Urteil Nr. B 6 KA 42/17 R des Bundessozialgericht, 2018-10-24
Judgment Date | 24 Octubre 2018 |
ECLI | DE:BSG:2018:241018UB6KA4217R0 |
Judgement Number | B 6 KA 42/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
1. Nur soweit sich die Plausibilitätsprüfung auf das gesamte Abrechnungsquartal und nicht auf einzelne Tage bezieht, dürfen die Prüfzeiten für psychotherapeutische Einzelbehandlungen mit 70 Minuten höher bemessen werden als die der Bewertung dieser Leistungen zugrunde liegenden Kalkulationszeiten von 60 Minuten.
2. Aus einer Überschreitung der von den Bundesmantelvertragspartnern festgelegten Zeitgrenzen für Tages- oder Quartalszeitprofile kann auf einen Verstoß gegen das Gebot der persönlichen Leistungserbringung geschlossen werden, wenn keine Gründe erkennbar sind, die die Überschreitung erklären.
TenorAuf die Revision der Klägerin werden die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. August 2016 und des Sozialgerichts Gotha vom 12. März 2014 geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2010 wird aufgehoben, soweit die Beklagte bei der Korrektur der Honorarbescheide für die Quartale III/2005 und IV/2005 in den Tagesprofilen die Leistungen nach GOP 35140, 35150, 35200, 35201 und 35210 EBM-Ä mit einer Prüfzeit von 70 Minuten zugrunde gelegt hat. Insoweit hat die Beklagte unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden. Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen trägt die Klägerin zu 4/10 und die Beklagte zu 6/10.
Im Streit ist die sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorars einer Vertragspsychotherapeutin für die Quartale III/2005 und IV/2005 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung.
Die Klägerin ist als Psychologische Psychotherapeutin zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) zugelassen. Die Beklagte berichtigte die gegenüber der Klägerin für die Quartale III/2005 und IV/2005 erlassenen Honorarbescheide und forderte von dieser mit Bescheid vom 2.12.2009 und Widerspruchsbescheid vom 17.6.2010 Honorar in Höhe von insgesamt 10 780,67 Euro (6011,26 Euro für das Quartal III/2005 und 4769,41 Euro für das Quartal IV/2005) unter Hinweis auf das Ergebnis einer Auswertung der Tages- und Quartalsprofile zurück. Tages- und Quartalsprofile seien Indizienbeweise für die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung. Grundlage der Tages- und Quartalsprofile sei nicht die in den Gebührenordnungspositionen (GOP) 35150, 35200, 35201 und 35210 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) als obligater Leistungsinhalt ausgewiesene Mindestdauer von 50 Minuten, sondern die im Anhang 3 zum EBM-Ä verbindlich festgelegte Prüfzeit von 70 Minuten. In beiden Quartalen habe die Klägerin an jeweils mehr als 30 Tagen Leistungen mit einem erforderlichen Arbeitszeitvolumen von täglich mehr als 12 und bis zu 17,5 Stunden abgerechnet. Im Quartal III/2005 habe die Gesamtarbeitszeit der Klägerin für psychotherapeutische Leistungen mit 801,60 Stunden und im Quartal IV/2005 mit 795,45 Stunden auch die Grenze von 780 Stunden überschritten. Die von der Klägerin angegebenen Umstände wie eine effektive Praxisorganisation, die auch bei anderen Therapeuten gegeben seien, könnten derart hohe Arbeitszeiten nicht erklären. Den Rückforderungsbetrag bestimmte die Beklagte, indem sie das für tagesprofilrelevante Leistungen gezahlte Honorar im Verhältnis der Summe der tagesprofilrelevanten Arbeitszeiten über 12 Stunden zur tagesprofilrelevanten Gesamtarbeitszeit kürzte (15,89 Prozent im Quartal III/2005 und 12,69 Prozent im Quartal IV/2005).
Das SG Gotha hat die hiergegen erhobene Klage abgewiesen (Urteil vom 12.3.2014). Die von der Beklagten erstellten Tages- und Quartalsprofile genügten den Anforderungen an Beweismittel zum Nachweis unrichtiger Abrechnungen. Der Beweis durch Indizien sei zulässig, weil die tatsächliche Leistungserbringung durch nachträgliche Befragungen von Patienten nicht mehr aufklärbar sei. Dass die Klägerin Gesprächsleistungen von regelmäßig mehr als 10 Stunden täglich ordnungsgemäß erbringen konnte, lasse sich mit der behaupteten besonderen persönlichen Leistungsfähigkeit nicht erklären. Auch die von der Beklagten in Ausübung ihres Schätzungsermessens festgesetzte Honorarkürzung begegne keinen Bedenken. Die Berufung der Klägerin hat das Thüringische LSG unter Bezugnahme auf die Entscheidung des SG zurückgewiesen (Urteil vom 25.8.2016).
