Urteil Nr. B 6 KA 44/17 R des Bundessozialgericht, 2018-10-24

Judgment Date24 Octubre 2018
ECLIDE:BSG:2018:241018UB6KA4417R0
Judgement NumberB 6 KA 44/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Kassenärztliche Vereinigung - Abrechnungsprüfung - Plausibilität - Überschreitung der ärztlichen Arbeitszeit an drei Tagen aufgrund Nichtbeachtung einer Zeitvorgabe für den Arzt-Patienten-Kontakt - Berechtigung zur Untersuchung der Folgequartale auf diesen Abrechnungsfehler, auch wenn die Tagesprofile für diese Quartale für sich genommen unauffällig sind
Leitsätze

Ergibt die Prüfung einer vertragsärztlichen Abrechnung auf ihre Plausibilität in zeitlicher Hinsicht, dass der Arzt das maßgebliche Aufgreifkriterium bezogen auf die ärztliche Arbeitszeit an drei Tagen überschritten hat, und ergibt die nähere Prüfung, dass diese Überschreitung auf der Nichtbeachtung einer Zeitvorgabe für den Arzt-Patienten-Kontakt beruht, darf die Kassenärztliche Vereinigung die Folgequartale auf diesen Abrechnungsfehler untersuchen, auch wenn die Tagesprofile für diese Quartale für sich genommen nicht auffällig sind.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 13. Juni 2017 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

Umstritten sind sachlich-rechnerische Berichtigungen der Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale I/2006 bis IV/2007.

Die beklagte KÄV prüfte die Abrechnung des seit 1999 als Arzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Klägers anhand der Tages- und Quartalszeitprofile im Quartal I/2006. Dabei setzte sie für den orthopädischen Ordinationskomplex nach den Gebührenordnungspositionen (GOP) 18210, 18211 und 18212 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen - EBM-Ä - (je nach Alter der Patienten) entsprechend den Vorgaben in Anhang 3 des EBM-Ä bei der Prüfung der Tageszeitprofile keine eigene Zeitangabe ein, während sie für die Leistungen nach GOP 18220 EBM-Ä (Beratung, Erörterung und/oder Abklärung) entsprechend der Vorgabe in Anhang 3 des EBM-Ä eine Prüfzeit von 10 Minuten berücksichtigte. Diese Prüfung ergab eine Überschreitung der Tageszeitobergrenze von 12 Stunden an 3 Tagen. Im Rahmen dieser Prüfung fiel der Beklagten auf, dass der Kläger in einer Vielzahl von Fällen am selben Behandlungstag neben dem orthopädischen Ordinationskomplex nach GOP 18210 bis 18212 EBM-Ä die Leistung nach GOP 18220 angesetzt hatte. Unter Berücksichtigung der amtlichen Anmerkung der bis zum 31.12.2007 im EBM-Ä enthaltenen GOP 18220 ("Bei der Nebeneinanderberechnung der Leistungen nach den Nrn. 18210 bis 18212 und 18220 ist eine Arzt-Patienten-Kontaktzeit von mindestens 20 Minuten Voraussetzung für die Berechnung der Leistung nach der Nr. 18220") setzte die Beklagte für eine verfeinerte Prüfung eine Prüfzeit von 20 Minuten an. Damit ergab sich für das Quartal I/2006 an 28 Arbeitstagen eine Überschreitung der Tagesarbeitszeit von 12 Stunden. Weil die Beklagte vermutete, dass sich die hohe Quote der Parallelabrechnungen der beiden genannten Leistungspositionen nicht auf das Quartal I/2006 beschränkte, erweiterte sie ihre Prüfung auf die Quartale II/2006 bis einschließlich IV/2007. In diesen Quartalen ergaben sich teilweise noch höhere Überschreitungen der Tagesarbeitszeit von 12 Stunden unter Berücksichtigung eines mindestens 20-minütigen Arzt-Patienten-Kontaktes bei der Abrechnungskombination der GOP 18210 und 18220 EBM-Ä. Die höchste ermittelte Tagesarbeitszeit des Klägers lag oberhalb von 18 Stunden.

Die Beklagte hörte den Kläger an und teilte ihm mit, angesichts der ermittelten Arbeitszeiten müsse davon ausgegangen werden, dass die geforderte Mindestzeit für den Patientenkontakt bei der Abrechnung von Ordinationskomplex und Beratungsleistung am selben Behandlungstag nicht erfüllt sei. Der Kläger erklärte dazu, die von ihm verwendete Software habe ihm keine Zeitüberschreitungen angezeigt, sodass er nicht damit habe rechnen müssen, dass er die maßgeblichen Zeitprofile durch die Abrechnungskombination überschreite.

In Umsetzung einer entsprechenden Beschlussfassung des Plausibilitätsausschusses berichtigte die Beklagte sodann die Abrechnungen des Klägers für die 8 streitbefangenen Quartale in der Weise, dass sie jeweils die Leistung nach der GOP 18220 EBM-Ä in den Fällen strich, in denen am selben Tag auch die Leistung nach Nr 18210 bis 18212 EBM-Ä berechnet worden war. Die Beklagte ging davon aus, dass im Hinblick auf die Ergebnisse der Tageszeitprofile der Kläger die Voraussetzungen eines mindestens 20-minütigen Arzt-Patienten-Kontaktes in diesen Fällen nicht erfüllt habe, sodass die Leistungsberichtigung rechtmäßig sei.

