Urteil Nr. B 3 KR 8/22 R des Bundessozialgericht, 2023-06-14
Judgment Date | 14 Junio 2023 |
ECLI | DE:BSG:2023:140623UB3KR822R0 |
Judgement Number | B 3 KR 8/22 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.
Im Streit steht die Rückerstattung sogenannter Herstellerabschläge für den Zeitraum von Januar 2010 bis August 2016.
Die Beklagte betreibt eine in den Niederlanden ansässige Versandapotheke, die im streitigen Zeitraum dem Rahmenvertrag nach § 129 Abs 2 SGB V über die Arzneimittelversorgung zwischen dem GKV-Spitzenverband und dem Deutschen Apothekerverband eV beigetreten war. In diesem Zeitraum erhielt sie von der Klägerin, einem pharmazeutischen Unternehmer, Erstattungen in Höhe von insgesamt 398 650,23 Euro für Abschläge, die von den Krankenkassen der von der beklagten Apotheke versorgten Versicherten bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln der Klägerin auf der Grundlage von § 130a SGB V als Rabatt des pharmazeutischen Unternehmers einbehalten worden waren. Nach der Entscheidung des EuGH im Verfahren Deutsche Parkinson Vereinigung ./. Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs vom 19.10.2016 zur deutschen Arzneimittelpreisbindung nimmt die Klägerin die Beklagte auf die Rückerstattung dieser Erstattungen zuzüglich Zinsen in Anspruch, weil Apotheken wie die Beklagte hiernach keiner Bindung an das Arzneimittelpreisrecht unterlägen und deshalb pharmazeutische Unternehmer zu Rabatten nach § 130a SGB V bei der Abgabe von Fertigarzneimitteln über solche Apotheken nicht heranzuziehen gewesen seien.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.3.2019). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen: Die Beklagte habe aufgrund ihres Beitritts zum Rahmenvertrag im streitigen Zeitraum am Sachleistungssystem der Arzneimittelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung teilgenommen, weshalb sie den Krankenkassen zur Einräumung von Herstellerabschlägen und die Klägerin zur Erstattung derselben verpflichtet gewesen sei (Urteil vom 27.4.2022).
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere habe eine Pflicht der Beklagten zur Einräumung von Herstellerabschlägen nach § 130a SGB V nicht bestanden, weil diese tatbestandlich an die arzneimittelrechtliche Preisbindung nach § 78 AMG iVm den Vorschriften der AMPreisV anknüpfe. Diese Vorschriften seien im Fall der Beklagten nach der Entscheidung des EuGH vom 19.10.2016 jedoch unanwendbar, da sie gegen die Warenverkehrsfreiheit (Art 34 AEUV) verstießen. Eine solche Preisbindung ergebe sich auch nicht aus dem Beitritt der Beklagten zum Rahmenvertrag. Die darin enthaltene Verpflichtung der Beklagten zur Abrechnung von Arzneimittelabgaben auf Basis dieser Vorschriften genüge nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht, weil es sich um eine vertragliche Regelung handele.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. April 2022 sowie des Sozialgerichts für das Saarland vom 14. März 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 398 650,23 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zutreffend haben die Vorinstanzen entschieden, dass die Klägerin im Streitzeitraum zur Erstattung der von der Beklagten den Krankenkassen geleisteten Rabatte verpflichtet war, weshalb ihr der geltend gemachte Anspruch auf Rückerstattung nicht zusteht.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die Entscheidungen der Vorinstanzen und das Begehren der Klägerin auf Rückerstattung der von ihr für die Zeit vom 1.1.2010 bis 31.8.2016 der Beklagten erstatteten Rabatte in Höhe von 398 650,23 Euro nebst Zinsen. Diesen Zahlungsanspruch verfolgt die Klägerin zutreffend mit der Leistungsklage nach § 54 Abs 5 SGG.
2. Rechtsgrundlage des Zahlungsbegehrens der Klägerin ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch. Dieser setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne Rechtsgrund erbracht worden sind.
