Urteil Nr. B 6 KA 68/17 R des Bundessozialgericht, 2019-06-26
Judgment Date | 26 Junio 2019 |
ECLI | DE:BSG:2019:260619UB6KA6817R1 |
Judgement Number | B 6 KA 68/17 R |
Court | Der Bundessozialgericht (Deutschland) |
1. Die besonderen Mitwirkungspflichten, die den Vertragsarzt im Verwaltungsverfahren zur Wirtschaftlichkeitsprüfung treffen, gelten nicht in gleicher Weise für die sachlich-rechnerische Richtigstellung des Honorars.
2. Zu den Voraussetzungen, unter denen die Vergütung einer vertragsärztlichen Leistung von der Erfüllung von Begründungsanforderungen abhängig gemacht werden darf.
TenorAuf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 19. Oktober 2017 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung von Leistungen, die im Quartal 2/2014 in der Notfallambulanz eines Krankenhauses erbracht wurden.
Die Klägerin ist Trägerin eines im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) gelegenen Krankenhauses. Im Quartal 2/2014 erbrachte sie in ihrer Notfallambulanz ambulante Leistungen für Versicherte der gesetzlichen Krankenversicherung und rechnete diese unter Vorlage der Notfallscheine gegenüber der Beklagten ab.
Die Beklagte berichtigte mit Bescheid vom 14.8.2014 die Honoraranforderung der Klägerin. Sie kürzte die Honorarabrechnung unter anderem mit der Begründung, dass es sich bei den näher bezeichneten, während der üblichen Sprechstundenzeiten erbrachten laboratoriumsmedizinischen und radiologischen Leistungen aus den Kapiteln 32 und 34 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) sowie bei einzelnen Leistungen der Gebührenordnungspositionen (GOP) 02300 (Kleinchirurgischer Eingriff I und/oder primäre Wundversorgung und/oder Epilation) und 02301 EBM-Ä (Kleinchirurgischer Eingriff II und/oder primäre Wundversorgung mittels Naht) nicht um Leistungen der Notfallbehandlung handeln würde. Besondere Umstände, die es erlauben würden, diese Leistungen ausnahmsweise als Notfallleistungen einzuordnen, habe die Klägerin in der Abrechnung nicht dargelegt.
Soweit die Klägerin mit dem Widerspruch geltend machte, dass Leistungen, die Gegenstand der Richtigstellung sind, im Rahmen einer Notfallbehandlung erbracht worden seien, wies die Beklagte den Widerspruch mit Teilwiderspruchsbescheid vom 29.7.2015 zurück und führte zur Begründung aus: Die in § 6 des Honorarverteilungsmaßstabs (HVM) geregelten Voraussetzungen für die Abrechenbarkeit der Leistungen als Notfallleistung seien nicht erfüllt, weil sie während der regulären Sprechstundenzeiten erbracht worden seien und die Klägerin keine besonderen Umstände dargelegt habe, die eine Ausnahme rechtfertigen würden. Sie honoriere selbst Behandlungen, die nach der Rechtsprechung des BSG nicht als Notfälle zu beurteilen wären, stets mit der Notfallpauschale nach GOP 01210 EBM-Ä, da auch zum Ausschluss eines Notfalles ein Arzt-Patienten-Kontakt in der Regel erforderlich sei. Damit werde dem Gleichbehandlungsgebot ausreichend Rechnung getragen. Insofern dürften weitere Leistungen, die nicht Bestandteil der Notfallpauschale sind, regelmäßig nicht mehr abgerechnet werden. Der Arzt im Notfalldienst sei auf die Erstversorgung beschränkt. Die Klägerin habe jedoch Diagnosen ohne Notfallcharakter angegeben. Dazu listete die Beklagte einige der Behandlungsfälle mit Diagnosen wie "offene Wunde eines oder mehrerer Finger ohne Schädigung des Nagels", "Schmerzen mit Lokalisation in anderen Teilen des Unterbauches" und "Prellung des Thorax", auf die sich die sachlich-rechnerische Richtigstellung bezieht, beispielhaft auf.
Das SG hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.8.2014 in der Gestalt des Teilwiderspruchsbescheides vom 29.7.2015 verpflichtet, über den Vergütungsanspruch der Klägerin für die Notfallbehandlungen im Quartal 2/2014 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der angefochtene Bescheid sei bereits deshalb rechtswidrig, weil die sachlich-rechnerische Richtigstellung grundsätzlich anhand des Einzelfalls zu erfolgen habe, der Verwaltungsakte der Beklagten jedoch nicht zu entnehmen sei, dass diese eine Einzelfallprüfung vorgenommen habe. Selbst wenn § 6 HVM eine generelle Begründungspflicht statuiere, folge daraus nicht, dass die Beklagte unter Hinweis auf die Nichteinhaltung der Begründungspflicht auf die grundsätzlich durchzuführende Einzelfallprüfung verzichten könne. Überdies ordne der Wortlaut des HVM eine besondere Begründungspflicht lediglich für den Fall an, dass eine Versorgung durch einen Vertragsarzt aufgrund der Umstände nicht vertretbar gewesen sei. Für den Fall, dass die Versorgung durch einen Vertragsarzt entsprechend § 76 SGB V nicht möglich gewesen sei, werde keine gesonderte Darlegung gefordert. Im Rahmen des Notfalldienstes bestehe kein genereller Ausschluss der Vergütung von Laborleistungen und von Leistungen der Radiologie. Entgegen der Auffassung der Beklagten sei die Klägerin im Klageverfahren nicht mit weiterem Vorbringen zum Vorliegen der Voraussetzungen einer Notfallbehandlung ausgeschlossen.
Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die sachlich-rechnerische Richtigstellung der abgerechneten Notfallleistungen sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe im Rahmen der Abrechnung lediglich die durchgeführten Behandlungen und Diagnosen anhand der ICD-Verschlüsselung angeführt, aber keine weiteren Angaben gemacht, abgesehen von dem pauschalen Hinweis, dass eine dringende Behandlungsbedürftigkeit vorliege. Damit sei die Klägerin ihrer Darlegungspflicht im Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahren nicht hinreichend nachgekommen.
Zwar gebe es wegen des Amtsermittlungsgrundsatzes weder im Sozialverwaltungsverfahren noch im sozialgerichtlichen Verfahren eine dem Zivilprozess entsprechende Darlegungslast, allerdings würden hiervon in Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren im Vertragsarztrecht Ausnahmen gelten. Hier treffe den Vertragsarzt eine Darlegungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten und kompensatorische Einsparungen. Der Vertragsarzt habe im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen spätestens im Widerspruchsverfahren anzugeben. Diese Rechtsprechung trage dem Umstand Rechnung, dass Wirtschaftlichkeitsprüfungsgremien einen Beurteilungsspielraum haben und dass daher einzelfallbezogene Umstände, die nicht Gegenstand des Verwaltungs- bzw Widerspruchsverfahrens waren und den Prüfgremien nicht bekannt seien, regelmäßig unberücksichtigt bleiben müssen.
Im Rahmen der Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Abrechnung bestehe ein vergleichbarer Beurteilungsspielraum nicht. Dennoch würden nach dem Urteil des BSG vom 12.12.2012 (B 6 KA 5/12 R) entsprechende Substantiierungsanforderungen gelten, die spätestens bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides zu erfüllen seien. Danach dürfe eine Substantiierung im Notfalldienst bei der Erbringung normalerweise nur zur Regelversorgung gehörender Leistungen gefordert werden, da nur der Leistungserbringer in der Lage sei, die Umstände zu schildern, aus denen sich die Besonderheit des Falles ergeben könne. Der Senat folge dem jedenfalls für den Fall, dass es sich - wie vorliegend - um Tatsachen aus der Sphäre des Arztes handele, dass eine Vielzahl von GOP betroffen seien und dass außerdem eine einschlägige Regelung existiere, wonach ausdrücklich schon im Abrechnungsverfahren die Angabe der betreffenden Tatsachen erforderlich sei. Letzteres sei vorliegend in § 6 Abs 2 S 2 HVM der Fall. Dass sich die Darlegungslast nach § 6 Abs 2 S 2 HVM lediglich auf nicht vertretbare Umstände im Sinne des Abs 1 beschränke und die Fälle einer unmöglichen Versorgung durch einen Vertragsarzt nicht erfasst seien, komme - entgegen der Ansicht des SG - keine Bedeutung zu. Die Klägerin habe weder im Verwaltungs- noch im Widerspruchsverfahren Umstände vorgebracht, die den Ansatz der in Rede stehenden Leistungen rechtfertigen könnten. Im gerichtlichen Verfahren sei sie mit entsprechenden Darlegungen ausgeschlossen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin zunächst als Verfahrensmangel die Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art 103 Abs 1 GG und § 62 SGG. Das LSG habe angenommen, dass auf den betreffenden Notfallscheinen lediglich die durchgeführten Behandlungen, die Diagnosen anhand des ICD-Codes sowie ein pauschaler Hinweis auf eine dringende Behandlungsbedürftigkeit angegeben seien. Auf diese Bewertung des Sachverhalts habe das LSG im Rahmen des Berufungsverfahrens nicht hingewiesen. Zwar treffe dies auf eine Vielzahl, aber nicht auf alle Notfallscheine zu.
Die Klägerin wendet sich ausdrücklich nicht dagegen, dass Notfallleistungen auf die Erstversorgung zu beschränken sind und dass auch die Diagnostik darauf auszurichten ist. Es bestehe jedoch weder ein allgemeiner Leistungsausschluss für Laborleistungen oder radiologische Leistungen im Rahmen der Notfallbehandlung noch gebe es eine besondere Begründungspflicht für die Erbringung und Abrechnung dieser Leistungen. Eine solche Begründungspflicht folge weder aus dem EBM-Ä noch aus sonstigen Regelungen. Anderes ergebe sich auch nicht aus § 6 Abs 2 S 2 HVM. Nach Angabe der Beklagten habe deren Vorstand beschlossen, dass Notfallbehandlungen zu vergüten seien, wenn der Patient durch den organisierten Rettungsdienst zur Notfallbehandlung verbracht werde oder wenn er durch einen Vertragsarzt an die Notfallambulanz verwiesen worden sei. Mit der sachlich-rechnerischen Richtigstellung auch in Fällen, in denen die Patienten mit dem Rettungsdienst in ihre - der Klägerin - Notfallambulanz eingeliefert worden seien, habe sich die Beklagte nicht einmal an ihre...
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