Urteil Nr. B 4 AS 13/20 R des Bundessozialgericht, 2020-09-17

Judgment Date17 Septiembre 2020
ECLIDE:BSG:2020:170920UB4AS1320R0
Judgement NumberB 4 AS 13/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Sozialgerichtliches Verfahren - Prozesshandlungen der Beteiligten - Auslegung - ausdrückliche Äußerung zur Nichtabgabe einer bestimmten Prozesserklärung (hier: Anerkenntnis) - keine Deutung weiterer Ausführungen des Beteiligten als entsprechende Erklärung - Rechtsschutz gegen (durch vorherige Erledigung) wirkungslose Entscheidungen
Leitsätze

Die ausdrückliche Äußerung eines Beteiligten, eine bestimmte Prozesserklärung (hier: Anerkenntnis) nicht abgeben zu wollen, schließt es aus, dessen weitere Ausführungen (hier: Mitteilung, den mit einer Untätigkeitsklage begehrten Bescheid erlassen zu haben) als eine solche Prozesserklärung zu deuten.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. September 2019 aufgehoben. Die Berufungen der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2019 werden zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung im Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 14. Februar 2019 wird aufgehoben. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten in allen Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

Dem Revisionsverfahren liegt eine Untätigkeitsklage zugrunde. Die Beteiligten streiten insbesondere darüber, ob der Rechtsstreit durch angenommenes Anerkenntnis erledigt ist.

Die Kläger erhoben - anwaltlich vertreten - Widersprüche gegen einen Verwaltungsakt des Beklagten. Der Beklagte half den Widersprüchen ab und verpflichtete sich dazu, die den Klägern im Widerspruchsverfahren entstandenen Kosten auf Antrag zu erstatten, soweit sie notwendig und nachgewiesen seien (Bescheid vom 30.11.2016). Der Bevollmächtigte der Kläger beantragte daraufhin am 6.12.2016 die Festsetzung und Erstattung der Kosten der Kläger in Höhe von 487,90 Euro.

Nachdem über diesen Antrag zunächst nicht entschieden worden war, haben die Kläger am 21.6.2017 Untätigkeitsklage erhoben mit dem Ziel der Verpflichtung des Beklagten, den Kostenfestsetzungsantrag vom 6.12.2016 zu bescheiden. Der Beklagte hat daraufhin dem SG mitgeteilt, dass er die von den Klägern geltend gemachten Kosten am 17.7.2017 zur Auszahlung angewiesen habe (Klageerwiderung vom 1.8.2017). Damit sei das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage entfallen. Er sei bereit, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten. Die Kläger hätten es unterlassen, vor Erhebung der Untätigkeitsklage die begehrte Bescheidung anzumahnen. Damit hätten sie gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen. Der Beklagte wies ausdrücklich darauf hin, dass er mit der Abgabe des Kostengrundanerkenntnisses kein Anerkenntnis in der Sache abgebe. Ein solches Anerkenntnis könne auch nicht entgegen seiner ausdrücklichen Erklärung im Wege der Auslegung konkludent angenommen werden.

Die Kläger haben durch ihren Bevollmächtigten mit Schreiben vom 21.2.2018 die Annahme des "Anerkenntnisses" des Beklagten erklärt, zugleich aber ausgeführt, dass sie das Verfahren nicht für erledigt erklären. Sofern ein Anerkenntnis des Beklagten nicht vorliegen sollte, solle der Rechtsstreit fortgesetzt werden.

Der Beklagte hat im weiteren Verlauf die zu erstattenden Kosten des ursprünglichen Vorverfahrens in beantragter Höhe festgesetzt (Kostenfestsetzungsbescheid vom 15.6.2018). Die Kläger haben mit Schreiben vom 13.8.2018 nochmals erklärt, das "Anerkenntnis" anzunehmen, und betont, dass nur die Annahme eines Anerkenntnisses gewollt sei und die Erklärung nicht umgedeutet werden solle.

