Urteil Nr. B 5 R 17/21 R des Bundessozialgericht, 2022-04-07

Judgment Date07 Abril 2022
ECLIDE:BSG:2022:070422UB5R1721R0
Judgement NumberB 5 R 17/21 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Erstattungsanspruch eines Trägers der Grundsicherung für Arbeitsuchende gegen einen Rentenversicherungsträger wegen während einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation weitergezahlter "aufstockender" Grundsicherungsleistungen bei Anspruch des Versicherten auf Übergangsgeld - Rechtslage bis 17.2.2021
Leitsätze

Der zur Zahlung von Übergangsgeld verpflichtete Rentenversicherungsträger hat auch ergänzendes Arbeitslosengeld II, das vom SGB II-Leistungsträger während einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme der Versicherten für Zeiträume bis zum 17.2.2021 als Vorschuss geleistet wurde, zu erstatten (Anschluss an und Weiterführung von BSG vom 12.4.2017 - B 13 R 14/16 R = SozR 4-4200 § 25 Nr 2).

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 2021 sowie des Sozialgerichts Bayreuth vom 5. Juli 2018 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 756,53 Euro zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen.

Tatbestand

Im Streit steht die Verpflichtung des Rentenversicherungsträgers, das während einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme vom Jobcenter aufstockend gezahlte Arbeitslosengeld II (Alg II) sowie die dafür entrichteten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu erstatten.

Die Versicherte G war zunächst als Servicekraft in einem Hotel rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Sie bezog seit dem 25.3.2014 Krankengeld und ab dem 5.10.2014 Arbeitslosengeld (Alg). Auf ihren Antrag vom 1.7.2014 bewilligte der beklagte Rentenversicherungsträger eine Maßnahme der stationären medizinischen Rehabilitation für die Dauer von fünf Wochen. Er gewährte ihr für die vom 24.2. bis zum 14.4.2015 durchgeführte Maßnahme auch Übergangsgeld (Übg) in Höhe des zuvor bezogenen Alg von kalendertäglich 13,51 Euro (insgesamt: 689,10 Euro). In dieser Zeit zahlte das klagende Jobcenter das der Versicherten seit dem 1.11.2014 zusätzlich zum Alg aufstockend bewilligte Alg II weiter. Mit Schreiben vom 17.4.2015 verlangte das Jobcenter von der Beklagten die Erstattung seiner Leistungen (Regelbedarf 427,03 Euro, Bedarf für Unterkunft und Heizung 70,31 Euro, Beitrag zur Krankenversicherung 70,31 Euro und zur Pflegeversicherung 13,05 Euro, insgesamt 756,53 Euro). Die Beklagte lehnte dies ab, weil die Versicherte kein Übg in Höhe des gezahlten Alg II habe beanspruchen können.

Das SG hat die am 25.6.2015 erhobene Klage auf Zahlung von 756,53 Euro abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 5.7.2018). Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 3.3.2021). Dieser könne keine Erstattung des von ihm gezahlten Alg II verlangen, weil die Vorschrift des § 25 SGB II bei lediglich aufstockend gewährten SGB II-Leistungen zu keiner Änderung der Leistungszuständigkeit des Jobcenters führe. Das habe der Gesetzgeber zwischenzeitlich mit Änderungen von § 25 SGB II sowie von § 21 Abs 4 Satz 2 SGB VI klargestellt. Der Entscheidung des BSG vom 12.4.2017 (B 13 R 14/16 R) sei daher nicht zu folgen.

Der Kläger rügt mit seiner Revision eine Verletzung insbesondere von § 25 Satz 3 SGB II, § 20 Nr 3 Buchst b SGB VI aF und § 21 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 SGB VI. Das ergebe sich bereits aus dem BSG-Urteil vom 12.4.2017. Die am 18.2.2021 in Kraft getretenen Fassungen der genannten Vorschriften seien hier noch nicht maßgeblich. Sein Anspruch auf Erstattung auch der für das gezahlte Alg II abgeführten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung beruhe auf § 40 Abs 2 Nr 5 SGB II iVm § 335 Abs 2 und 5 SGB III.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 3. März 2021 sowie des Sozialgerichts Bayreuth vom 5. Juli 2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 756,53 Euro zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Die Entwicklung des mit dem Leistungsrecht verzahnten Beitragsrechts und insbesondere die anlässlich von Änderungen des § 3 Satz 1 Nr 3a SGB VI bzw des § 11 SGB VI angeführten Begründungen sprächen dafür, dass die vom BSG im Urteil vom 12.4.2017 vorgenommene Auslegung nicht dem Willen des Gesetzgebers entspreche. Dieser habe für versicherungspflichtige Bezieher von Alg II eine Bestandswahrung vornehmen wollen. Bei Empfängern von ergänzendem Alg II bestehe der vom Gesetzgeber angenommene Schutzbedarf nicht.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Dieser hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung des von ihm während der stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme an die Versicherte aufstockend gezahlten Alg II sowie der hierfür abgeführten Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung. Die ablehnenden vorinstanzlichen Entscheidungen waren deshalb aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 756,53 Euro an den Kläger zu verurteilen (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG).