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, dass weder nach § 106a SGB V aF (seit 1.1.2017: § 106d SGB V) noch nach den Richtlinien der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KÄBV) und der Spitzenverbände der Krankenkassen zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KÄVen und der Krankenkassen (AbrPr-RL - DÄ 2004, A-2555) aus der Überschreitung von festgelegten Prüfzeiten unmittelbar auf die Fehlerhaftigkeit der Abrechnung geschlossen werden könne. Vielmehr habe die KÄV im Falle von Abrechnungsauffälligkeiten zu prüfen, ob die Leistungen ordnungsgemäß oder fehlerhaft abgerechnet worden seien. Etwas anderes folge auch nicht aus der Rechtsprechung des BSG, das im Zusammenhang mit der Frage der erforderlichen Höhe der Vergütung für psychotherapeutische Leistungen eine Vollauslastung bei wöchentlich 36 Gesprächsleistungen mit einer Dauer von mindestens 50 Minuten unterstellt habe. Das BSG habe damit keine Höchstgrenze für abrechenbare zeitgebundene Leistungen der Psychotherapie festgelegt. Die der Plausibilitätsprüfung zugrunde zu legenden Prüfzeiten müssten so bemessen sein, dass auch ein erfahrener, geübter und zügig arbeitender Psychotherapeut Leistungen im Durchschnitt in kürzerer Zeit schlechterdings nicht ordnungsgemäß und vollständig erbringen könne. Diesen Anforderungen würden die im Anhang 3 des EBM-Ä festgelegten Prüfzeiten nicht gerecht, weil sie nicht empirisch ermittelt, sondern lediglich geschätzt und normativ abgeleitet worden seien. Da die Prüfzeiten für psychotherapeutische Gesprächsleistungen mit 70 Minuten deutlich zu hoch angesetzt seien, könnten sie von einem erfahrenen, geübten und zügig arbeitenden Psychotherapeuten ohne Weiteres unterschritten werden. Sie, die Klägerin, sei aufgrund ihrer individuellen Fähigkeiten und Erfahrungen sowie der Gestaltung der Praxisabläufe in der Lage, die zeitgebundenen psychotherapeutischen Leistungen im geforderten zeitlichen Mindestumfang durchzuführen und die im Übrigen mit einer GOP abgegoltenen Vorbereitungs- und Nachbereitungsarbeiten schneller zu erbringen, als dies die meisten anderen Psychotherapeuten könnten.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Thüringer Landessozialgerichts vom 25. August 2016 und des Sozialgerichts Gotha vom 12. März 2014 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend. Die Zeitprofile seien nach Maßgabe der AbrPr-RL erstellt worden. Überschreitungen der Tagesprofile seien daher geeignete Beweismittel, um die Fehlerhaftigkeit der Abrechnungen eines Vertragspsychotherapeuten nachzuweisen. Der gesetzliche Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag der KÄV liefe ins Leere, wenn bei Vertragspsychotherapeuten, die im Kern fast nur zeitgebundene Gesprächsleistungen erbringen, Tagesprofilüberschreitungen kein Indizienbeweis für eine nicht ordnungsgemäße Abrechnung seien. Unabhängig davon habe sie, die Beklagte, aus den Tagesprofilüberschreitungen nicht unmittelbar auf die nicht ordnungsgemäße Abrechnung der Klägerin geschlossen, sondern weitere Prüfungen durchgeführt und ergänzende Tatsachen festgestellt. Die Zeitprofile müssten auf Grundlage der in Anhang 3 des EBM-Ä normativ festgelegten Prüfzeiten erstellt werden. Therapieleistungen seien nicht bereits dann ordnungsgemäß erbracht, wenn das Therapiegespräch mindestens 50 Minuten gedauert habe, sondern bedürften einer zeitintensiven Vor- und Nachbereitung, die in der Mindestgesprächszeit nicht abgebildet sei. Im Übrigen sei es selbst bei Berücksichtigung allein der fünfzigminütigen Mindestgesprächszeit in den Zeitprofilen ausgeschlossen, dass die Klägerin die abgerechneten Therapieleistungen mit der notwendigen hohen Konzentration erbracht habe.
Der Senat hat Stellungnahmen des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen (SpiBu) vom 5.10.2018 und der KÄBV vom 8.10.2018 als Trägerorganisationen des Bewertungsausschusses (BewA) zu den Grundlagen der Festlegung von Prüfzeiten für die psychotherapeutischen Einzelbehandlungen eingeholt.
EntscheidungsgründeDie zulässige Revision der Klägerin ist teilweise begründet. Die angefochtenen Bescheide über die sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorars der Klägerin sind rechtswidrig. Die Klägerin hat Leistungen in den Quartalen III/2005 und IV/2005 zwar unrechtmäßig abgerechnet, sodass die sachlich-rechnerische Richtigstellung im Grundsatz zu Recht erfolgt ist. Die Honorarberichtigung ist jedoch der Höhe nach zu beanstanden. Deshalb wird die Beklagte über die Richtigstellung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu entscheiden haben.
1. Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung ist § 106a Abs 2 SGB V (hier noch idF des GKV-Modernisierungsgesetzes vom 14.11.2003, BGBl I 2190 <aF>; heute § 106d Abs 2 SGB V). Danach stellt die KÄV die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität. Gegenstand der arztbezogenen Plausibilitätsprüfung, die für Psychotherapeuten entsprechend gilt (§ 72 Abs 1 S 2 SGB V), ist insbesondere der Umfang der je Tag abgerechneten Leistungen im Hinblick auf den damit...
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