Urteil Nr. B 4 AS 8/20 R des Bundessozialgericht, 2020-06-24

Judgment Date24 Junio 2020
ECLIDE:BSG:2020:240620UB4AS820R0
Judgement NumberB 4 AS 8/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Arbeitslosengeld II - Unterkunft und Heizung - Betriebskostenguthaben - einmalige Einnahme - Verteilung auf sechs Monate
Leitsätze

Rückzahlungen oder Guthaben, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung mindern (hier: Betriebskostenrückzahlung), sind nicht als Einmalzahlung auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen, selbst wenn der Leistungsanspruch in einem Monat entfällt.

Tenor

Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Juli 2019 aufgehoben sowie das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. November 2018 geändert.

Der Beklagte wird unter Änderung des endgültigen Leistungsbescheides vom 5. Oktober 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. Dezember 2016 verurteilt, Ansprüche der Kläger auf Alg II in Form von Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung für Juni 2016 in Höhe von jeweils 124,07 Euro festzusetzen und den Klägern weiteres Alg II unter Anrechnung jeweils gezahlter 120,26 Euro zu leisten.

Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten in allen Rechtszügen zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren für Juni 2016 nach einer vorläufigen Bewilligung von Alg II die endgültige Festsetzung und Zahlung weiterer Leistungen. Im Streit ist die Berücksichtigung des Guthabens aus einer Betriebskostenabrechnung.

Der 1958 geborene Kläger und seine Ehefrau, die 1968 geborene Klägerin, sind im November 1990 zusammen mit ihren Kindern (geboren 1989 und 1990) in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, wo zwei weitere Kinder geboren wurden. Die Kläger sind libanesische Staatsangehörige und waren im streitbefangenen Zeitraum im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis.

Seit Mai 2001 leben die Kläger in einer 91,4 qm großen Wohnung in B., zunächst zusammen mit allen Kindern, in der Zeit von Januar 2016 bis jedenfalls Oktober 2016 nur noch mit den beiden 1989 und 1996 geborenen Söhnen. Die Wohnung wird mit einer Gasetagenheizung beheizt, über die auch die Warmwasserbereitung erfolgt. Für diese Wohnung fielen ab Januar 2016 Kosten in Höhe von insgesamt monatlich 680,37 Euro an, die sich zusammensetzten aus einer Bruttokaltmiete in Höhe von monatlich 558,37 Euro (Nettokaltmiete 394,76 Euro sowie Vorauszahlung kalte Betriebskosten 163,61 Euro) und einem Abschlag an den Gasversorger in Höhe von monatlich 122 Euro.

Vom 15.12.2014 bis zum 20.7.2016 war der Kläger erwerbstätig. Er verdiente im Februar 2016 und im Mai 2016 jeweils 1404 Euro brutto (1120,04 Euro netto) sowie im April 2016 1728 Euro brutto (1378,52 Euro netto), wobei ihm diese Verdienste jeweils im Folgemonat zuflossen. Der 1996 geborene Sohn, der seit Februar 2016 ebenfalls erwerbstätig war, verdiente im Februar 2016 989,40 Euro brutto (801,06 Euro netto), im April 2016 1571,40 Euro brutto (1175,17 Euro netto) und im Mai 2016 1781,89 Euro brutto (1330,45 Euro netto). Auch diese Verdienste flossen ihm jeweils im Folgemonat zu.

Auf den im November 2015 für die Zeit ab Januar 2016 gestellten Fortzahlungsantrag bewilligte der Beklagte den Klägern und dem 1996 geborenen Sohn - unter Zugrundelegung eines fiktiven bereinigten Erwerbseinkommens nur des Klägers in Höhe von monatlich 827,65 Euro - Alg II für Januar 2016 bis Juni 2016 (Bescheid vom 14.12.2015), und zwar den Klägern in Höhe von jeweils monatlich 251,14 Euro (Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 81,05 Euro und anteilig Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 170,09 Euro) sowie dem Sohn in Höhe von monatlich 232,33 Euro (Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 62,24 Euro und anteilig Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 170,09 Euro). Diese Bewilligungen erfolgten unter Hinweis auf § 40 Abs 2 Nr 1 SGB II iVm § 328 Abs 1 Satz 1 SGB III ausdrücklich vorläufig, weil ua das tatsächliche monatliche Erwerbseinkommen noch nicht feststehe.

Mit der Begründung, dass der Sohn der Kläger wegen seines Erwerbseinkommens aus der Bedarfsgemeinschaft mit den Klägern ausscheide und das fiktive bereinigte Erwerbseinkommen des Klägers nur noch auf die Kläger zu verteilen sei, bewilligte der Beklagte allein den Klägern - weiterhin vorläufig - Alg II zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 120,26 Euro (Änderungsbescheid vom 22.2.2016).

