Urteil Nr. B 6 KA 63/17 R des Bundessozialgericht, 2019-05-15

Judgment Date15 Mayo 2019
ECLIDE:BSG:2019:150519UB6KA6317R0
Judgement NumberB 6 KA 63/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Vertragsärztliche Versorgung - Plausibilitätsprüfung - Kassenärztliche Vereinigung - Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen - Ausschlussfrist für eine Honorarrückforderung
Leitsätze

Hat ein Arzt in einem Quartal das maßgebliche Aufgreifkriterium für eine Plausibilitätsprüfung bezogen auf die Arbeitszeit überschritten und ergibt die nähere Prüfung, dass diese Überschreitung auf einem generellen Fehlverständnis des Vertragsarztes vom Inhalt der Leistungslegende einer Gebührenordnungsposition beruht, darf die Kassenärztliche Vereinigung daraus ohne weitere Ermittlungen auf die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung auch in Folgequartalen schließen, wenn insbesondere nach den Angaben des Arztes von einem konstanten Abrechnungsverhalten auszugehen ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31. März 2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorars des Klägers für die Quartale 3/2008 bis 2/2012.

Der Kläger nimmt als Arzt für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde (HNO) im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Er betreut ua Patienten in einer Wachkomastation eines Pflegeheims. Aufgrund von Praxisbesonderheiten im Bereich von Bronchoskopien erhöhte die Beklagte seinen für das Regelleistungsvolumen maßgeblichen Fallwert. Im Zusammengang mit dem vorliegenden Verfahren nahm die Beklagte die Erhöhung des Fallwerts zurück. Die Rechtmäßigkeit dieses Rücknahmebescheides ist Gegenstand eines gesonderten Verfahrens.

Im Juni 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er die im Rahmen der Plausibilitätsprüfung maßgebende Quartalsarbeitszeit von 780 Stunden im Quartal 2/2008 mit 798 Stunden und 5 Minuten überschritten habe. Der Kläger wurde aufgefordert, für 15 näher bezeichnete Behandlungsfälle die Dokumentation (Karteikarten und/oder Computerausdrucke im Original) vorzulegen. Neben Hausbesuchen seien die nach Gebührenordnungsposition (GOP) 09315 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) abgerechneten Bronchoskopien aufgefallen.

Der Kläger kam dieser Aufforderung nach und erläuterte, dass sich die Abrechnungen auf schwerstkranke, beatmungspflichtige und unter ständiger Monitorkontrolle der Vitalparameter stehende Patienten bezögen. Seine Praxis habe einen Schwerpunkt in der Untersuchung und Behandlung von Schluckstörungen und in der Versorgung von Wachkomapatienten oder - teils beatmeten - Patienten in häuslicher Pflege.

Mit Bescheid von 12.12.2012 berichtigte die Beklagte die Abrechnung des Klägers bezogen auf alle in den Quartalen 3/2008 bis 2/2012 abgerechneten Leistungen nach GOP 09315 EBM-Ä (Bronchoskopie). Darüber hinaus kürzte die Beklagte die von dem Kläger in dem genannten Zeitraum abgerechneten Leistungen nach GOP 09331 EBM-Ä (Zusatzpauschale Untersuchung des Sprechens und der Sprache) sowie GOP 09332 EBM-Ä (Zusatzpauschale Abklärung einer Aphasie, Dysarthrie und/oder Dysphagie), soweit der Kläger diese Leistungen mehr als einmal im Behandlungsfall abgerechnet hatte. Zur Begründung führte die Beklagte aus, man habe eine Plausibilitätsprüfung durchgeführt, weil der Kläger im Quartal 2/2008 eine Gesamtarbeitszeit von 798 Stunden und 5 Minuten, im Quartal 3/2008 eine Gesamtarbeitszeit von 668 Stunden 45 Minuten sowie im Quartal 4/2008 eine Gesamtarbeitszeit von 635 Stunden 47 Minuten erreicht habe. Die Leistung der GOP 09332 EBM-Ä habe der Kläger in einigen Behandlungsfällen bei jedem Kontakt angesetzt. Das sei weder auf Grund der vorliegenden Dokumentation noch auf Grund der Leistungslegende nachvollziehbar. Die Abklärung von Schluckstörungen mittels standardisierter Verfahren sei nur abrechnungsfähig, wenn eine primäre Abklärung erfolge oder eine Kontrolle in angemessenen Zeitabständen notwendig sei. Ebenfalls nicht plausibel sei der Ansatz der Leistung nach GOP 09331 EBM-Ä mehrfach pro Behandlungsfall.

Bezogen auf die Bronchoskopien nach GOP 09315 EBM-Ä habe der Kläger den Durchschnitt der Prüfgruppe im Quartal 2/2008 um 1917 % überschritten. Aus der Leistungslegende gehe zwar nicht eindeutig hervor, wie weit die Bronchoskopie durchgeführt werden müsse. Wegen der Belastung der Patienten durch diese Untersuchung müsse die Indikationsstellung aber angemessen sein. In keiner der Dokumentationen finde sich der Hinweis, dass die Endoskopie eines Bronchus - nicht einmal des Hauptbronchus - erfolgt sei. Die Untersuchung habe stets mit der Beurteilung der Aufzweigung der Luftröhre in die beiden Hauptbronchien geendet; ein Vordringen in den Bronchialbereich habe nicht stattgefunden. Damit habe es sich nach Auffassung des Fachgutachters nicht um eine Bronchoskopie, sondern lediglich um eine Tracheoskopie, also eine Spiegelung der Luftröhre gehandelt. Die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung sei entfallen. Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte zurück (Widerspruchbescheid vom 27.5.2013).

