Urteil Nr. B 4 AS 30/20 R des Bundessozialgericht, 2020-12-08

Judgment Date08 Diciembre 2020
ECLIDE:BSG:2020:081220UB4AS3020R0
Judgement NumberB 4 AS 30/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Grundsicherung für Arbeitsuchende - Einkommensberücksichtigung - Nichtberücksichtigung ausgezahlter Raten eines Studienkredits einer Bank - Privatdarlehen - Rückzahlungspflicht - keine zweckbestimmte Einnahme
Leitsätze

Ausgezahlte Raten aus einem Privatdarlehen (hier: Studienkredit) stellen kein zu berücksichtigendes Einkommen dar, auch wenn sie zur Deckung des Lebensunterhaltes verwendet werden können und den Lebensstandard erhöhen.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren zu tragen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob Zahlungen aus einem Studienkredit als Einkommen einem Anspruch auf Alg II für Juni und Juli 2013 entgegenstehen.

Die 1984 geborene, erwerbsfähige Klägerin beantragte im Juni 2013 Leistungen nach dem SGB II. Sie war vom 1.11.2010 bis 4.5.2012 als Rechtsreferendarin und danach bis 31.5.2013 als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Zum 1.8.2013 trat sie erneut in den juristischen Vorbereitungsdienst ein. Von Januar 2012 bis 31.12.2013 absolvierte die Klägerin ein berufsbegleitend konzipiertes postgraduales Fernstudium (Masterstudiengang "Kriminologie und Polizeiwissenschaft"). Zulassungsvoraussetzung waren der erfolgreiche Abschluss eines Hochschulstudiums und eine mindestens einjährige Berufstätigkeit. Dieses Studium mit einer Regelstudienzeit von vier Semestern war geprägt durch E-Learning. Präsenzphasen beschränkten sich in der Regel auf die Tage Freitag bis Samstag.

Im März 2012 hatte die Klägerin bei der Deutschen Bank AG (im Folgenden: Bank) einen sog "StudentenKredit" aufgenommen, dessen Verwendungszweck im schriftlichen Darlehensvertrag mit "Finanzierung von Studiengebühren und Lebensunterhalt für ein Studium im o.g. Studiengang …" bezeichnet war (Darlehensvertrag vom 22.3.2012). Von April 2012 bis Dezember 2013 zahlte die Bank monatlich 800 Euro aus. Das Darlehen war am 30.12.2014 in Höhe von 18 753,73 Euro zur Rückzahlung fällig. Über weitere Einnahmen oder Vermögen verfügte die Klägerin nicht. Für die von ihr zusammen mit einer Mitbewohnerin gemieteten Wohnung wandte sie monatlich 312,50 Euro auf, was der Hälfte der anfallenden Warmmiete von 625 Euro entsprach.

Den Leistungsantrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 10.7.2013; Widerspruchsbescheid vom 26.9.2013). Die Klägerin habe einen Bedarf von 694,50 Euro monatlich, der durch die in Höhe von 770 Euro als Einkommen zu berücksichtigenden monatlichen Zahlungen aus dem Studienkredit vollständig gedeckt sei. Die Klägerin sei frei, wie sie die Zahlung verwende. Im Übrigen werde der Kredit allein deswegen gezahlt, weil die Klägerin aus ihrem persönlichen Befinden heraus ohne Notwendigkeit einen weiteren Bildungsweg eingeschlagen habe.

Die Klage gegen diesen Bescheid blieb erfolglos (Urteil des SG vom 14.10.2013). Der Studienkredit sei mit der Konzeption des im Meister-BAföG enthaltenen Darlehensanteils in wesentlichen Punkten vergleichbar und dieser sei nach der Rechtsprechung des BSG aufgrund der Zweckgestaltung der Förderung als Einkommen zu berücksichtigen. Das LSG hat das Urteil des SG sowie den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten antragsgemäß verurteilt, für den Zeitraum vom 1.6.2013 bis zum 31.7.2013 monatlich 694,50 Euro Alg II zu zahlen (Urteil vom 23.10.2019). Die Zahlungen von 800 Euro monatlich aus dem Darlehensvertrag seien als nur vorübergehend zur Verfügung gestellte Mittel nicht als Einkommen anzurechnen. § 11 Abs 1 Satz 2 SGB II aF sehe allein die Berücksichtigung darlehensweise gewährter Sozialleistungen vor. Für eine Differenzierung nach dem Zweck des Darlehens finde sich keine rechtliche Grundlage. Bei dem Kredit der Klägerin handele es sich nach den Darlehensbedingungen auch nicht um einen KfW-Studienkredit, sondern um einen solchen einer Privatbank. Im Übrigen wäre auch ein KfW-Studienkredit keine Sozialleistung. Entgegen der Auffassung des SG sei der Privatkredit der Klägerin auch nicht mit dem sog "Meister-BAföG" nach dem Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (AFBG) vergleichbar, nur weil damit eine Ausbildung finanziert werde.

Mit seiner vom LSG zugelassenen Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II. Er macht geltend, dass "die förderrechtlichen Grundlagen des Kredits, bedingt durch die Vergabe mittels der KfW-Richtlinien, im öffentlichen Recht fußen". Es habe sich auch nicht um einen Kredit zur Überbrückung einer Notsituation gehandelt. Eine entscheidungserhebliche Relevanz habe zudem die Zweckbestimmung des Kredits, wie sie in § 11a Abs 3 Satz 1 SGB II explizit für öffentlich-rechtliche Leistungen normiert sei und hier zur Berücksichtigung als Einkommen führe.

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. Oktober 2019 aufzuheben und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des beklagten Jobcenter der Stadt Jena, ein zugelassener kommunaler Träger (§ 6a SGB II iVm der Zweite Verordnung zur Änderung der Kommunalträger-Zulassungsverordnung vom 14.4.2011 - BGBl I 645), ist unbegründet und zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Das LSG hat ohne Verletzung von Bundesrecht (vgl § 162 SGG) auf die Berufung der Klägerin das klageabweisende Urteil des SG aufgehoben und den Beklagten antragsgemäß verurteilt. Es besteht ein Anspruch der Klägerin auf Alg II für den Zeitraum vom 1.6.2013 bis 31.7.2013 in Höhe von monatlich 694,50 Euro.

Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen der Bescheid des Beklagten vom 10.7.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.9.2013, durch den diese Leistungen...

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