Urteil Nr. B 3 KR 9/22 R des Bundessozialgericht, 2023-09-21
Judgment Date | 21 Septiembre 2023 |
ECLI | DE:BSG:2023:210923UB3KR922R0 |
Judgement Number | B 3 KR 9/22 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten auch des Revisionsverfahrens.
Im Streit steht ein Anspruch einer örtlichen Berufsausübungsgemeinschaft auf Teilnahme an der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) nach § 116b SGB V im Rahmen einer institutionellen Benennung.
Die klagende, als Gesellschaft bürgerlichen Rechts organisierte örtliche Berufsausübungsgemeinschaft begehrte vom beklagten erweiterten Landesausschuss im Anzeigeverfahren ihre institutionelle Benennung als von einem an der ASV-Versorgung bereits teilnehmenden ASV-Kernteam zur Leistungserbringung hinzuzuziehende fachärztliche Institution. Der Beklagte teilte mit, dass die Klägerin hierzu nicht berechtigt sei (Negativmitteilung), weil sie selbst kein an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Leistungserbringer iS des § 116b Abs 2 Satz 1 SGB V sei (Bescheid vom 29.7.2020; Widerspruchsbescheid vom 3.3.2021). Die ASV-Berechtigung knüpfe bei den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringern an deren zulassungsrechtlichen Status an; eine Berufsausübungsgemeinschaft verfüge aber, anders als ein medizinisches Versorgungszentrum, als Institution nicht selbst über eine Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung nach § 95 Abs 1 Satz 1 SGB V. Die zuvor mitgeteilte ASV-Berechtigung eines in der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft tätigen, namentlich benannten Vertragsarztes (Positivmitteilung) bleibe hiervon unberührt.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteile des SG vom 5.10.2021 und des LSG vom 8.4.2022). SG und LSG haben darauf abgestellt, dass nach § 95 Abs 1 Satz 1 SGB V Berufsausübungsgemeinschaften keine an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer und somit auch nicht als Institution leistungsberechtigt iS des § 116b Abs 2 Satz 1 SGB V seien. Ihr vertragsarztrechtlicher Status - Genehmigung nach § 33 Abs 3 Ärzte-ZV - sei zwar dem eines zugelassenen medizinischen Versorgungszentrums angenähert, entspreche diesem jedoch mangels eines eigenen Zulassungsstatus nicht. Diese gesetzliche Unterscheidung im vertragsärztlichen Zulassungsrecht rechtfertige die unterschiedliche Behandlung auch im Rahmen der ASV. Anderes ergebe sich nicht aus den Tragenden Gründen des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu seiner ASV-Richtlinie vom 21.3.2013.
Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung materiellen Rechts (insbesondere § 116b Abs 2 Satz 1 SGB V). Allein der formale Unterschied zwischen der Zulassung eines medizinischen Versorgungszentrums und der Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft rechtfertige nicht die Ungleichbehandlung, dass die eine Einrichtung als Institution zur Teilnahme an der ASV berechtigt sei und die andere nicht.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. April 2022 und des Sozialgerichts München vom 5. Oktober 2021 sowie den Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. März 2021 aufzuheben.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die zulässige Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Berufsausübungsgemeinschaften können nicht als im Rahmen der ASV hinzuzuziehende fachärztliche Einrichtung institutionell benannt werden.
1. Der erkennende Senat ist zuständig, den Rechtsstreit zu entscheiden. Das Verfahren betrifft eine Angelegenheit der Sozialversicherung (§ 10 Abs 1 Satz 1 SGG), nämlich der Krankenversicherung, und nicht eine solche des Vertragsarztrechts.
