Urteil Nr. B 4 AS 83/20 R des Bundessozialgericht, 2021-08-05

Judgment Date05 Agosto 2021
ECLIDE:BSG:2021:050821UB4AS8320R0
Judgement NumberB 4 AS 83/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Die Revisionen der Kläger gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. November 2019 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Kläger begehren höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2017. Umstritten ist die Berücksichtigung von Sachbezügen in Form von Verpflegung als Einkommen.

Der 1962 geborene Kläger zu 1 bewohnte mit seiner 1978 geborenen Ehefrau, der Klägerin zu 2, und den im Juli 2008, Februar 2010 und Juli 2012 geborenen gemeinsamen Kindern - den Klägern zu 3 bis 5 - eine etwa 86 m² große Dreizimmerwohnung in B. Für diese war 2017 eine monatliche Gesamtmiete iHv 969,14 Euro (539,14 Euro Grundmiete; 208 Euro Vorauszahlungen für Betriebskosten; 222 Euro Vorauszahlungen für Heizkosten) zu zahlen. Der Kläger zu 1 war seit längerem als Kellner in Vollzeit beschäftigt und erhielt monatlich (leicht schwankende) Geldbezüge, die auf ein Konto überwiesen wurden. Arbeitsvertraglich vereinbart war zudem, dass dem Kläger zu 1 von seinem Arbeitgeber neben den Geldbezügen während der Arbeitszeit als Sachbezug abzurechnende Verpflegung zur Verfügung gestellt wird. Für die Kläger zu 3 und 4 ist im streitbefangenen Zeitraum Kindergeld iHv jeweils 192 Euro monatlich und für den Kläger zu 5 iHv 198 Euro monatlich gezahlt worden.

Die Kläger erhielten daneben Leistungen nach dem SGB II. Auf einen Weiterbewilligungsantrag vom April 2017 gewährte der Beklagte für die Zeit vom 1.6. bis 30.11.2017 vorläufig Alg-II und Sozialgeld iHv monatlich insgesamt 958,05 Euro (Summe der Einzelansprüche) unter Berücksichtigung eines vorläufigen Durchschnittseinkommens des Klägers zu 1 von 1642,94 Euro brutto/1314,09 Euro netto sowie Kindergeld iHv insgesamt 582 Euro (Bescheid vom 2.5.2017). Der Widerspruch der Kläger, die geltend machten, das Einkommen des Klägers zu 1 sei niedriger, weil dieser kein Essen des Arbeitgebers in Anspruch nehme, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 27.7.2017).

Im Klageverfahren hat der Beklagte den Klägern nach Vorlage der monatlichen Bezügeabrechnungen des Klägers zu 1 für die Zeit vom 1.6. bis 30.11.2017 endgültige Leistungen iHv monatlich insgesamt 989,28 Euro (Summe der Einzelansprüche) bewilligt (Bescheid vom 27.2.2018; im Urteil des LSG ist irrtümlich der 27.1.2018 genannt). Dem Gesamtbedarf aller Kläger iHv 2524,15 Euro (Regelbedarf 1555 Euro; Bedarf für Unterkunft und Heizung 969,15 Euro) hat er neben dem Kindergeld ein nachgewiesenes Einkommen des Klägers zu 1 iHv 1614,18 Euro brutto bzw 1282,89 Euro netto gegenübergestellt und dabei den vom Arbeitgeber dem Bruttoeinkommen zugerechneten Wert für Sachbezüge Verpflegung (3,17 Euro pro Arbeitstag) ersetzt durch einen monatlichen Durchschnittswert von 30,18 Euro, ermittelt nach § 2 Abs 5 Alg II-V (Partnerregelsatz von 368 Euro x 1 % × 40 % für Mittag- bzw Abendessen = 1,472 Euro pro Arbeitstag). Im Ergebnis ist ein monatliches bereinigtes Durchschnittseinkommen des Klägers zu 1 von 952,89 Euro angerechnet worden.

Das SG hat den Beklagten - unter Zulassung der Berufung - antragsgemäß verurteilt, den Klägern für den Zeitraum vom 1.6. bis 30.11.2017 Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Sachbezügen für Verpflegung bei dem Einkommen des Klägers zu 1 zu gewähren (Urteil vom 29.3.2019). Zur Begründung hat es unter Hinweis auf eine Entscheidung des SG Berlin vom 23.3.2015 (S 175 AS 15482/14) ausgeführt, § 2 Abs 5 Alg II-V sei unanwendbar, weil diese Regelung gegen höherrangiges Recht verstoße und möglicherweise auch von der Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt sei.

