Urteil Nr. B 5 R 25/17 R des Bundessozialgericht, 2018-06-28

Judgment Date28 Junio 2018
ECLIDE:BSG:2018:280618UB5R2517R0
Judgement NumberB 5 R 25/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Erfüllung der für eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte erforderlichen 45-jährigen Wartezeit - Bezug von Arbeitslosengeld in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nach Kündigung infolge einer Standortschließung - Verfassungsmäßigkeit der Regelung des § 51 Absatz 3a Satz 1 Nummer 3 Buchstabe a SGB VI
Leitsätze

Der Bezug von Arbeitslosengeld als Voraussetzung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ist durch eine vollständige Geschäftsaufgabe bedingt, wenn das gesamte Unternehmen des konkreten rechtlichen Arbeitgebers als Basis vorhandener Beschäftigungen wegfällt, dh die gesamte Unternehmensorganisation insbesondere durch die Beendigung sämtlicher Beschäftigungen und die Veräußerung oder sonstige Weggabe aller Sachmittel aufgelöst wird.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 16. November 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte für die Zeit ab 1.7.2014.

Der am .2.1951 geborene Kläger trat nach einer beruflichen Ausbildung vom 1.8.1967 bis 31.7.1970 am 1.8.1970 in das Berufsleben ein. Vom 1.4.1971 bis zum 30.9.1972 sowie vom 18.8. bis zum 14.9.1975 und vom 19. bis 30.1.1976 unterbrach er seine berufliche Tätigkeit zwecks Ableistung des Wehrdienstes und für die Zeit vom 24.2. bis 30.6.1978 zwecks Absolvierung einer Fachschulausbildung. Der Versicherungsverlauf enthält für die Zeit vom 1.8. bis 14.11.1973, vom 1.7. bis 11.8.1974 sowie vom 23.4. bis 9.6.1975 Lücken, für die Zeit vom 1.7. bis 2.9.1978 von der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldete Zeiten und für die Zeit vom 3.9. bis 10.9.1978 wiederum eine Lücke.

Der Kläger war zuletzt bei der B. des D GmbH (b ), der Muttergesellschaft eines Konzerns, als Sachbearbeiter Finanzen und Rechnungswesen für den Bereich Außenbüro H. in der zum Konzern gehörenden Zentralabteilung Finanzen und Rechnungswesen mit Hauptsitz in E. bei D. beschäftigt. Die Konzerngruppe besteht aus den Unternehmen: B. des D GmbH (b ), B. GmbH (b ), i. gesellschaft des b mbH (auf den Jugendbereich spezialisiertes Tochterunternehmen mit Dienstleistungen in den Bereichen Jugend, Bildung und Beruf) sowie die w. (Tochterunternehmen für die Bereiche Personaltransfer, Personalentwicklung und Beratungsdienstleistungen). Die Muttergesellschaft b war in verschiedene Bereiche untergliedert, so in den Bereich Hauptverwaltung mit einem Außenbüro in H. . Zum 30.6.2012 wurde das Außenbüro des Betriebs der Hauptverwaltung in H. aufgrund betriebsorganisatorischer Veränderungen, die zu einer interessenausgleichspflichtigen Maßnahme führten, geschlossen.

Mit Schreiben vom 20.3.2012 kündigte die Arbeitgeberin dem Kläger fristgerecht zum 31.12.2012 aus dringenden betrieblichen Gründen. In der Betriebsvereinbarung über einen Interessenausgleich vom 23.1.2012 wurde unter Ziffer 3 vereinbart, dass bei der Arbeitgeberin an den Standorten des Betriebs der Hauptverwaltung ua in H. die dort aufgeführten Stellen ersatzlos wegfielen. Ferner wurde festgestellt, dass Einigkeit bestehe, dass es nicht um einen Interessenausgleich gemäß § 1 Abs 5 Kündigungsschutzgesetz gehe. Unter Ziffer 4 ist festgelegt worden, dass ua das Außenbüro Finanzen und Rechnungswesen H. des Betriebs der Hauptverwaltung zum 30.6.2012 endgültig stillgelegt wird. Unter Ziffer 6 ist bestimmt: "Alle im Betrieb der Hauptverwaltung - einschließlich der o.g. Standorte - beschäftigten Arbeitnehmer, deren Stellen nach Maßgabe dieses Interessenausgleichs endgültig ersatzlos wegfallen und deren individuelle Kündigungsfrist über das o.g. jeweilige Stilllegungsdatum des entsprechenden Außenbüros hinausreicht, werden ab Stilllegung des betreffenden Außenbüros bis zum Ablauf der individuellen Kündigungsfrist unwiderruflich von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung unter Anrechnung von Urlaubs-, Gutstunden- oder Freizeitausgleichsansprüchen und ohne Anrechnung eines etwaigen Zwischenverdienstes freigestellt."

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2012 bezog der Kläger ab Januar 2013 Arbeitslosengeld (Alg). Die BA, Agentur für Arbeit Ü. , stellte mit Ruhensbescheid vom 17.1.2013 fest, dass der Anspruch des Klägers auf Alg für die Zeit vom 1.1. bis 21.1.2013 ruhe, weil der Kläger von seinem bisherigen Arbeitgeber einen finanziellen Ausgleich für nicht genommenen Urlaub erhalten habe. Für die Zeit vom 22.1.2013 bis 20.1.2015 bewilligte die BA dem Kläger für eine Anspruchsdauer von insgesamt 720 Tagen Alg und entrichtete aufgrund des Leistungsbezugs Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Bis Dezember 2012 legte der Kläger insgesamt 536 Beitragsmonate in der gesetzlichen Rentenversicherung zurück.