Im Juli 2016 reichten die Kläger eine Betriebskostenabrechnung (ohne Stromkosten) ihres Vermieters vom 9.2.2016 für den Abrechnungszeitraum Mai 2014 bis April 2015 ein. Aus dieser ergab sich eine Gutschrift in Höhe von 744,46 Euro, die dem Konto des Klägers noch im Februar 2016 gutgeschrieben worden war.

Der Beklagte stellte die Ansprüche der Kläger auf Alg II für Januar 2016 bis Juni 2016 endgültig fest (Bescheid vom 5.10.2016). Dabei errechnete er - außer für Januar 2016, für den er den Klägern höhere Leistungen zuerkannte als zuvor vorläufig bewilligt, und für Mai 2016, für den er Leistungen in Höhe von jeweils 0 Euro feststellte - niedrigere Leistungen als zuvor bewilligt und ausgezahlt, ua für März 2016 und Juni 2016 nur noch in Höhe von jeweils monatlich 93,05 Euro als Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung. Für die Monate März bis Juni legte er einen Bedarf der Kläger in Höhe von jeweils monatlich 503,07 Euro zugrunde, der sich zusammensetzte aus dem Regelbedarf in Höhe von monatlich 364 Euro und einem anteiligen Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 139,07 Euro (pro Kopf bei vier Personen), ausgehend von einem (verminderten) Gesamtbedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 556,28 Euro (tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 680,37 Euro abzüglich 124,08 Euro, entsprechend einem Sechstel der Betriebskostengutschrift in Höhe von 744,46 Euro). Zudem berücksichtigte er für März und Juni 2016 das in diesen Monaten zugeflossene Erwerbseinkommen des Klägers aus Februar und Mai in Höhe von jeweils monatlich 1404 Euro brutto/1120,04 Euro netto, bereinigt um die Freibeträge in Höhe von monatlich 820,04 Euro.

Durch weitere Bescheide forderte der Beklagte darüber hinaus von den Klägern getrennt die Erstattung erbrachter Leistungen in Höhe von jeweils insgesamt 340,55 Euro (Erstattungsbescheide vom 5.10.2016).

Die gegen die endgültige Festsetzung erhobenen Widersprüche der Kläger blieben ebenso erfolglos wie ihre jeweiligen Widersprüche gegen die Erstattungsbescheide (Widerspruchsbescheid vom 5.12.2016). Zur Begründung führte der Beklagte aus, Guthaben aus Betriebs- und Heizkostenabrechnungen mindere die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Folgemonat nach der Gutschrift. Das Guthaben sei auf einen Zeitraum von sechs Monaten zu verteilen, weil ansonsten die Leistungsansprüche für März 2016 aufgrund des Umfangs des Guthabens und der Höhe des Erwerbseinkommens des Klägers entfallen wären.

Die Kläger haben gegen den Leistungsbescheid vom 5.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5.12.2016 (nur) insoweit Klagen erhoben, als damit ihre Leistungsansprüche für Juni 2016 endgültig festgesetzt worden sind, und höhere Leistungen für diesen Monat unter Berücksichtigung eines jeweiligen anteiligen Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 340,18 Euro (2 x 170,09 Euro) begehrt. Die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Juni 2016 hätten ungemindert berücksichtigt werden müssen, weil das im Februar 2016 zugeflossene Betriebskostenguthaben gemäß § 22 Abs 3 SGB II nur dazu geführt habe, dass die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Monat März 2016 auf 0 Euro und im April 2016 um das verbliebene "Restguthaben" gemindert worden seien.

Diese - zunächst noch mit weiteren Klagen verbundenen - Klagen hat das SG unter Zulassung der Berufung abgewiesen (Urteil vom 20.11.2018). Der Beklagte habe zu Recht für Juni 2016 nur die um jeweils ein Sechstel des Betriebskostenguthabens geminderten tatsächlichen Unterkunftskosten berücksichtigt.

Die Berufungen der Kläger, die sich nach Abtrennung durch das LSG (Beschluss vom 8.7.2019) allein auf die Höhe der Leistungsansprüche für Juni 2016 beziehen, sind ebenfalls erfolglos geblieben (Urteil des LSG vom 23.7.2019). Zutreffend habe der Beklagte die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung im Juni 2016 nur gemindert berücksichtigt. § 22 Abs 3 SGB II stelle eine abschließende Sonderregelung zur Anrechnung eines Betriebskostenguthabens als Einkommen allein hinsichtlich der dort ausdrücklich geregelten...

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