Urteil Nr. B 3 KR 6/22 R des Bundessozialgericht, 2023-09-21
Judgment Date | 21 Septiembre 2023 |
ECLI | DE:BSG:2023:210923UB3KR622R0 |
Judgement Number | B 3 KR 6/22 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen die Klägerin zu 55 % und die Beklagte zu 45 %.
Im Streit steht ein Anspruch eines pharmazeutischen Großhändlers auf Vergütung der Lieferung von vertragsärztlich als Sprechstundenbedarf verordneten Kontrastmitteln.
Die Klägerin belieferte auf der Grundlage vertragsärztlicher Verordnungen radiologische Vertragsarztpraxen in Rheinland-Pfalz und im Saarland direkt mit Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf. Auf ihre hierfür mit Rechnungen zwischen Januar und April 2017 gegen die beklagte Krankenkasse als den Sprechstundenbedarf abwickelnde Stelle für die gesetzlichen Krankenkassen in Rheinland-Pfalz und Saarland geltend gemachten Vergütungsansprüche zahlte diese nicht, weil nach Auffassung der Beklagten einer Begleichung der Rechnungen Exklusivlieferverträge über Kontrastmittel mit anderen Lieferanten entgegenstanden. Rahmenverträge, denen sie eine entsprechende Exklusivität beimaß, hatte sie nach einem europaweiten Ausschreibungsverfahren mit den bezuschlagten Unternehmen abgeschlossen. Über die Verträge hatte die Beklagte nicht bezuschlagte Lieferanten informiert. Die Klägerin, mit der kein Rahmenvertrag abgeschlossen worden war, hielt den Zahlungsverweigerungen entgegen, auf der Grundlage der von den Gesamtvertragspartnern abgeschlossenen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen Rheinland-Pfalz und Saarland einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für Direktlieferungen zu haben, dem bilaterale Exklusivlieferverträge mangels Rechtsgrundlage hierfür nicht entgegengehalten werden könnten. Die Beklagte sah bei einzelnen Rechnungen zudem Verstöße gegen ihre Abrechnungsbedingungen vorliegen.
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.7.2018). Das LSG hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 30 344,99 Euro nebst Zinsen verurteilt und die Berufung der Klägerin im Übrigen zurückgewiesen (Urteil vom 15.10.2021). Der Vergütungsanspruch der Klägerin für ihre ordnungsgemäßen Abrechnungen ergebe sich aus der Sprechstundenbedarfsvereinbarung Rheinland-Pfalz iVm den vertragsärztlichen Verordnungen, ohne dass die Beklagte dem das Wirtschaftlichkeitsgebot oder die nach einer Ausschreibung mit anderen Unternehmen geschlossenen Verträge entgegenhalten könne. Soweit die Klägerin Verordnungen unter Verstoß gegen die Abrechnungsbedingungen der Beklagten abgerechnet habe, stehe bereits dies einem Vergütungsanspruch entgegen.
Das LSG hat die Revision zugelassen. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 62 SGG, Art 103 GG, § 242 BGB und § 103 SGG. Hinsichtlich angeblicher Verstöße gegen die Abrechnungsbedingungen habe das Berufungsurteil nicht den Anspruch auf rechtliches Gehör, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie den Sachvortrag der Beteiligten berücksichtigt; sie beanspruche eine weitere Zahlung von insgesamt 36 878,49 Euro nebst Zinsen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2021 und des Sozialgerichts Mannheim vom 12. Juli 2018 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr 36 878,49 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1665,20 Euro seit 12. April 2017 und aus 35 213,29 Euro seit 30. April 2018 zu zahlen.
Die Beklagte rügt mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts (§§ 69 ff SGB V, § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm mit §§ 328 f BGB sowie § 53 SGB X iVm dem Wirtschaftlichkeitsgebot aus §§ 12, 73 Abs 8 SGB V). Zum einen könne aus den Sprechstundenbedarfsvereinbarungen iVm den vertragsärztlichen Verordnungen kein Vergütungsanspruch der Klägerin hergeleitet werden. Zum anderen würden die Rechtswirkungen der von der Beklagten geschlossenen Exklusivlieferverträge verkannt. Verkannt habe das LSG mit seiner revisionsrechtlich überprüfbaren Auslegung der Sprechstundenbedarfsvereinbarungen auch das in diesen geregelte Wirtschaftlichkeitsgebot.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Oktober 2021 zu ändern und die Berufung der Klägerin insgesamt zurückzuweisen
und
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die zulässigen Revisionen der Klägerin und der Beklagten sind unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Klägerin steht als pharmazeutischer Großhändler auf der Grundlage der Sprechstundenbedarfsvereinbarung Rheinland-Pfalz iVm den vertragsärztlichen Verordnungen der ihr vom LSG zugesprochene Vergütungsanspruch gegen die Beklagte für die Lieferung von Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf an Vertragsarztpraxen zu. Diesem Anspruch stehen die von der Beklagten mit anderen Kontrastmittel-Lieferanten geschlossenen Rahmenverträge nicht entgegen, weil diese die Klägerin nicht von der Berechtigung zur Belieferung auf entsprechende vertragsärztliche Verordnungen ausgeschlossen haben. Ein Anspruch auf weitergehende Vergütung steht ihr wegen Verstößen gegen die Abrechnungsbedingungen der Beklagten nicht zu.