Widerspruch und Klage gegen die Berichtigungsbescheide für die acht streitbefangenen Quartale und die Rückforderung in Höhe von 74 855 Euro sind erfolglos geblieben. Das LSG hat die Berufung gegen den klageabweisenden Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen. Die Beklagte habe die Plausibilität der Abrechnung des Klägers im Hinblick auf den Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen und den damit verbundenen Zeitaufwand des Arztes geprüft. Die Vorgaben der auf § 106a Abs 6 SGB V aF beruhenden Abrechnungsprüfungs-Richtlinien (AbrPr-RL) seien beachtet worden. Zwar habe die Prüfzeit für den Ordinationskomplex in Anhang 3 des EBM-Ä nur 10 Minuten betragen und diese Leistung sei auch nur für das Quartalszeitprofil und nicht für das Tageszeitprofil iS des § 8 Abs 3 der AbrPr-RL maßgeblich, doch habe die Beklagte zu Recht die Zeitvorgabe in der Anmerkung zu GOP 18220 EBM-Ä bei der Prüfzeit berücksichtigt. Gegenstand der Prüfung der Richtigkeit der Abrechnung des Arztes seien nicht die Beachtung der Prüfzeiten in Anhang 3 des EBM-Ä, sondern die Voraussetzung der Abrechenbarkeit der Leistung nach Nr 18220 EBM-Ä. Dass der Kläger diese zu Unrecht abgerechnet habe, habe die Beklagte durch eine Einbeziehung der für den Ansatz dieser Position erforderlichen Zeit im Rahmen der Tages- und Quartalszeitprofile ermitteln dürfen. Unter Berücksichtigung eines Patientenkontakts von mindestens 20 Minuten seien die Tageszeitprofile des Klägers in den überprüften Quartalen an mehr als 3 Tagen auffällig iS des § 8 Abs 3 AbrPr-RL gewesen, weil die auf diese Weise ermittelte arbeitstägliche Zeit in jedem der 8 streitbefangenen Quartale an 24 bis 34 Tagen die Grenze von 12 Stunden überschritten habe.

Die Beklagte sei im Übrigen berechtigt gewesen, den Umfang der fehlerhaften Abrechnung des Klägers zu schätzen. Dieser habe die Abrechnungssammelerklärung, wonach er alle abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht habe, grob fahrlässig falsch abgegeben. Die Entscheidung der Beklagten, immer dann die Leistung nach GOP 18220 EBM-Ä abzusetzen, wenn sie am selben Tag wie der Ordinationskomplex abgerechnet worden sei, weil dann zu vermuten sei, dass sie jedenfalls hinsichtlich des Umfangs der ärztlichen Arbeitszeit nicht korrekt erbracht worden sei, sei Ergebnis einer rechtmäßigen Schätzung. Der Kläger habe keinen Anspruch darauf, dass die Streichung der GOP 18220 EBM-Ä an den Tagen unterbleibe, an denen er die Grenze der Auffälligkeit von 12 Arbeitsstunden (noch) nicht erreicht habe. Das Abrechnungsverhalten des Klägers zeige insgesamt, wie auch durch seine Einlassung hinsichtlich der Praxissoftware bestätigt werde, dass ihm nicht oder jedenfalls nicht hinreichend bewusst gewesen sei, dass er die beiden GOP nebeneinander nur abrechnen dürfe, wenn er tatsächlich 20 Minuten persönlichen Kontakt mit dem Patienten gehabt habe. Das könne in den allermeisten Fällen schon im Hinblick auf die ermittelten Arbeitszeiten ausgeschlossen werden. Schließlich sei auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte die Summe der gekürzten GOP in Punkten mit einem Mischpunktwert aus dem Quotienten aller erbrachten, für das individuelle Gesamtvolumen (IGV) der Praxis relevanten Leistungen und dem tatsächlichen Honorar bewertet habe. Das entspreche der Vorgehensweise des BSG im Urteil vom 11.3.2009. Eine Ausnahmekonstellation, in der die zu Unrecht abgerechneten Punkte nur mit dem Punktwert für reduziert vergütete Leistungen multipliziert werden dürfen, liege nicht vor. Die Beklagte habe keine Hinweise gegeben, aus denen der Kläger habe schließen können, dass er in der von ihm praktizierten Weise abrechnen dürfe (Urteil vom 13.6.2017).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 106a Abs 2 SGB V aF. Das Vorgehen der Beklagten habe die für Plausibilitätsprüfungen im Sinne dieser Vorschrift geltenden gesetzlichen und untergesetzlichen Bestimmungen nicht beachtet. Die maßgeblichen Aufgreifkriterien der Tages- und Quartalszeitprofile seien nur im Quartal I/2006 - und dort auch nur hinsichtlich der Tageszeitprofile - erfüllt gewesen. Nur im Quartal I/2006 habe er unter Berücksichtigung der Prüfzeiten in Anhang 3 des EBM-Ä an 3 Tagen die tägliche Arbeitszeitgrenze von 12 Stunden reiner Behandlungszeit überschritten. Die Beklagte sei von vornherein nicht berechtigt gewesen, die Plausibilitätsprüfung auf andere Quartale auszuweiten, weil in diesen die erforderlichen Aufgreifkriterien für eine...

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