Auf Antrag des Klägers ordnete das SG Stuttgart die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an (Beschluss vom 29.8.2013 - S 20 KA 4737/13 ER). Die dagegen gerichtete Beschwerde der Beklagten wies das LSG Baden-Württemberg zurück (Beschluss vom 15.10.2014 - L 5 KA 3990/13 ER-B).

Im Klageverfahren holte das SG Stellungnahmen des zu 1) beigeladenen GKV-Spitzenverbands und der zu 2) beigeladenen Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) ein. Es gab der Klage statt, soweit diese sich gegen die sachlich-rechnerische Richtigstellung der GOP 09332 EBM-Ä richtete; im Übrigen - soweit sie sich auf die GOP 09315 und 09331 EBM-Ä bezog - wies das SG die Klage ab. Entgegen der Auffassung des Klägers habe die Beklagte keine in die Zuständigkeit der Prüfgremien fallende Wirtschaftlichkeitsprüfung, sondern eine sachlich-rechnerische Richtigstellung durchgeführt. In keiner der exemplarisch ausgewerteten Unterlagen zur Behandlung von 15 Patienten im Quartal 2/2008 habe sich ein Hinweis dafür gefunden, dass die Endoskopie eines Bronchus erfolgt wäre. Dies wäre aber nach der Leistungslegende Voraussetzung für die Abrechnung der GOP 09315 EBM-Ä. Der Kläger habe das Endoskop nach eigenen Angaben jeweils nur in die Luftröhre des Patienten eingeführt und von dort aus die Bronchien bzw deren Hauptäste in Augenschein genommen. Damit habe er nur eine Tracheoskopie (Endoskopie der Luftröhre) und nicht eine Bronchoskopie (Endoskopie der Bronchien) durchgeführt. Auch sei der Mehrfachansatz der GOP 09331 EBM-Ä (Zusatzpauschale Untersuchung des Sprechens und der Sprache) nicht plausibel.

Obwohl die Beklagte die Dokumentation des Klägers lediglich bezogen auf 15 Behandlungsfälle im Quartal 2/2008 ausgewertet habe, sei sie berechtigt gewesen, die Leistungen nach den GOP 09315 und 09331 EBM-Ä in den Folgequartalen ab 3/2008 zu streichen. Die Beklagte habe im Ergebnis zutreffend auf die unwidersprochen gebliebene Tatsache abgestellt, dass sich das Abrechnungsverhalten des Klägers in den Folgequartalen ab 3/2008 vergleichbar dargestellt habe und dass dieser seiner Abrechnung weiterhin eine unrichtige Interpretation des Leistungsinhalts der streitgegenständlichen GOP zu Grunde gelegt habe. Dagegen seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig, soweit die Leistungen nach GOP 09332 EBM-Ä richtiggestellt worden seien.

Die dagegen eingelegte Berufung des Klägers hat das LSG mit Beschluss vom 31.3.2017 im Wesentlichen aus den Gründen des sozialgerichtlichen Urteils zurückgewiesen.

Im Revisionsverfahren ist nur noch die Berichtigung der Leistungen nach GOP 09315 EBM-Ä Verfahrensgegenstand. Soweit die angefochtenen Bescheide die sachlich-rechnerische Richtigstellung von Leistungen nach GOP 09331 EBM-Ä (Zusatzpauschale Untersuchung des Sprechens und der Sprache) zum Gegenstand hatten, hat die Beklagte diese in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aufgehoben. Der Kläger hat das Teilanerkenntnis angenommen.

Zur Begründung seiner Revision hinsichtlich der Berichtigung der Bronchoskopie-Leistungen macht der Kläger geltend, dass er im Berufungsverfahren bronchoskopische Befunde sowie die Dokumentation der Untersuchung des Sprechens und der Sprache zur Gerichtsakte gereicht und angeboten habe, weitere Befunde zur Verfügung zu stellen. Darauf sei das LSG jedoch nicht eingegangen. Eine vollständige Bronchoskopie sei für ihn als HNO-Arzt fachfremd. Sein Fachgebiet ende mit dem Blick in die Bronchien. Bronchoskopien seien für HNO-Ärzte in GOP 09315 EBM-Ä und für Lungenärzte in GOP 13662 EBM-Ä geregelt. Es sei nicht zulässig, den Begriff der Bronchoskopie für beide Arztgruppen in der gleichen Weise auszulegen. Andernfalls wäre es ihm als HNO-Arzt unmöglich, die GOP 09315 EBM-Ä vollständig zu erbringen. Diese müsse dahin ausgelegt werden, dass unter einer Bronchoskopie bei der Erbringung durch HNO-Ärzte eine Tracheo-Bronchoskopie zu verstehen sei.

Im Übrigen sei die Beklagte nicht berechtigt gewesen, das Ergebnis der für das Quartal 2/2008 durchgeführten Prüfung auf die Folgequartale zu übertragen. Ihm könne auch nicht ein "gleichförmiges" Verhalten in den Folgequartalen entgegengehalten werden, weil die Beklagte gar nicht wissen könne, ob in den Folgequartale ein gleichförmiges Verhalten vorliege.

Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 31.3.2017 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15.6.2016 zu ändern und den Bescheid der Beklagten von 12.12.2012 in der Fassung des Widerspruchbescheides vom 27.5.2013 vollständig aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Die sachlich-rechnerische Richtigstellung der GOP 09315 EBM-Ä (Bronchoskopie) sei nicht zu beanstanden. Entgegen der Auffassung des Klägers sei auch die Tracheo-Bronchoskopie keine Tracheoskopie (Endoskopie der Luftröhre). Vielmehr seien die Begriffe Bronchoskopie und Tracheo-Bronchoskopie Synonyme. Die...

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