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens sind die vorinstanzlichen Entscheidungen, mit denen die Beklagte zur Zahlung an die Klägerin verurteilt und ein weitergehender Anspruch der Klägerin abgelehnt worden ist. Ihr Zahlungsbegehren hat die Klägerin im Gleichordnungsverhältnis der Beteiligten zulässig mit der Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) geltend gemacht. Mit ihrer Revision erstrebt die Klägerin die Änderung der vorinstanzlichen Entscheidungen und Stattgabe auch ihrer weitergehenden, noch auf Zahlung von 36 878,49 Euro nebst Zinsen gerichteten Klage. Die Beklagte begehrt die Änderung des Berufungsurteils und Wiederherstellung des insgesamt das Zahlungsbegehren abweisenden Urteils des SG.
2. Rechtsgrundlage des der Klägerin vom LSG zugesprochenen Vergütungsanspruchs gegen die Beklagte ist die Sprechstundenbedarfsvereinbarung Rheinland-Pfalz iVm den vertragsärztlichen Verordnungen von Kontrastmitteln der Klägerin als Sprechstundenbedarf.
a) Die zwischen den Gesamtvertragspartnern nach § 83 Satz 1 SGB V geschlossene Sprechstundenbedarfsvereinbarung teilt den Rechtscharakter der auf Landesebene (Bezirksebene der Kassenärztlichen Vereinigung) vereinbarten Gesamtverträge nach § 82 SGB V und ist wie diese Kollektivvertragsrecht.
b) Nach den Feststellungen des LSG ist maßgeblich für die insoweit streitigen Kontrastmittellieferungen und deren Vergütung die Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf zwischen der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz und Krankenkassen vom 28.3.2012. Soweit hier relevant bestimmt diese Sprechstundenbedarfsvereinbarung: Für Sprechstundenbedarf gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot (I. 3. Satz 1). Ferner ist der Arzt angehalten, bei der Verordnung von Sprechstundenbedarf einen günstigen Bezugsweg zu wählen (I. 3. Satz 4). Der Sprechstundenbedarf ist zulasten der beklagten Krankenkasse als Kostenträger zu verordnen (IV. 1.). Die nach § 47 AMG von der Vertriebsbindung über die Apotheken ausgenommenen Röntgenkontrastmittel sollen direkt vom Hersteller oder Großhandel bezogen werden, wenn ein solcher Direktbezug wirtschaftlicher ist (IV. 4. Satz 1). Erfolgt der Bezug des Sprechstundenbedarfs hiernach, ist die Rechnung des Lieferanten mit der Verordnung des Arztes der Beklagten einzureichen (IV. 5. Satz 1). Aus der Rechnung müssen Art und Menge des Mittels und die Kosten der Lieferung im Einzelnen sowie ggf der vom Vertragsarzt verauslagte Betrag ersichtlich sein (IV. 5. Satz 2). Die Beklagte begleicht den Rechnungsbetrag oder erstattet die vom Vertragsarzt gezahlte Summe auf Anforderung (IV. 5. Satz 3). Die Prüfung des Sprechstundenbedarfs erfolgt auf Ebene der Betriebsstätte durch die Gemeinsame Prüfungseinrichtung in Form von sachlich-rechnerischen Berichtigungen und Prüfanträgen im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung (VI. 1., 2. und 4.).
c) Werden nach Maßgabe dieser Verordnung von Vertragsärzten Arzneimittel über den Sprechstundenbedarf verordnet, ist auch dies - obgleich nicht versichertenbezogen - eine vertragsärztliche Verordnung iS des § 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V (vgl BSG vom 11.12.2019 - B 6 KA 23/18 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 62 RdNr 22).
3. Ein pharmazeutischer Großhändler hat nach Maßgabe einer Sprechstundenbedarfsvereinbarung Anspruch auf Vergütung von aufgrund vertragsärztlicher Verordnung von Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf direkt an Vertragsarztpraxen gelieferten Kontrastmitteln gegen die Krankenkassen.
a) Das LSG hat der Sprechstundenbedarfsvereinbarung Rheinland-Pfalz einen Vergütungsanspruch der Klägerin entnommen.
Aus den Regelungen in IV. 1. iVm IV. 5. Satz 3 folge ein Vergütungsanspruch für die Belieferung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmender Ärzte aufgrund deren Verordnungen mit Kontrastmitteln als Sprechstundenbedarf. Der jeweilige Rechnungsbetrag sei von der Beklagten als den Sprechstundenbedarf abwickelnde Krankenkasse gegenüber der Klägerin als Lieferant zu begleichen gewesen.
b) Der erkennende Senat ist zu einer eigenen Auslegung der hier maßgeblichen landesrechtlichen Sprechstundenbedarfsvereinbarung berechtigt. Die strittigen Regelungen sind Vorschriften iS des § 162 SGG (vgl zur Vertragsauslegung durch das Revisionsgericht eingehend zuletzt BSG vom 18.8.2022 - B 1 KR 30/21 R - BSGE 134, 283 = SozR 4-2500 § 129a Nr 3, RdNr 26 ff).
Die Berechtigung des Senats folgt jedenfalls daraus, dass sich - wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat - die strittigen Regelungen zur Direktlieferung von Kontrastmitteln an verordnende Vertragsärzte durch Großhändler und zur Begleichung von deren Rechnungen durch die den Sprechstundenbedarf abwickelnde Krankenkasse inhaltsgleich auch in anderen landesrechtlichen Sprechstundenbedarfsvereinbarungen finden und diese Wiederholung in Bezirken verschiedener Berufungsgerichte bewusst und gewollt ist, sodass ein...
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