beklagten am nächsten Tag zugestellt werde.

Dem schriftsätzlichen Vorbringen des - in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht vertreten gewesenen - Klägers kann sinngemäß der Antrag entnommen werden,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 22. November 2017 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 12. April 2017 zurückzuweisen

Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unbegründet, ungeachtet erheblicher Zweifel des Senats an ihrer Zulässigkeit in Bezug auf die innerhalb der am 29.1.2018 abgelaufenen Revisionsbegründungsfrist nach § 164 Abs 2 S 3 SGG zu erfüllenden Anforderungen (vgl dazu Beschluss des Großen Senats des BSG vom 13.6.2018 - GS 1/17 - Juris RdNr 33, 35, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).

Zu Recht hat das LSG auf die Berufung der Beklagten hin das der Klage stattgebende Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Zahlung von Krg für die Zeit vom 29.9.2016 bis 17.10.2016, da der Anspruch insoweit nach § 49 Abs 1 Nr 5 Halbs 2 SGB V ruhte.

1. Nach § 44 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB V (idF des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG> vom 26.3.2007, BGBl I 378) haben Versicherte ua Anspruch auf Krg, wenn Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch auf Krg bestand bezüglich des hier streitigen Zeitraums nach § 46 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB V bereits von dem Tag der ärztlichen Feststellung der AU an (vgl dessen mW vom 23.7.2015 geltende Neufassung iVm Art 20 Abs 1 durch das Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung GKV-Versorgungsstärkungsgesetz - GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211). Bei - im Falle des Klägers - fortdauernder AU und abschnittsweiser Krg-Bewilligung sind die Voraussetzungen des Krg-Anspruchs für jeden Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen; für die Aufrechterhaltung des Krg-Anspruchs ist es daher erforderlich, dass die AU vor Ablauf eines jeden Krg-Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird (stRspr, vgl BSGE 94, 247 = SozR 4-2500 § 44 Nr 6, RdNr 24 mwN; BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 16 mwN; BSGE 95, 219 = SozR 4-2500 § 46 Nr 1, RdNr 17). Erst wenn nämlich nach - ggf vorausgegangener Krg-Gewährung - der KK eine (erneute) ärztliche Bescheinigung vorgelegt wird, besteht für diese Anlass, die weiteren rechtlichen Voraussetzungen des Krg-Anspruchs und damit eines neuen Leistungsfalls zu prüfen. Dabei ist grundsätzlich der zu diesem konkreten Zeitpunkt bestehende Versicherungsschutz maßgebend (vgl BSGE 90,...

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