Das SG hat die Klagen abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 26.9.2018). Die Untätigkeitsklagen seien nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis erledigt worden, weil der Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben habe. Das Verfahren sei auch nicht durch eine Erledigungserklärung der Kläger beendet worden. Vielmehr seien die Untätigkeitsklagen dadurch, dass der Beklagte dem Antrag der Kläger vom 6.12.2016 entsprochen habe, unzulässig geworden; es fehle nun das Rechtsschutzbedürfnis.

Die Kläger haben daraufhin beim SG mündliche Verhandlung beantragt. In der mündlichen Verhandlung haben sie (bei sachgerechter Auslegung) beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch ihre Erklärung vom 21.2.2018 beendet worden sei. Das SG hat die Klagen abgewiesen (Urteil vom 14.2.2019). Die auf Feststellung der Beendigung des gerichtlichen Verfahrens durch ein bestimmtes Ereignis - die Annahmeerklärung vom 21.2.2018 - gerichtete Klage sei unzulässig, weil die Kläger nicht verlangen könnten, dass das Gericht darüber entscheide, wodurch eine Erledigung des Rechtsstreites eingetreten sei. Die Feststellungsklage sei aber auch unbegründet. Denn das Verfahren sei nicht durch ein angenommenes Anerkenntnis beendet worden. Ein Anerkenntnis, welches durch die Kläger hätte angenommen werden können, habe der Beklagte weder ausdrücklich noch durch schlüssiges Verhalten abgegeben.

Das LSG hat auf die vom ihm zugelassenen Berufungen der Kläger das Urteil des SG aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsstreit S 35 AS 2133/17 durch die Erklärung der Kläger vom 21.2.2018 erledigt sei (Urteil vom 30.9.2019). Das erforderliche Feststellungsinteresse für die zulässig in eine Feststellungsklage geänderte Klage liege darin, dass gegen die Kläger eine klageabweisende Entscheidung ergangen sei, obwohl sie zuvor mit ihrer Erklärung vom 21.2.2018 aus ihrer Sicht das Erforderliche getan hätten, um den Rechtsstreit in der Hauptsache zu beenden und den Erlass einer solchen Entscheidung zu verhindern. Allein hieraus sowie aus dem ausdrücklichen Bestreiten des Beklagten, dass das zwischen ihm und den Klägern bestehende Rechtsverhältnis in Form der Klage durch deren Erklärung beendet worden sei, ergebe sich das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung. Die Feststellungsklage sei auch begründet. Der Beklagte habe ein Anerkenntnis abgegeben, welches die Kläger angenommen hätten. Hierdurch habe sich der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt. Der klageabweisende Gerichtsbescheid sowie das klageabweisende Urteil hätten nicht mehr ergehen dürfen.

Hiergegen richtet sich die vom LSG zugelassene Revision des Beklagten. Er ist der Ansicht, dass die Klage unzulässig und unbegründet sei. Er rügt zum einen eine Verletzung des § 55 Abs 1 Nr 1, Abs 2 SGG. Die Kläger hätten nicht das notwendige Interesse für die Feststellung, durch welches konkrete Ereignis die Erledigung des Rechtsstreites eingetreten sei. Auch hätten diese den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt. Zum anderen rügt der Beklagte eine Verletzung von § 88, § 101 Abs 2 SGG. Seine Erklärung im Schriftsatz vom 1.8.2017 stelle kein Anerkenntnis dar. Er habe vielmehr ausdrücklich erklärt, kein Anerkenntnis abgeben zu wollen.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 30. September 2019 aufzuheben und die Berufungen der Kläger zurückzuweisen.

Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

Die Kläger sind der Ansicht, dass das erstinstanzliche Urteil nicht hätte ergehen dürfen, weil sie alles notwendige getan hätten, um den Rechtsstreit zu beenden. Sie hätten ein Rechtsschutzbedürfnis bezüglich der Feststellung, dass der Rechtsstreit erledigt sei. Der Beklagte habe ein konkludentes Anerkenntnis abgegeben.

Die Beteiligten haben...

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