Nach § 10 Abs 2 Satz 1 SGG sind für Streitigkeiten aufgrund der Beziehungen zwischen Krankenkassen und Vertragsärzten, Psychotherapeuten, Vertragszahnärzten (Vertragsarztrecht) einschließlich ihrer Vereinigungen und Verbände eigene Kammern zu bilden. Zu diesen Streitigkeiten gehören ua auch Klagen im Zusammenhang mit der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung aufgrund von Ermächtigungen nach den §§ 116, 116a und 117 bis 119b SGB V (§ 10 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG idF des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2011, BGBl I 3057; vgl zum Verhältnis von § 10 Abs 2 Satz 2 zu Satz 1 SGG zuletzt BSG vom 27.1.2021 - B 6 A 1/20 R - BSGE 131, 215 = SozR 4-2500 § 140a Nr 3, RdNr 13 ff). In der Aufzählung des § 10 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG nicht erwähnt ist die Berechtigung zur Erbringung von Leistungen der ASV nach § 116b Abs 2 Satz 1 SGB V (idF des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes vom 22.12.2011, BGBl I 2983). In den Gesetzesmaterialien ist betont, dass "Klagen, die die Versorgung auf der Grundlage der §§ 115a, 115b und 116b SGB V betreffen", nicht zum Vertragsarztrecht zählen, "weil diese nicht der vertragsärztlichen Versorgung zuzuordnen sind" (BT-Drucks 17/6764 vom 3.8.2011 S 26). Zwar bezog sich dies noch auf die ambulante Behandlung im Krankenhaus nach § 116b SGB V in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung. Im weiteren Gesetzgebungsverfahren hat der Gesetzgeber indes § 10 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG ergänzt um Streitigkeiten mit der Beteiligung stationärer Leistungserbringer, die zur vertragsärztlichen Versorgung ermächtigt sind, und die maßgeblichen Vorschriften des SGB V ausdrücklich benannt (BT-Drucks 17/7991 vom 30.11.2011 S 17). Die Leistungserbringung im Rahmen des eigenständigen Versorgungsbereichs der ASV nach § 116b SGB V in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung hat dagegen keine Aufnahme gefunden, obgleich zum Zeitpunkt der Ergänzung des § 10 Abs 2 Satz 2 Nr 3 SGG deren gesetzliche Einführung bereits Gegenstand der Gesetzesberatungen war (BT-Drucks 17/6906 vom 5.9.2011, BT-Drucks 17/8005 vom 30.11.2011). Hieran hat sich seit Inkrafttreten sowohl des § 10 Abs 2 Satz 2 SGG als auch des § 116b SGB V am 1.1.2012 nichts geändert.
2. Die im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor.
a) Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in der die Mitglieder der klagenden Berufsausübungsgemeinschaft zusammengeschlossen sind, ist klagebefugt und aktiv legitimiert (vgl BSG vom 16.5.2018 - B 6 KA 15/17 R - SozR 4-2500 § 87b Nr 15 RdNr 15 mwN).
b) Richtiger Beklagter ist der erweiterte Landesausschuss, der als Behörde zum Erlass der angegriffenen Bescheide berechtigt war. § 116b Abs 3 Satz 1 SGB V bestimmt, dass für die Wahrnehmung der Aufgaben nach § 116b Abs 2 SGB V (ua Mitteilung über die Nichterfüllung der Anforderungen und Voraussetzungen zur Teilnahme an der ASV) der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach § 90 Abs 1 SGB V um Vertreter der Krankenhäuser in der gleichen Zahl erweitert wird, wie sie nach § 90 Abs 2 SGB V jeweils für die Vertreter der Krankenkassen und die Vertreter der Ärzte vorgesehen ist (erweiterter Landesausschuss). Der erweiterte Landesausschuss kann für die Beschlussfassung über Entscheidungen im Rahmen des Anzeigeverfahrens nach § 116b Abs 2 SGB V in seiner Geschäftsordnung abweichend von § 116b Abs 3 Satz 1 SGB V die Besetzung mit einer kleineren Zahl von Mitgliedern festlegen (§ 116b Abs 3 Satz 7 SGB V; vgl zu den Motiven BT-Drucks 17/8005 S 116). Dies ist hier durch § 10 der Geschäftsordnung des erweiterten Landesausschusses nach § 116b SGB V in Bayern vom 22.1.2014 idF des Beschlusses vom 1.12.2016 geschehen.
3. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die Urteile der Vorinstanzen sowie der Bescheid des Beklagten vom 29.7.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3.3.2021. Die Klägerin verfolgt ihr Begehren zu Recht allein in der Form einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG), gerichtet auf Aufhebung der Negativmitteilung. Einer Verpflichtungsklage bedarf es daneben nicht. Nach § 116b Abs 2 Satz 4 SGB V ist der Leistungserbringer nach Ablauf einer Frist von zwei Monaten nach Eingang seiner Anzeige zur Teilnahme an der ASV berechtigt, es sei denn, der erweiterte Landesausschuss teilt ihm innerhalb dieser Frist mit, dass er die Anforderungen und Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt. Bei Aufhebung der angefochtenen Negativmitteilung ist die Klägerin unmittelbar von Gesetzes wegen zur Teilnahme berechtigt.
4. Rechtsgrundlage für die ASV ist § 116b SGB V (hier idF des Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetzes vom 28.4.2020, BGBl I 960). Danach umfasst die ASV die Diagnostik und Behandlung komplexer, schwer therapierbarer Krankheiten, die je nach Krankheit eine spezielle Qualifikation, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere Ausstattungen erfordern (§ 116b Abs 1 Satz 1 SGB V). Nach § 116b Abs 2 Satz 1 SGB V sind an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Leistungserbringer und nach § 108 SGB V zugelassene Krankenhäuser berechtigt...
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