Am 8.5.2014 beantragte er bei der Beklagten Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab 1.7.2014. Zugleich gab er an: "Sofern ich aufgrund einer Gesetzesänderung die abschlagsfreie Altersrente mit 45 Beitragsjahren ab dem 1. Juli 2014 in Anspruch nehmen kann, wünsche ich vorrangig die Gewährung dieser Altersrente."

Mit Bescheid vom 11.6.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Teilzeitarbeit beginnend ab 1.7.2014 unter Berücksichtigung eines Abschlags von 0,060 bei der Berechnung des Zugangsfaktors wegen Verminderung für 20 Kalendermonate, in denen die Rente wegen Alters vorzeitig in Anspruch genommen werde. Gegen die Bewilligung der Altersrente mit Abschlägen erhob der Kläger am 10.7.2014 Widerspruch und beantragte zugleich, die Gewährung der abschlagsfreien Altersrente mit 45 Beitragsjahren gemäß seinem Rentenantrag vom 8.5.2014 zu bescheiden.

Mit Bescheid vom 5.9.2014 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung von Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab, weil der Kläger die Mindestversicherungszeit für diese Rente nicht erfülle. Bis zum 1.7.2014 enthalte das Versicherungskonto des Klägers statt der erforderlichen 540 Monate nur 536 Wartezeitmonate. Dies reiche für den Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht aus. Die Zeiten des Leistungsbezugs von Alg in den letzten zwei Jahren vor dem Rentenbeginn könnten nicht mitgezählt werden, weil der Arbeitgeber nicht seine gesamte Betriebstätigkeit eingestellt habe. Die Aufgabe eines Standortes, einer Filiale oder die Zusammenlegung von Betriebsteilen sei nicht ausreichend, um den Tatbestand der vollständigen Geschäftsaufgabe zu begründen.

Mit seiner hiergegen bei dem SG Lüneburg erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Nach Nachholung und Abschluss des Vorverfahrens mit Widerspruchsbescheid vom 6.1.2015, mit dem die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurückwies, hat das SG die Klage mit Urteil vom 8.3.2016 abgewiesen.

Mit Urteil vom 16.11.2016 hat das LSG Niedersachsen-Bremen die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte stehe nicht entgegen, dass dem Kläger mit Bescheid vom 11.6.2014 zum 1.7.2014 eine andere Altersrente, nämlich wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit gemäß § 237 SGB VI bewilligt worden sei. Zwar schließe § 34 Abs 4 Nr 3 SGB VI nach bindender Bewilligung einer Rente wegen Alters oder für Zeiten des Bezugs einer solchen Rente den Wechsel in eine andere Rente wegen Alters aus. Ein Wechsel im Sinne dieser Vorschrift sei allerdings nicht gegeben, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die gewünschte abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte - wie hier geltend gemacht - vorher oder gleichzeitig mit der bewilligten Altersrente vorlägen. Ein Anspruch auf eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte scheitere aber daran, dass der Kläger die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren nicht zum 1.7.2014 erfüllt habe. Bis Dezember 2012 habe der Kläger nur 536 Monate an rentenrechtlichen Zeiten zurückgelegt, die auf die 45-jährige Wartezeit anrechenbar seien. Die 18 Monate des Alg-Bezugs mit Beitragszahlung durch die BA von Januar 2013 bis Juni 2014 könnten nicht auf die Wartezeit angerechnet werden, weil sie in den letzten zwei Jahren vor dem gewünschten Rentenbeginn lägen und daher nach den Vorgaben des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB VI für die Berechnung der 45-jährigen Wartezeit nicht berücksichtigungsfähig seien. Die (Rück-)Ausnahmeregelung, wonach solche Zeiten gleichwohl angerechnet werden dürften, wenn der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitsgebers bedingt sei, greife nicht ein. Letzter Arbeitgeber des Klägers sei (seit dem 19.1.2004) die B. des D GmbH (b ). Diese Gesellschaft habe lediglich verschiedene Standorte, so auch den des Klägers in H. , aufgrund einer geplanten Betriebsänderung in der Hauptverwaltung geschlossen und daher dem Kläger aus dringenden betrieblichen Gründen gekündigt. Aus Sicht der Arbeitgeberin des Klägers habe es sich dabei um eine notwendige Betriebsänderung gehandelt. Eine solche bedeute weder eine vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers noch könne sie einer solchen gleichgesetzt werden. Die Arbeitgeberin des Klägers habe nicht ihre gesamte, alle Standorte, Filialen und Betriebsteile umfassende Betriebstätigkeit komplett eingestellt. Der Tatbestand des § 51 Abs 3a S 1 Nr 3 SGB VI stelle nicht auf eine irgendwie geartete "Geschäftsaufgabe", sondern speziell auf eine "vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers" ab. Es genüge damit nach dem Gesetzeswortlaut gerade nicht, dass der Arbeitgeber irgendein "Geschäft" aufgebe, sondern er müsse seine gesamten wirtschaftlichen Aktivitäten vollständig aufgeben. Die b bestehe hingegen noch fort und werbe auf ihrer Website, dass der Unternehmensverbund Schulungsstätten an über 200 Standorten in ganz Deutschland (darunter weiterhin auch H. ) mit 45 000 Teilnehmern betreibe. Die Gesetzesmaterialien und die Systematik der gesetzlichen...

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