Urteil Nr. B 6 KA 1/17 R des Bundessozialgericht, 2018-05-16

Judgment Date16 Mayo 2018
ECLIDE:BSG:2018:160518UB6KA117R0
Judgement NumberB 6 KA 1/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Vertragsärztliche Versorgung - Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) - keine Gründungsberechtigung für ein weiteres MVZ - Begriff der Erledigung in § 131 Abs 1 Satz 3 SGG - keine verfassungswidrige Schlechterstellung der MVZ
Leitsätze

Ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) kann nicht Gründer eines weiteren MVZ sein.

Tenor

Auf die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 30. November 2016 aufgehoben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Marburg vom 20. Januar 2014 zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits auch in der Berufungs- und Revisionsinstanz mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung eines Antrags auf Zulassung eines medizinischen Versorgungszentrums (MVZ).

Die klagende GmbH wurde im Jahr 2010 durch den Apotheker H. als Alleingesellschafter gegründet. Mit Beschluss des Zulassungsausschusses für Ärzte (ZA) in Thüringen vom 7.9.2010 wurde dem in ihrer Trägerschaft stehenden "Tumorzentrum N. MVZ GmbH" die Zulassung als MVZ in N. erteilt.

Dieses MVZ beantragte am 6.8.2012 die Zulassung des "MVZ am Obertor" in der Obertorstr in H. . Zur Gründereigenschaft des MVZ trug die Klägerin vor, es folge aus der in § 72 Abs 1 S 2 SGB V angeordneten entsprechenden Anwendung der für Vertragsärzte geltenden Vorschriften, dass auch ein MVZ ein neues MVZ gründen könne. Hilfsweise beantrage sie, dem ärztlichen Leiter, Dr. W. , die Gründung des MVZ zu genehmigen.

Der beklagte ZA lehnte mit Beschluss vom 18.9.2012 den Antrag ab. Die Klägerin gehöre nicht zu dem in § 95 Abs 1a SGB V bezeichneten Gründerkreis. Auch der Hilfsantrag habe keinen Erfolg haben können. Es sei zum einen keine Berechtigung erkennbar, Anträge für Dr. W. zu stellen. Zum anderen fehle es am Nachweis einer zulässigen Rechtsform für das zu gründende MVZ.

Im Februar 2013 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses des Beklagten festzustellen. Unmittelbar nach der Beschlussfassung des Beklagten habe sie ihre Anteile an der MVZ am Obertor GmbH an Dr. W. übertragen. Nach dem Verkauf der Anteile habe der Beklagte die Zulassung des MVZ am Obertor in seiner Sitzung am 13.12.2012 genehmigt, also noch vor Ablauf der Widerspruchsfrist ihrem Begehren entsprochen. Da der Alleingesellschafter der MVZ am Obertor GmbH, Dr. W. , seine Anteile an dieser Gesellschaft an die Klägerin veräußern möchte, bestehe ein Bedürfnis an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses vom 18.9.2012. Der Anteilsverkauf sei nicht genehmigungspflichtig, allenfalls komme bei einem Verkauf an eine nichtberechtigte Gesellschaft ein Entziehungsverfahren in Betracht, sodass es auch kein anderes zumutbares Verfahren gebe, in dem die Frage der Gründungsberechtigung geklärt werden könne. Die Klage sei auch begründet. Aus § 72 Abs 1 S 2 SGB V folge die Gleichstellung von Ärzten und MVZ. Dementsprechend bedürfe es einer expliziten Regelung, wenn eine Bestimmung für Ärzte keine Anwendung auf MVZ finden solle. Eine solche finde sich in § 95 Abs 1a SGB V gerade nicht. Mit der Begrenzung des Gründerkreises durch das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStG - vom 22.12.2011, BGBl I 2983) habe sichergestellt werden sollen, dass nicht Investoren ohne fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung Kapitalinteressen verfolgten. Dies sei bei einer bereits zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen MVZ-Trägergesellschaft nicht zu befürchten. Andernfalls wäre es notwendig gewesen, auch Krankenhäuser aus der Reihe der zulässigen Gründer auszuschließen, weil auch diese ohne Einschränkung von Investoren übernommen werden könnten.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.1.2014 hat das SG Marburg die Klage abgewiesen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei zwar zulässig, aber unbegründet. Ein MVZ könne nicht Gründer eines weiteren MVZ sein. Die "entsprechende Anwendung" der Vorschriften des Vierten Kapitels auf MVZ, wie sie in § 72 SGB V vorgesehen sei, bedeute keine Freistellung von der Prüfung, ob eine auf Vertragsärzte ausgerichtete Bestimmung von ihrem Sinngehalt her auch auf Zahnärzte, Psychotherapeuten und/oder MVZ passe. Gründer und Gesellschafter eines MVZ hätten zunächst alle Leistungserbringer sein können, die aufgrund von Zulassung, Ermächtigung oder Vertrag an der medizinischen Versorgung der Versicherten teilgenommen hätten. Damit habe bereits § 95 SGB V aF Gemeinschaftspraxen und auch MVZ von der Gründereigenschaft ausgeschlossen. Das GKV-VStG habe den Kreis der Gründer weiter beschränkt, um der Gefahr allein von Kapitalinteressen motivierter Gründungen zu begegnen. Eine Absicht des Gesetzgebers, auch MVZ in den Gründerkreis einzubeziehen, sei nicht ersichtlich. Ein Bedürfnis hierfür sei auch nicht erkennbar, da der weiterhin gründungsfähige Gesellschafter einer MVZ-Trägergesellschaft ein weiteres MVZ gründen könne. Soweit eine Gründungsfähigkeit des Gesellschafters nicht mehr bestehe, entspreche es der Intention des Gesetzgebers, dass er keine Neugründung mehr vornehmen könne.

