Urteil Nr. B 3 KR 15/20 R des Bundessozialgericht, 2022-11-10

Judgment Date10 Noviembre 2022
ECLIDE:BSG:2022:101122UB3KR1520R0
Judgement NumberB 3 KR 15/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revision der Beklagten wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

Im Streit stehen die Kosten einer vom Kläger im sogenannten Arbeitgebermodell organisierten häuslichen Krankenpflege während eines stationären Krankenhausaufenthalts im Mai und Juni 2013.

Der 1965 geborene, bei der beklagten Krankenkasse krankenversicherte Kläger leidet seit 2008 unter amyotropher Lateralsklerose (ALS). Er kann sich weder bewegen noch sprechen, liegt in einem Krankenpflegebett und kommuniziert mittels eines Augencomputers unter Einsatz einer ABC-Tafel. Die erforderliche 24-Stunden-Betreuung organisiert er seit November 2012 in Absprache mit der Beklagten im sogenannten Arbeitgebermodell selbst. Im Mai und Juni 2013 waren demgemäß fünf Assistenzkräfte bei ihm angestellt, deren Kosten in Höhe von 28,50 Euro/Stunde für 20,2 Stunden häusliche Krankenpflege am Tag von der Beklagten grundsätzlich zu erstatten waren. Daneben erhält er Pflegegeld nach dem SGB XI.

Vom 11.5. bis 24.6.2013 war der Kläger nach einem Atemnotstand vollstationär in einem Krankenhaus aufgenommen. Seine angestellten Assistenzkräfte betreuten ihn währenddessen zunächst in geringem Umfang - insbesondere für die Dauer eines künstlichen Komas - und übernahmen ab 7.6.2013 seine 24-Stunden-Betreuung vollständig. Die Erstattung der während der Krankenhausbehandlung angefallenen Assistenzpflegekosten lehnte die Beklagte ab: In der gesetzlichen Krankenversicherung seien die Kosten einer häuslichen Krankenpflege auch beim Arbeitgebermodell während eines Krankenhausaufenthalts nicht erstattungsfähig (Bescheid vom 30.5.2013; Widerspruchsbescheid vom 23.4.2014).

Das SG hat die Beklagte - nachdem der Kläger im einstweiligen Rechtsschutzverfahren obsiegt und die Beklagte vorläufig geleistet hatte - unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Kosten für die Assistenzpflege vom 11.5. bis 24.6.2013 in Höhe von 20 285,86 Euro endgültig zu übernehmen (Urteil vom 13.5.2016). Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen: Der Gesetzgeber habe mit dem Gesetz zur Regelung des Assistenzpflegebedarfs im Krankenhaus vom 30.7.2009 eine unbeabsichtigte Regelungslücke hinsichtlich der Personengruppe geschaffen, die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V erhalte. Sie werde durch § 11 Abs 3 SGB V ungleich gegenüber der Personengruppe behandelt, die ihre Pflege im Arbeitgebermodell nach dem SGB XII organisiert habe. Zudem ergebe sich der Anspruch unmittelbar aus § 37 Abs 4 SGB V, denn die Krankenkasse habe bei einem einvernehmlich mit ihr durchgeführten Arbeitgebermodell auch unvermeidliche Lohnansprüche während eines Krankenhausaufenthalts zu erstatten (Urteil vom 22.8.2019).

Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 11 Abs 3 und § 37 Abs 2 und 4 SGB V sowie von § 30 Abs 1 SGB IV und § 31 SGB I. Ein Sachleistungsanspruch auf häusliche Krankenpflege bestehe während eines Krankenhausaufenthalts nicht, weshalb auch ein entsprechender Kostenerstattungsanspruch ausscheide. Anderes habe der Gesetzgeber weder in § 11 Abs 3 SGB V noch andernorts geregelt. Eine analoge Anwendung von Regelungen nach dem SGB XII auf angestellte Assistenzkräfte für häusliche Krankenpflege sei nicht überzeugend; es fehle an einer planwidrigen Regelungslücke, nachdem diese Konstellation Gegenstand der Erörterungen im Gesetzgebungsverfahren gewesen sei, aber nicht zu einer entsprechenden Gesetzesänderung geführt habe.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 22. August 2019 und des Sozialgerichts Kiel vom 13. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Beklagte für die streitbefangenen Kosten der vom Kläger zulässig im Arbeitgebermodell organisierten häuslichen Krankenpflege auch für die Zeit seines Krankenhausaufenthalts aufzukommen hat.

1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Urteile, durch die die Beklagte zur endgültigen Kostenübernahme verurteilt worden ist und deren Aufhebung sie begehrt, sowie der Bescheid der Beklagten vom 30.5.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.4.2014, durch die sie die begehrte Übernahme von Kosten für häusliche Krankenpflege während eines Krankenhausaufenthalts abgelehnt hat. Gegen diese Bescheide wendet sich der Kläger der Sache nach mit der kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf Änderung der angefochtenen Bescheide, durch welche die Beklagte Leistungen nur für einen Teilzeitraum bewilligt hatte, und auf endgültige Übernahme der Kosten für die Zeit vom 11.5. bis 24.6.2013 in Höhe von 20 285,86 Euro nach der Verpflichtung hierzu bereits im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes; erstrebt ist der...

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