Daran fehlt es hier. Die streitigen Erstattungen der Klägerin an die Beklagte sind mit Rechtsgrund erbracht worden. Im Rahmen der krankenversicherungsrechtlichen Regelungen zu vom pharmazeutischen Unternehmer den gesetzlichen Krankenkassen zu gewährenden Rabatten (dazu 3. und 4.) war die Klägerin zu diesen Erstattungen verpflichtet, ohne dass dem Europarecht (dazu 5.) oder Verfassungsrecht (dazu 6.) entgegensteht. Pharmazeutische Unternehmer sind bei der Abgabe von Arzneimitteln über eine dem krankenversicherungsrechtlichen Abgabesystem beigetretene Versandapotheke eines anderen Mitgliedstaats der EU nicht deshalb von der gesetzlichen Verpflichtung zur Entrichtung von Rabatten auf ihre Abgabepreise freigestellt, weil EU-ausländische Versandapotheken Endverbrauchern nach einem Urteil des EuGH abweichend von der Preisbindung nach deutschem Arzneimittelpreisrecht Rabatte gewähren dürfen.
3. Pharmazeutische Unternehmer sind bei der Abgabe von Arzneimitteln den gesetzlichen Krankenkassen zu Preisabschlägen verpflichtet, in deren Gewährung Apotheken als vorleistende Zahlungsmittler eingebunden sind.
a) Die Abgabe von Arzneimitteln zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung unterliegt seit langem verschiedenen Preisregulierungs- und Anreizsystemen, die mit unterschiedlichen Ansätzen Kostensteigerungen bei der Arzneimittelversorgung der Versicherten entgegenwirken sollen. Dazu zählen neben einem Preisfindungsmechanismus für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen (§§ 35a, 130b SGB V) und einem Instrument, das Versicherte zur Inanspruchnahme möglichst preisgünstiger Arzneimittel anhalten soll (§ 35 SGB V), Vorschriften über Preisabschläge bei der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel an Versicherte, die ähnlich teils schon die RVO vorgesehen hatte, und die nunmehr parallel zu § 130 SGB V, der von Apotheken zu gewährende Abschläge vorsieht, in § 130a SGB V geregelt sind. Diese Vorschrift zu von pharmazeutischen Unternehmern zu gewährenden Abschlägen enthält neben den Regularien zu Rabattabsprachen unmittelbar zwischen Krankenkassen oder deren Verbänden und pharmazeutischen Unternehmern in deren Interesse an der Steigerung des Absatzes ihrer Arzneimittel verpflichtende Vorgaben zu den unterschiedlichen Rabatten, die bei der Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel zu gewähren sind.
b) Demgemäß bestimmt § 130a SGB V (idF des Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes vom 20.12.2022, BGBl I 2793) zunächst, dass die "Krankenkassen […] von Apotheken für zu ihren Lasten abgegebene Arzneimittel einen Abschlag" in prozentual bemessener Höhe "des Abgabepreises des pharmazeutischen Unternehmers ohne Mehrwertsteuer" erhalten (sog Herstellerrabatt nach Abs 1 Satz 1 und 2, ggf zuzüglich Rabatt nach Preiserhöhungen nach Abs 3a Satz 1 und Generikarabatt nach Abs 3b Satz 1). Zum Ausgleich sind pharmazeutische Unternehmer verpflichtet, "den Apotheken den Abschlag zu erstatten" (Abs 1 Satz 3). Diese Abschlagsregelungen gelten ua für Fertigarzneimittel, deren Apothekenabgabepreise aufgrund der Preisvorschriften nach dem AMG bestimmt sind (Abs 1 Satz 6), jedoch im Falle des Abschlags nach Abs 1 nicht für Arzneimittel, für die ein Festbetrag aufgrund des § 35 SGB V festgesetzt ist (Abs 3). Die Krankenkassen oder ihre Verbände können mit pharmazeutischen Unternehmern Rabatte für die zu ihren Lasten abgegebenen Arzneimittel vereinbaren, die von den pharmazeutischen Unternehmern an die Krankenkassen zu vergüten sind; diese Rabatte sind entweder zusätzlich zum Abschlag nach Abs 1 zu gewähren oder können diesen ablösen, sofern dies ausdrücklich vereinbart ist; Abschläge nach Abs 3a und 3b können nicht abgelöst werden (Abs 8; zur Ablösung von Abschlägen auch durch Erstattungsbetragsvereinbarungen nach § 130b SGB V dort Abs 1).
c) Mit dieser Ausgestaltung zielt die...
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