Das LSG hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG aufgehoben und die Klage(n) abgewiesen (Urteil vom 21.11.2019). Zutreffend habe der Beklagte nicht nur das dem Kläger zu 1 unbar ausgezahlte Arbeitsentgelt, sondern auch die diesem von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellte kostenlose Verpflegung als Einkommen (in Geldeswert) berücksichtigt. Diese Berücksichtigung sei zutreffend nach Maßgabe von § 2 Abs 5 Alg II-V erfolgt, der von der Ermächtigungsgrundlage des § 13 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II gedeckt sei und auch nicht gegen höherrangiges Recht verstoße. Ob der Kläger zu 1 die angebotene Verpflegung tatsächlich in Anspruch genommen habe, sei ohne Bedeutung. Es reiche aus, wenn die Möglichkeit dazu bestanden habe.

Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen rügen die Kläger eine Verletzung von § 11 Abs 1 Satz 2 SGB II. Der Sachbezug Verpflegung sei nicht unentgeltlich erfolgt, sondern durch die Schmälerung des Nettolohns iHv monatlich 14,88 Euro erkauft worden. Der Verpflegung fehle es zudem an einem Marktwert, was deren Qualifizierung als Einkommen entgegenstehe. Im Übrigen sei sie auch nicht zugeflossen, wenn sie, wie hier, nicht tatsächlich eingenommen worden sei. Andernfalls läge eine nicht zulässige fiktive Einkommensberücksichtigung vor. Zudem verstoße § 2 Abs 5 Alg II-V gegen § 20 Abs 1 Satz 4 SGB II und das Verbot, Grundbestandteile der Regelleistung individuell bedarfsmindernd zu berücksichtigen.

Die Kläger beantragen,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 21. November 2019 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2019 zurückzuweisen.

Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Der Senat konnte in der Sache verhandeln und entscheiden, ohne dass die Beteiligten im Termin vertreten waren, denn sowohl die Kläger als auch der Beklagte sind mit der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden. Die zulässigen Revisionen der Kläger sind unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Es besteht kein Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen. Das LSG hat daher ohne Verletzung von Bundesrecht das Leistungen zusprechende Urteil des SG aufgehoben und die Klagen abgewiesen.

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den Entscheidungen der Vorinstanzen nur noch der Bescheid vom 27.2.2018, mit dem die Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum vom 1.6.2017 bis 30.11.2017 endgültig festgesetzt worden sind. Dieser Bescheid, durch den die Höhe der Leistungen bezogen auf den gesamten Zeitraum für alle Kläger neu geregelt wurde, ist gemäß § 96 Abs 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens vor dem SG geworden. Er hat den ursprünglich mit der Klage angefochtenen Bescheid über eine vorläufige Leistungsbewilligung vom 2.5.2017 vollständig ersetzt und damit iS von § 39 Abs 2 SGB X erledigt (vgl nur BSG vom 19.3.2020 - B 4 AS 1/20 R - RdNr 10 mwN). Die Kläger verfolgen ihr Begehren zutreffend mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1, 4 SGG und machen zulässigerweise weitere Geldleistungen (nur) dem Grunde nach (§ 130 Abs 1 Satz 1 SGG) geltend.

2. Der Bescheid vom 27.2.2018 ist rechtmäßig. Ein Anspruch der Kläger auf höhere Grundsicherungsleistungen - insbesondere ohne Berücksichtigung der dem Kläger zu 1 von seinem Arbeitgeber im Rahmen des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung gestellten Verpflegung als Einkommen - besteht nicht.

Rechtsgrundlage für die endgültige Leistungsbewilligung ist in verfahrensrechtlicher Hinsicht § 41a Abs 3 Satz 1 SGB II, denn die zunächst vorläufig bewilligte Leistung entsprach nicht dem abschließend festzustellenden monatlichen Leistungsanspruch. Bei der abschließenden Feststellung des Leistungsanspruchs ist nach § 41a Abs 4 Satz 1 SGB II in der hier noch anwendbaren ab 1.8.2016 bis 31.3.2021 geltenden Fassung (im Folgenden: aF) des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016 (Rechtsvereinfachungsgesetz, BGBl I 1824) als Einkommen ein monatliches Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen. Ausnahmetatbestände nach § 41a Abs 4 Satz 2 SGB II aF lagen nicht vor. Als monatliches Durchschnittseinkommen ist nach § 41a Ab...

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