Das LSG hat auf die Berufung der Klägerin den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und festgestellt, dass der angefochtene Beschluss des Beklagten rechtswidrig gewesen sei (Urteil vom 30.11.2016). Die Voraussetzungen für die Zulassung des MVZ am Obertor zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung hätten vorgelegen. Dass nach § 95 Abs 1a S 1 Halbs 1 SGB V in der seit dem 1.1.2012 geltenden Fassung ein MVZ (nur noch) von zugelassenen Ärzten, von zugelassenen Krankenhäusern, von Erbringern nichtärztlicher Dialyseleistungen nach § 126 Abs 3 SGB V oder von gemeinnützigen Trägern, die aufgrund von Zulassung oder Ermächtigung an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, gegründet werden könne, der Alleingesellschafter der Klägerin mithin nicht mehr gründungsberechtigt sei, stehe der Gründereigenschaft der Klägerin nicht entgegen. Dies folge zwar nicht aus der Bestandsschutzregelung des § 95 Abs 1a S 2 SGB V, wohl aber aus der in § 72 Abs 1 S 2 SGB V angeordneten entsprechenden Anwendbarkeit von § 95 Abs 1a S 1 SGB V. § 72 Abs 1 S 2 SGB V bestimme, dass Vorschriften des Vierten Kapitels des SGB V, soweit sie sich auf Ärzte bezögen, entsprechend für Zahnärzte, Psychotherapeuten und MVZ gälten, sofern nichts Abweichendes bestimmt sei. Eine abweichende Bestimmung in diesem Sinne stelle § 95 Abs 1a S 1 SGB V idF des GKV-VStG nicht dar. MVZ würden zwar in der Norm nicht ausdrücklich in dem Katalog der Gründungsberechtigten eines MVZ genannt, dies gelte aber ebenso für Zahnärzte und Psychotherapeuten, deren Gründungsberechtigung indessen auch nach der ab 1.1.2012 geltenden Rechtslage allgemein anerkannt sei.

Der entsprechenden Anwendung von § 95 Abs 1a S 1 SGB V idF des GKV-VStG auf MVZ stehe der Gesetzeszweck nicht entgegen. Nach der Gesetzesbegründung habe durch die Neuregelung die Gründungsberechtigung für MVZ auf solche Leistungserbringer konzentriert werden sollen, die bisher den Großteil der ambulanten und stationären Versorgung der Versicherten geleistet hätten. Es hätten diejenigen Leistungserbringer ausgeschlossen werden sollen, über deren Ankauf bisher Investoren ohne fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung die Voraussetzungen für die Gründung von MVZ erfüllt hätten. MVZ gehörten allerdings zu dem Kreis der bisher an der ärztlichen Versorgung der Versicherten teilnehmenden Akteure ebenso wie die zugelassenen Krankenhäuser. Die vom Gesetzgeber beschriebene Gefahr von Mittelabflüssen an private, rein gewinnorientierte Organisationen und der Beeinflussung medizinischer Entscheidungen durch Kapitalinteressen sei bei MVZ nicht höher einzustufen als bei den - ausdrücklich in § 95 Abs 1a SGB V idF des GKV-VStG - genannten zugelassenen Krankenhäusern.

Zur Begründung seiner Revision trägt der Beklagte vor, nach dem Willen des Gesetzgebers des GKV-VStG solle - mit Ausnahme der aus versorgungspolitischen Gründen gründungsberechtigten Kommunen - ein MVZ nur noch gründen dürfen, wer aus eigener Kompetenz originär an der Versorgung teilnehme. Das sei bei MVZ aber nicht der Fall, weil sie gründungsberechtigter Personen oder Institutionen bedürften, die ihrerseits originär an der Versorgung teilnähmen. Bereits in der vor dem 1.1.2012 geltenden Fassung des § 95 SGB V aF seien Gemeinschaftspraxen und auch MVZ von der Gründereigenschaft ausgeschlossen gewesen. Das GKV-VStG habe den Gründerkreis nicht erweitert. Es bestehe auch keinerlei Bedarf, im Wege der entsprechenden Anwendung gemäß § 72 Abs 1 S 2 SGB V einem MVZ die Gründereigenschaft zuzuerkennen, weil die Gründer eines MVZ ein weiteres MVZ gründen könnten.

Die zu 1. beigeladene KÄV schließt sich zur Begründung ihrer Revision dem Vorbringen des Beklagten an.

Der Beklagte und die Beigeladene zu 1. beantragen,
das Urteil des Hessischen LSG vom 30.11.2016 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des SG Marburg vom 20.1.2014 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Sie trägt vor, es gebe keinen Grund, MVZ von der Gründungsberechtigung auszuschließen. Ansonsten sei einem Vertragsarzt, der auf seine Zulassung zugunsten einer Anstellung im MVZ verzichte, die Möglichkeit verschlossen, sich an weiteren MVZ zu beteiligen bzw diese zu gründen. Bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen verbiete sich eine Schlechterstellung der MVZ gegenüber sonstigen Leistungserbringern bei der Gründung neuer MVZ.

Entscheidungsgründe

Die Revisionen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1. sind erfolgreich. Entgegen der Auffassung des LSG ist der Bescheid des Beklagten vom 18.9.2012 rechtmäßig. Der Beklagte hat zu Recht entschieden, dass das von der Klägerin betriebene MVZ in N. nicht zur Gründung eines weiteren MVZ berechtigt ist.

1. Die von der Klägerin erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage ist zulässig.

a) Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist nach § 131 Abs 1 S 3...

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