Urteil Nr. B 5 R 21/19 R des Bundessozialgericht, 2020-06-17

Judgment Date17 Junio 2020
ECLIDE:BSG:2020:170620UB5R2119R0
Judgement NumberB 5 R 21/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Rentenzahlung nach dem Tod des Leistungsberechtigten - Rücküberweisungspflicht - Abbuchung vom Konto eines verstorbenen Rentenbeziehers per Lastschrift auf das Konto eines Dritten und anschließende Rückgabe der Lastschrift - vorrangiger Anspruch gegen das Geldinstitut
Leitsätze

Wird eine Belastung des Kontos des Rentenberechtigten, die vor dem Eingang des Rücküberweisungsverlangens des Rentenversicherungsträgers im Lastschriftverfahren erfolgte, rückgängig gemacht, besteht ein gegenüber dem Anspruch gegen den mittelbaren Empfänger vorrangiger Anspruch gegen das Geldinstitut.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 29. Oktober 2019 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

Die klagende Wohnungsverwaltungsgesellschaft wendet sich gegen die Forderung des beklagten Rentenversicherungsträgers, den vom Konto einer verstorbenen Versicherten für die Miete eingezogenen Betrag von 757,87 Euro zu erstatten.

Die im Juli 2012 verstorbene H. S. (nachfolgend: Versicherte) bezog von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Der monatliche Rentenzahlbetrag in Höhe von jeweils 1470,91 Euro wurde noch für die Monate August und September 2012 auf ihr Konto bei der D. AG, einer Rechtsvorgängerin der Beigeladenen, überwiesen. Für die von der Klägerin verwaltete Mietwohnung und einen Garagenstellplatz wurden von demselben Konto am 2.8.2012 und am 4.9.2012 jeweils ein Betrag in Höhe von 757,87 Euro im Lastschriftverfahren zugunsten der Klägerin abgebucht. Am 5.9.2012 forderte die Deutsche Post AG als Rentenservice-Stelle die überzahlte Rente in Höhe von 2903,26 Euro von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zurück. Im Gegenzug übermittelte diese mit Schreiben vom 5.9.2012 eine Auflistung aller seit dem 31.7.2012 erfolgten Kontoumsätze. Bei Eingang des Rückforderungsverlangens bestand ein Kontoguthaben in Höhe von 916,02 Euro. Dem Rücküberweisungsverlangen wurde deshalb nur teilweise entsprochen. Am 2.10.2012 wurde zur Abwicklung des Nachlasses ein Nachlasspfleger bestellt. In der Folge wurde die Lastschrift zurückgegeben und das Konto der Klägerin am 14.11.2012 "wegen Widerspruchs" mit dem der Septembermiete entsprechenden Betrag belastet.

Nach Anhörung der Klägerin forderte die Beklagte mit Bescheid vom 18.12.2013 einen Betrag in Höhe von 1515,74 Euro (Miete August und September 2012) zurück. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, soweit die Zahlung der Miete für den Monat September 2012 gefordert wurde, weil der Betrag in Höhe von 757,87 Euro zurückbelastet worden war. Mit Widerspruchsbescheid vom 3.4.2014 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe nach Eingang der zu Unrecht überwiesenen Geldleistungen die Mietzahlung für September 2012 per Lastschrifteinzug vom Konto der Versicherten erhalten. Damit sei sie Empfängerin iS des § 118 Abs 4 SGB VI und zur Erstattung des entsprechenden Betrages verpflichtet. An der Empfängereigenschaft ändere sich nichts dadurch, dass der empfangene Betrag nach Eingang des Rückforderungsersuchens bei der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen am 5.9.2012 zurückgebucht worden sei.

Das SG hat den Bescheid vom 18.12.2013, soweit dieser die Rückzahlung von 757,87 Euro für den Monat September 2012 bestimmte, und den Widerspruchsbescheid vom 3.4.2014 aufgehoben. Die Beklagte hätte sich wegen der Rückforderung der zu Unrecht überwiesenen Rente vorrangig an die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen wenden müssen. Die Bank habe der Versicherten den streitigen Betrag mit Wirkung zum Zeitpunkt der Buchung vollständig zurückgebucht. Damit sei keine wirksame endgültige Zahlung, keine "Geldleistung" im Sinne des Gesetzes und keine endgültige Belastung des Kontos der Versicherten erfolgt (Gerichtsbescheid vom 7.9.2018).

Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, selbst wenn sich die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen nach Abbuchung der Septembermiete 2012 berechtigterweise auf eine anderweitige Verfügung iS von § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI berufen haben sollte, dürfe die Klägerin nicht als mittelbare Geldleistungsempfängerin in Anspruch genommen werden. Dies gelte unabhängig davon, welche Allgemeinen Geschäftsbedingungen damals gegolten hätten. Bei Anwendung der vor dem 9.7.2012 gültigen Sonderbedingungen für die Einzugsermächtigungslastschrift habe die Klägerin den für die Septembermiete überwiesenen Betrag schon deshalb nicht wirksam durch eine entreichernde Verfügung erlangt, weil diese Abbuchung nicht autorisiert gewesen sei. Abbuchungen im Lastschriftverfahren seien erst genehmigt gewesen, wenn diesen nicht binnen sechs Wochen nach Rechnungslegung durch den Kontoinhaber widersprochen worden sei. Ein Widerruf sei aber erfolgt, sodass die Abbuchung unberechtigt geblieben sei. Es spreche viel dafür, dass die zum 9.7.2012 in Kraft getretenen geänderten Sonderbedingungen für die Einzugsermächtigung für den Lastschrifteinzug der Septembermiete maßgeblich gewesen seien. Daraus folge aber nichts Günstigeres für die Beklagte. Der Nachlasspfleger sei berechtigt gewesen, ohne weitere Begründung die Erstattung von der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen zu verlangen. Ein solcher Erstattungsanspruch habe innerhalb von acht Wochen ab dem Zeitpunkt der Belastung geltend gemacht werden müssen. Dieser Anspruch habe eine Rückbuchungskette ausgelöst mit der Folge, dass das Geldinstitut der Klägerin deren Konto aufgrund eines in der Inkasso-Vereinbarung vorbehaltenen Rückbelastungsrechts belasten durfte. Mit der Rückbelastung habe sich das Risiko verwirklicht, das dem banküblichen Lastschriftverfahren immanent sei. Das LSG hat die Revision zugelassen (Urteil vom 29.10.2019).

Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung von § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI und von § 118 Abs 3 Satz 3 SGB VI. Es habe keine vorrangige Rücküberweisungspflicht der Rechtsvorgängerin der Beigeladenen bestanden. Die Klägerin sei als Empfängerin zur Zahlung des Betrages in Höhe von 757,87 Euro verpflichtet, weil (auch) infolge dieser Verfügung das Guthaben auf dem Konto für die Rücküberweisung des Rentenbetrages nicht mehr ausgereicht habe. Die Erstattungspflicht der Geldleistungsempfänger entspreche spiegelbildlich dem Entreicherungseinwand der Bank. Der Eingang der Rückforderung des Rentenversicherungsträgers erfasse die Be- und Entreicherungslage des Geldinstituts so, wie sie in diesem Zeitraum (zufällig) bestanden habe. Weder sei ein Rentenversicherungsträger berechtigt, nach dem Rückforderungsverlangen nach Auskehrung des Guthabens später erneut anzufragen, ob sich das Konto inzwischen nachträglich wieder aufgefüllt habe, noch sei das Geldinstitut grundsätzlich verpflichtet bzw berechtigt, nach dem Rückforderungsverlangen erfolgte Gutschriften dem Rentenversicherungsträger zu melden bzw an diesen zu übermitteln. Auch würde das Ziel einer effektiven Rückführung überzahlter Leistungen verfehlt, wenn eine Entlastung der Bank erst mit Ablauf der Frist für ein mögliches Erstattungsverlangen des Erben bzw des Kontobevollmächtigten eintreten könnte. Der Entreicherungseinwand der Bank befinde sich dann über längere Zeit in einem Schwebezustand. In der Folge könnte zunächst auch kein Auskunftsanspruch nach § 118 Abs 4 Satz 3 SGB VI entstehen. Die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen sei zum Zeitpunkt des Rückforderungsverlangens bereits entlastet gewesen, da sie die faktische Verfügungsmacht über den betroffenen Betrag nicht mehr gehabt habe. Zu diesem Zeitpunkt habe auch noch kein Erstattungsverlangen des erst später bestellten Nachlasspflegers vorgelegen. Könne das Geldinstitut den Auszahlungseinwand wegen anderweitiger Verfügung erheben, folge daraus zwingend, dass die Klägerin "Empfängerin" iS der Vorschrift und damit erstattungspflichtig sei. Entscheidend sei allein die Weiterleitung des Geldbetrags an die Klägerin. Es komme weder auf deren Gutgläubigkeit noch darauf an, ob sie zum Zeitpunkt des Erstattungsverlangens noch bereichert sei. Soweit das LSG davon ausgehe, dass der Nachlasspfleger berechtigt gewesen sei, die Erstattung des im Lastschriftverfahren abgebuchten Betrags für die Septembermiete fristgerecht zu verlangen, fehlten tatsächliche Feststellungen.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 29. Oktober 2019 sowie den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 7. September 2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Klägerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 118 Abs 4 Satz 1 SGB VI seien nicht erfüllt. Der Betrag sei ihr wirtschaftlich nicht zugeflossen. Nach Sinn und Zweck des Gesetzes solle nur der Zustand erreicht werden, der ohne Rentenzahlung und ohne dadurch bedingte rechtsgrundlose Vermögensverschiebung zu Lasten der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen würde. Allein die Rechtsvorgängerin der Beigeladenen habe die aus dem Konto der Versicherten geleistete Mietzahlung zurückerhalten. Die Klägerin müsse dagegen die Zahlung aus ihrem eigenen Vermögen leisten. Das stelle eine unzulässige Enteignung...

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