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernisse bestehen nicht. Der Kläger hat den von ihm geforderten Erstattungsbetrag gegenüber der Beklagten zulässigerweise mit einer echten Leistungsklage geltend gemacht (§ 54 Abs 5 SGG); er hatte keine Befugnis, ihr gegenüber einen Verwaltungsakt zu erlassen (vgl BSG Urteil vom 17.1.1996 - 3 RK 26/94 - BSGE 77, 194, 197 = SozR 3-2500 § 129 Nr 1 S 3; BSG Urteil vom 8.3.2016 - B 1 KR 27/15 R - SozR 4-3250 § 14 Nr 23 RdNr 7). Einer Beiladung der Versicherten zu dem Erstattungsstreit gemäß § 75 Abs 2 Alt 1 SGG bedurfte es nicht (vgl BSG Urteil vom 12.4.2017 - B 13 R 14/16 R - SozR 4-4200 § 25 Nr 2 RdNr 12 mwN). Die Berufung war trotz eines streitbefangenen Betrags, der die Bagatellgrenze von 10 000 Euro für Erstattungsstreitigkeiten (vgl § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGG) deutlich unterschreitet, aufgrund der im Urteil des SG ausgesprochenen Zulassung statthaft. Diese Entscheidung ist nicht nur für das LSG (vgl § 144 Abs 3 SGG), sondern im weiteren Rechtsmittelzug auch für das BSG bindend (vgl BSG Urteil vom 26.1.2000 - B 6 KA 13/99 R - SozR 3-5533 Nr 100 Nr 1 S 3 = juris RdNr 15).

2. Der Kläger kann von der Beklagten die Erstattung des während der Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation an die Versicherte aufstockend gezahlten Alg II verlangen.

a) Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren ist § 25 Satz 1 und 3 SGB II iVm § 102 SGB X. Maßgeblich ist hier noch die Fassung, die § 25 SGB II ab dem 1.1.2011 durch Art 2 Nr 31 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (vom 24.3.2011, BGBl I 453) erhalten hat (textidentisch die Fassung der Neubekanntmachung des SGB II vom 13.5.2011, BGBl I 850). Danach erbringen die Träger der Leistungen nach dem SGB II die bisherigen Leistungen als Vorschuss auf die Leistungen der Rentenversicherung weiter, sofern die Leistungsberechtigten dem Grunde nach Anspruch auf Übg bei medizinischen Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung haben (Satz 1 aaO). Die Anordnung der entsprechenden Geltung des § 102 SGB X in § 25 Satz 3 SGB II bewirkt, dass der SGB II-Leistungsträger die hiernach von ihm als Vorschuss erbrachten Leistungen in dem Umfang von dem eigentlich leistungsverpflichteten Rentenversicherungsträger erstattet verlangen kann, wie er sie nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften - hier: dem SGB II - zu Recht erbracht hat (§ 102 Abs 2 SGB X - vgl BSG Urteil vom 12.4.2017 - B 13 R 14/16 R - SozR 4-4200 § 25 Nr 2 RdNr 15). Mit dieser Regelung wird sichergestellt, dass für den SGB II-Leistungsberechtigten während der - typischerweise auf wenige Wochen beschränkten - Teilnahme an einer Maßnahme der medizinischen Rehabilitation kein Trägerwechsel eintritt. Die bei einem Trägerwechsel möglicherweise drohenden Lücken bei der Gewährung existenzsichernder Leistungen sollen auf diese Weise vermieden werden (vgl bereits BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 13; ebenso BSG Urteil vom 12.4.2017 - B 13 R 14/16 R - aaO RdNr 16; s nunmehr auch BT-Drucks 19/23550 S 103 - zu Art 3 Nr 5). Soweit im materiellen Recht die Finanzierungszuständigkeit für die Zahlung des Übg abweichend geregelt ist, führt das nach der Konzeption des § 25...

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